«Hier begegnet man sich mit grossem Respekt»
Der wertschätzende Kontakt zur Bevölkerung, der respektvolle Umgang innerhalb des Gemeinderates und die gute Zusammenarbeit mit dem Verwaltungsteam hat Christian Iseli 41 Jahre auf der Verwaltung in Rohrbachgraben gehalten. Nun geht der beliebte Gemeindeschreiber und Finanzverwalter in den Ruhestand. Er blickt auf viele schöne, lustige, aber auch traurige Momente zurück.
Rohrbachgraben · Am 1. Oktober 1982 hat Christian Iseli die Gemeindeverwaltung in Rohrbachgraben das erste Mal als Gemeindeschreiber und Finanzverwalter betreten. Am 31. Juli dieses Jahres wird er sie nach fast 41 Jahren als Rentner verlassen. «Der heutige Gemeindepräsident Simon Lüthi war damals noch gar nicht auf der Welt», erwähnt Christian Iseli nebenbei, als er von seinen Anfängen auf der Verwaltung erzählt. 41 Jahre lang ging der dreifache Familienvater mit Freude zur Arbeit. «Hier im Rohrbachgraben hört man einander noch zu und begegnet sich mit grossem Respekt», nennt der 65-jährige Gemeindeschreiber einen von vielen Gründen, die ihn all die Jahre in dem beschaulichen Dorf gehalten haben. Ebenso hebt er die gute Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat hervor: «Man war zwar innerhalb der Behörde nicht immer gleicher Meinung, doch ein ‹ungrades› Wort ist nie gefallen.» Sehr wichtig war ihm auch die Nähe zu seiner Familie, mit der er jeden Tag zuhause zu Mittag essen konnte. Aufgewachsen ist Christian Iseli in Huttwil, dort ist er vor Kurzem auch wieder hingezogen. Auf der Gemeindekasse in Huttwil hat er die Verwaltungslehre absolviert, danach zwei Jahre bei der Bank in Huttwil gearbeitet und zwei Jahre auf der Steuerverwaltung in Langnau. Den Ausbildungslehrgang zum diplomierten Gemeindeschreiber hat Christian Iseli berufsbegleitend gleich zu Anfang seiner Anstellung in Rohrbachgraben in Angriff genommen und drei Jahre später mit Bravour abgeschlossen. Dass man auf der Gemeindeverwaltung in Rohrbachgraben noch immer alles allein machen kann, von den Finanzen über das Bauwesen bis hin zur Ausgleichskasse, ist ein weiterer Grund, den der sympathische Gemeindeschreiber mit dem «traurigen» Blick und den unterdessen grauen Locken ins Feld führt und ihm die Freude an der Arbeit nie genommen hat. Doch damit sei er auch manchmal an seine Grenzen gelangt, gesteht er. Insbesondere durch die vielen Neuerungen und den immer wieder wechselnden Rechnungsmodellen, die eingeführt werden mussten. «Diese waren sehr fordernd und auch manchmal ärgerlich, denn am Schluss hatte man trotzdem nicht mehr Geld in der Kasse.» Zudem habe die Bürokratie zugenommen und verschlinge viel Zeit. «Ob das in dem Umfang immer wirklich nötig war, daran zweifle ich heute noch», gibt Christian Iseli unumwunden zu.
Grosse Wertschätzung
Dass nicht nur der Gemeindeschreiber der Bevölkerung, der Behörde und dem Verwaltungsteam mit grosser Wertschätzung entgegentrat, sondern dies auch umgekehrt war, zeigte sich letztes Jahr an der 1. August-Feier, bei der er feierlich das Ehrenbürgerrecht erhielt. Wie gross die Verbundenheit der Bevölkerung war, zeigte sich nach zwei schweren Schicksalsschlägen. Vor bald neun Jahren verlor Christian Iseli seine Frau Marlies, die nach schwerer Krankheit bereits im Alter von 54 Jahren verstarb, und ein Jahr später erlitt er einen Herzinfarkt. In dieser Zeit habe er viel Mitgefühl, aufmunternde Worte und Anteilnahme aus der Bevölkerung erfahren. «Ich hatte auch immer grosse Unterstützung von meiner Familie, beides war wichtig und habe ich sehr geschätzt», erklärt der unterdessen fünffache Grossvater. So war es denn auch sein oberstes Gebot, für die Bevölkerung da zu sein. «Wir sind ein Dienstleistungsbetrieb, wir sind für die Leute da und nicht umgekehrt. Auch wenn ich gewusst habe, dass es nicht immer möglich ist, habe ich versucht, es so vielen Personen wie möglich recht zu machen und alle gleich zu behandeln.» Gleichwohl musste er sich an die Gesetze halten, nutzte dabei aber den kleinen Spielraum, der ihm zur Verfügung stand, voll aus. So ist das Verwaltungsteam früher wie auch heute ausserhalb der Bürozeiten für die Bevölkerung da. Obwohl dies nun, wo vieles elektronisch laufe, nicht mehr so oft vorkomme, bemerkt Christian Iseli. Doch früher, als auf den Gemeinden noch Identitätskarten ausgestellt werden konnten, sei es schon mal vorgekommen, dass er am Wochenende noch eine ebensolche ausstellte, wenn jemand bemerkte, dass genau diese noch für die bevorstehenden Ferien fehlte.
