Hochdruck beim Hochwasserschutz
Ursenbach macht ernst mit den Hochwasserschutzmassnahmen. An einem Mitwirkungsanlass stellte die Gemeinde drei Projektvarianten vor, die alle die gleichen Rückhaltebecken beim Moosbach und Oeschenbach sowie die Renaturierung des Flüemattgräblis vorsehen, sich aber bei Käsereibrücke und der Bachführung im Dorf unterscheiden. Die Gesamtkosten (+/- 20 %) werden auf 1,474 bis 1,672 Millionen Franken geschätzt, wobei Bund und Kanton knapp zwei Drittel subventionieren dürften. Bauzeit
soll zwischen 2026 und 2028 sein.
Ursenbach · Der weitgehend fehlende Hochwasserschutz ist in Ursenbach nicht erst seit den jüngsten verheerenden Unwettern 2007 und 2021 ein Dauerthema. Das wurde am Mitwirkungsanlass bei den Voten der rund 60 Anwesenden immer wieder deutlich, die wiederholt auch von Ereignissen aus den fernen 70er- und 80er-Jahren berichteten. Dass Massnahmen getroffen werden müssen, darüber gab es an diesem Abend denn auch keine geäusserten Zweifel. «Wenn das Projekt abgelehnt wird und später etwas passiert, dann sind wir alle in der Verantwortung und wir wären froh gewesen, wenn wir doch etwas gemacht hätten», brachte Gemeindepräsident Roland Lörtscher nicht nur seine Bedenken auf den Punkt.
Markant höhere Niederschlagsmengen
Nach verschiedenen Begehungen zwischen 2010 und 2018 wurde 2020 eine Konzeptstudie fertiggestellt. Von den ursprünglich sieben in Betracht gezogenen Rückhaltebecken wurden dabei fünf als wenig sinnvoll erachtet. 2022 wurde jedoch der als Grundlage für die Studie verwendete «Hydrologische Atlas der Schweiz» aus dem Jahre 2009 revidiert, der markant höhere Niederschlagsmengen prognostiziert. Ein Jahrhundertereignis (HQ100) wurde so zu einem HQ30-Ereignis, das statistisch einmal alle 30 Jahre eintreffen könnte. «Das hat uns alle erschreckt», liess Roland Lörtscher durchblicken. Gegenwärtig wird für Ursenbach eine neue Gefahrenkarte erarbeitet, die im April 2024 vorliegen dürfte.
Zwei grosse Rückhaltebecken
Im August 2023 wurde das Hochwasserschutzvorprojekt für Ursenbach abgeschlossen, mit drei verschiedenen Varianten, die sich bei der Bachführung im Dorf und der Käsereibrücke unterscheiden. Allen drei Varianten gleich sind aber die beiden Rückhaltebecken beim Oeschenbach (Gesamtlänge 183 Meter, 4,1 Meter Dammhöhe, Bodenfläche 2 350 m2, Retentionsvolumen 14 100 m3) und beim Moosbach (125 Meter Länge, 3 Meter Dammhöhe, Bodenfläche 1050 m2, Retentionsvolumen 4100 m3) sowie die Renaturierung des Flüemattgräblis. Aufgrund der Erkenntnisse der neuen Gefahrenkarte könnten die Varianten noch Änderungen erfahren wie zum Beispiel zusätzliche Rückhaltebecken, gab Roland Lörtscher zu verstehen. Bereits jetzt hat das Hochwasserschutzprojekt Konsequenzen für die Badisanierung, die zeitlich zurückgestellt werden muss. Es mache wenig Sinn, die Badi zu sanieren, wenn die Gefahr bestehe, dass diese bei einem Hochwasser überschwemmt würde. Somit dürfte die Badisanierung erst nach 2028 erfolgen, erklärte Roland Lörtscher. Der Badibetrieb könne aber weitestgehend ohne Einschränkungen aufrecht gehalten werden.
Kein finanzielles Abenteuer
Alle drei vorgelegten Hochwasserschutzmassnahmenvarianten sind auf (aktuelle) HQ-30-Ereignisse ausgerichtet, was in etwa dem Hochwasser von 2007 entspricht. «Warum nicht HQ-100?», stellte der Gemeindepräsident die Frage gleich selber in die Runde. «Wir müssten das Dorfzentrum erheblich umgestalten und es wären noch grössere Rückhaltebecken nötig. Vor allem aber wollen wir die Gemeinde nicht in eine finanzielle Katastrophe hineinmanövrieren mit massiver Verschuldung und möglicher Steuererhöhung», betonte Roland Lörtscher. Die geplante Renaturierung des Flüemattgräblis sowie eine mögliche Bachoffenlegung im Dorfzentrum hätten nicht nur einen ökologischen Wert, sondern würden die Subventionsbeiträge von Bund und Kanton deutlich erhöhen, erklärte Christoph Matti (Oberingenieurkreis IV des Tiefbauamtes Kanton Bern) den Ursenbachern. Er erwarte je nach Projektvarianten mit 63 oder 64 Prozent. «Ich sehe sogar gute Chancen für 68 Prozent», so Matti.
