Hilfe für gefährdete Mehlschwalben
In Wasen sieht man aussergewöhnlich viele Schwalben und an vielen Häusern hängen unter Dachvorsprüngen künstliche Nester. Rund 1000 dieser Schwalbennester stellt der Natur- und Vogelschutzverein Wasen jährlich her. Er möchte mit diesen Massnahmen der gefährdeten Mehlschwalbe wieder genügend Nisthifen zur Verfügung stellen.
Wasen · In den letzten Jahren haben die Bestände der Mehlschwalbe in der Schweiz stark abgenommen. Während in den 1990er-Jahren noch zwischen 100 000 und 200 000 Brutpaare gezählt wurden, sind es heute nur noch etwa die Hälfte.
Die starke Abnahme hat dazu geführt, dass die Mehlschwalbe im Jahr 2010 auf der Roten Liste der potenziell gefährdeten Arten aufgeführt wurde. Sie ist zudem eine Prioritätsart im Artenförderungsprogramm von BirdLife Schweiz und der Schweizerischen Vogelwarte. Man erkennt die Mehlschwalbe an ihrer blauschwarz glänzenden Oberseite und einer rein weis-sen Unterseite. Eine erhebliche Gefährdung stellt die abnehmende Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber diesem Gebäudebrüter dar. Vielerorts werden Nester zerstört, da sich Hausbesitzer an den Verunreinigungen an Hausfassade und Boden stören.
Aber nicht nur deswegen sind natürliche Schwalbennester kaum mehr zu finden. Ihnen fehlt durch Asphaltierungen von Wegen und Plätzen dafür oft das geeignete Baumaterial. Der Natur- und Vogelschutzverein Wasen greift schon seit Längerem der Mehlschwalbe unter die Flügel und stellt bereits seit über zehn Jahren künstliche Schwalbennester her. Unterdessen sind es jährlich gegen 1000 Nester, die in Umlauf gebracht werden können. Dafür trifft sich eine kleine Gruppe von Vereinsmitgliedern von November bis Februar einmal wöchentlich, damit die Nester pünktlich be-
reitstehen, wenn die Schwalben aus ihren Winterquartieren von West-, Zentral- und sogar Südafrika zurückkehren. Dabei legen die eleganten Vögel bis zu 15 000 Kilometer zurück. In der Schweiz sind sie von April bis Oktober zu beobachten.
Grosse Akzeptanz der Bevölkerung
Die künstlichen Schwalbennester stellt der Natur- und Vogelschutzverein Wasen der einheimischen Bevölkerung kostenlos zur Verfügung, in anderen Gemeinden werden sie zum Selbstkostenpreis verkauft. Zudem wird durch das vereinsinterne Heft «Waldkauz», welches in jede Haushaltung verschickt wird, immer umfassend informiert. So wundert es nicht, dass unter den Dachvorsprüngen von aussergewöhnlich vielen Häusern in Wasen künstliche Schwalbennester hängen. Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber den Schwalben ist sehr hoch. Das merkt auch der Vereinspräsident Martin Leuenberger: «Wenn alle montierten Schwalbennester besetzt sind, ruft nicht selten der Hausbesitzer an und bestellt Nachschub.»
Dabei scheut der Verein keinen Aufwand, um der gefährdeten Vogelart ein Zuhause zu bieten. Vielerorts werden deshalb Kotbretter unter die Nester geschraubt, um Verunreinigungen an Hausfassaden und auf dem Boden vorzubeugen. Zudem müssen die Nester regelmässig gereinigt werden. Eine Mammutaufgabe, die der Natur- und Vogelschutzverein gerne auf sich nimmt. Unterstützung erhalten sie dabei von der Feuerwehr, die dafür ihre Drehleiter zur Verfügung stellt. Dank dieser selbstlosen Einsätze der Vereinsmitglieder nimmt in Wasen der Bestand der Mehlschwalben kontinuierlich zu. Das zeigt auch die Statistik. Im Gründungsjahr 1993 wurden 107 Mehlschwalben-Brutpaare gezählt, heute, 27 Jahre später, sind es bereits 339. Tendenz steigend.
Gesetzlich geschützt
Alle Schwalbenarten und ihre Nester sind in der Schweiz gesetzlich geschützt. Die Nester dürfen nur entfernt werden, wenn ein alternatives Angebot in der Nähe bereitgestellt werden kann. Mehlschwalben nisten gerne an Neubauten oder frisch renovierten Gebäuden mit hellen und gut haftenden Fassaden.
Was aber die Hausbesitzer nicht immer freut angesichts der Ausscheidungen. Bei einem neu renovierten Bauernhaus weit hinten in der Kurzenei konnte Martin Leuenberger genau das beobachten. Der Verein löste das Problem der unerwünschten Verunreinigung, indem er neue, künstliche Nester an einem Nebengebäude anbrachte. «Bereits im ersten Jahr waren diese Nester fast vollständig von brütenden Mehlschwalbenpaaren besetzt», freut sich Martin Leuenberger.
Unterdessen hängen dort 65 Nester unter dem Dachvorsprung. Doch so gut wie bei diesem Bauernhof nehmen die Schwalben die bereitgestellten, künstlichen Nester nicht immer an. «Wir mussten uns bei einem anderen Ort auch schon 17 Jahre lang gedulden, bis die Nester endlich bewohnt wurden», erzählt der 50-jährige Gärtner. Mehlschwalben brüten in Kolonien, in denen die Nester oft nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. Sie ist eine Kulturfolgerin und brütet fast ausschliesslich an Gebäuden. Dabei werden Standorte in der Nähe günstiger Jagdgebiete bevorzugt, das heisst in Dörfern, Weilern oder nahe an Gewässern. An diesen Ort kehrt die Mehlschwalbe meist in den Folgejahren zurück. Im Normalfall zieht ein Mehlschwalbenpaar zwei Jahresbruten im selben Nest auf.
Geeignetes Nahrungsangebot
Schwalben sind bei den Bauern sehr geschätzt, denn sie jagen Fliegen und Mücken, die im Sommer Mensch und Tier belästigen. Meist jagen sie in einem Umkreis von 500 Metern Entfernung ihres Brutstandortes, in etwa 50 Meter Höhe, bei schlechtem Wetter auch in Bodennähe oder über Gewässern. Die Nahrungssituation hat sich für die Mehlschwalbe durch den Rückgang der Fluginsekten jedoch stark verschlechtert. In verschiedenen Gebieten hat sich die Insektenpopulation um über 70 Prozent dezimiert. Auch die Zahl der Insektenarten nimmt dramatisch ab.
Für den Natur- und Vogelschutzverein ist es deshalb ebenso wichtig, dass die Vögel eine geeignete Nahrungssituation vorfinden, denn allein mit dem Bereitstellen von künstlichen Nestern kann eine hohe Schwalbenpopulation nicht erhalten werden.
Am liebsten setzt Martin Leuenberger mit seinen Vereinskolleginnen und -kollegen Naturschutzprojekte mit Schulkindern um. Letzten Sommer entstanden so an verschiedenen Standorten neben dem Oberstufenschulhaus Wasen neue Lebensräume für Insekten, Amphibien, Vögel und Igel, und damit auch Nahrung für die Vögel. Ein weiteres Schulprojekt ist bereits in Planung.
Von Marion Heiniger