Lustige und weniger lustige Geschichten
In den 41 Jahren als Gemeindeschreiber hat Christian Iseli einiges erlebt. Geschichten und Ereignisse, welche ein ganzes Buch füllen könnten. So habe einmal ein Landwirt ein totes Kalb vergraben, dabei aber die Rechnung nicht mit dem Hund des Wildhüters gemacht, der das Kalb gerochen und wieder ausgegraben hatte. Der «Täter» habe zuerst alles abgestritten, schlussendlich aber aufgrund klaren Sach- und Tatbestands zu seiner Tat stehen müssen. Doch bevor das Kalb endlich in der Kadaverstelle ankommen konnte, musste es sich in einem benachbarten kleinen Waldstück nochmals vergraben lassen. Eine andere Geschichte handelte von einem jungen Mann, der unerlaubterweise Schnaps brannte. Nachdem die Polizei ihm auf die Schliche kam, durchsuchte sie seinen Keller, fand das Zubehör fürs Brennen, aber keinen Schnaps. Der junge Mann wurde trotzdem zu einer saftigen Busse verurteilt. Als er nach der Begründung fragte, erhielt er vom Richter die Antwort, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er Schnaps brenne, gross sei, da das «Ygricht» dazu vorhanden sei und deswegen die Verurteilung rechtfertige. «Daraufhin kam der junge Mann zu mir auf die Verwaltung und stellte ein Gesuch für Kinderzulage. Als ich ihm antwortete, dass er ja gar keine Kinder habe, antwortete er: ‹Das isch wohr, i bi ledig u ha keini Ching – aber s Ygricht derzue hani!›», erzählt Christian Iseli schmunzelnd. Die nächste Geschichte brachte es sogar in den «Unter-Emmentaler», obwohl sie eigentlich immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand – ausser einmal im Jahr 2008. Dass man die Schulden begleichen sollte, bevor das Jahr zu Ende ist, nahmen Christian Iseli und der damalige Ursenbacher Gemeindeschreiber Manfred Lehmann sehr ernst. Seit vielen Jahren übernimmt die Gemeinde Rohrbachgraben auf einigen Ursenbacher Strassen die Schneeräumung. Die beiden Schreiber hatten sich zur Pflicht gemacht, die Schuld auf der Gemeindegrenze zu tilgen. Sie machten sich also einmal im Jahr auf Schusters Rappen auf den Weg auf den Liemberg – in der Kleidung und mit der Ausrüstung, die damals Brauch waren. Schreiber Lehmann, in der Pflicht als Schuldner, als einfach Gekleideter im dicken Flanellhemd, mit Zipfelmütze, Hakenstecken und rutschsicheren Eisen an den Schuhen. Schreiber Iseli, als Mann von Würde, kam im weissen Hemd und Halbleinen daher. In seinem Beutel hatte es noch Platz, um den Sold fürs Schneeräumen hineinzustecken. «Auf dem Liemberg gab es in der Regel zuerst ein Apéro, bevor wir uns ins ‹Pintli› in Rohrbachgraben begaben, um das Geschäft zu besiegeln», erzählt Christian Iseli. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der zuvor mit Feder (Tintenfass und Feder) von Hand geschriebenen Bescheinigung wurde ein echtes Siegel auf echtem Wachs gesetzt, genauso, wie man es auch früher gemacht hatte. Danach folgte der weniger ernste Teil mit feiner Wurst, etwas Bier und gejodelten Lumpenliedern, bevor sich die beiden wieder zu Fuss auf den Heimweg machten.
Zeit für Familie und Hobbies
Doch nun möchte sich Christian Iseli dem nächsten Lebenskapitel zuwenden. Mehr Zeit für seine Familie, insbesondere für die fünf Enkelkinder zu haben, erfüllt ihn mit grosser Vorfreude. Zu kurz kam bisher auch seine Leidenschaft fürs Wandern oder das Ausfahren mit seinem Motorrad, einer 750er Suzuki, die nun wieder vermehrt aus der Garage geholt werden kann. Das Fussballspielen, einem Sport, dem er 50 Jahre lang sehr gerne frönte, kann er zwar schon seit Längerem aufgrund einer Kniearthrose nicht mehr ausüben, dafür nimmt das Jodeln seit 35 Jahren einen grossen Stellenwert ein. Neben dem aktiven Mitwirken im Jodelklub Huttwil singt Christian Iseli auch in der Kleinformation «Steinmanndli». «Ich habe übrigens früher auch als Korrespondent für den ‹Unter-Emmentaler› geschrieben, vor allem über Sport», fügt Christian Iseli zum Schluss noch an. Dabei erinnere er sich immer gerne daran zurück, dass der damalige Geschäftsführer der Druckerei Schürch, Hansruedi Ingold, ihm als jungen Vater den Druck der Geburtskarten seines ersten Sohnes schenkte.
Von Marion Heiniger