Einigung mit Landbesitzenden zentral
«Knackpunkt für das Projekt wird die Einigung mit den Landbesitzern sein», machte Roland Lörtscher weiter klar. Mit den Landbesitzerinnen und Landbesitzern hat am 17. Juni eine Vor-Ort-Besichtigung und am 11. September eine Orientierung über die anwendbare Entschädigungs-Regelung stattgefunden. Zwar bestehe bei diesem Hochwasserschutzprojekt ein Enteignungsrecht (Enteignungstitel), erklärte Christoph Matti, doch werde man diese in keinem Fall anwenden, betonte er. «Es beruht alles auf Freiwilligkeit. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, wird das Projekt zurückgestellt, bis sich neue Lösungen ergeben», so Christoph Matti. Roland Lörtscher konkretisiert auf Anfrage gegenüber dem «Unter-Emmentaler», dass man bei Uneinigkeit gegebenenfalls Verhandlungen mit einem anderen Landbesitzer aufnehmen und beispielsweise die Standorte der Rückhaltebecken verschieben könnte.
Nachbargemeinden gesprächsbereit
Wie geht es weiter? Bis am 12. November läuft die Mitwirkung, zu der mittels Formular weitere Eingaben gemacht werden können. Danach wird ein Mitwirkungsbericht erstellt, bei dem auch die Voten aus dem Mitwirkungsanlass einfliessen werden. Hier gaben vor allem die Bedenken von betroffenen Landbesitzenden über die Grösse der Renaturierung und Bachführung im Dorfkern zu reden. Zudem wurde angeregt, bei den Hochwasserschutzmassnahmen nicht nur die Bachläufe zu berücksichtigen, sondern auch die Wassermassen, die über das Land zu den Liegenschaften vordringe. An der Gemeindeversammlung vom 4. Dezember dürfte über den Planungs-Verpflichtungskredit abgestimmt werden. Nach der Ausarbeitung des Bauprojekts durchlaufe dieses das Bewilligungsverfahren (2024/2025). 2025 oder 2026 werde der Gesamtkredit an der Gemeindeversammlung vorgelegt. Als Bauzeit wird 2026 bis 2028 angegeben. In das ganze Verfahren werden auch Nachbargemeinden mit einbezogen. So waren Katharina Hasler (Gemeindepräsidentin Walterswil) und Niklaus Flückiger (stellvertretender Gemeindepräsident Oeschenbach) anwesend. Katharina Hasler erklärte, dass ihre Gemeinde bisher noch nicht in das Hochwasserschutzprojekt von Ursenbach involviert war, signalisierte aber wie Niklaus Flückiger Gesprächsbereitschaft.
Variante 1
Die Variante 1 sieht eine Sanierung der Käsereibrücke und den Bau eines Staukragens vor, die Sanierung des Durchlasses, höhere Mauern und einen Neuverbau der Bachsohle vor dem Käserei-Durchlass. «Damit könnte ein Abfluss von 6 m3 pro Sekunde (aktuell sind es rund 3 m3) erzielt werden, was knapp einem HQ-30-Ereignis entspricht», erklärte Roland Lörtscher. Positiv sei, dass nur ein kleiner Eingriff im Dorfkern nötig sei, dafür wäre der Kostenanteil der Gemeinde Ursenbach höher, da weder die Sanierung der Brücke noch die des Durchlasses subventionsberechtigt seien. Kostenschätzung: 1,474 Millionen Franken; Anteil Ursenbach: 549 000 Franken.
Variante 2
Bei der Variante 2 wird ein Abbruch der Käsereibrücke sowie der Rückbau des dortigen Durchlasses und die Sanierung der bestehenden Schmittenbrücke vorgeschlagen. Dazu wäre ein Neubau des Fuss- und Veloweges sowie eine Neuführung der Zufahrtsstrasse zur Käserei (Schleppkurven) und punktuelle Uferanpassungen bei der Badi und am Bachbord nötig. Mit diesen Massnahmen würde ein Abfluss von 7,5 m3 pro Sekunde erreicht werden, was HQ30+ entspricht. Zudem kann mit höheren Subventionen und Beiträgen aus dem Renaturierungs-Fonds gerechnet werden. Dagegen würde die direkte Zufahrt zur Käserei verschwinden und es wären mehr Landbesitzende betroffen. Zudem sei die Statik der Schmittenbrücke fraglich, so dass eventuell ein Neubau nötig wäre. Kostenschätzung: 1,553 Millionen Franken; Anteil Ursen-bach: 574 000 Franken.
Variante 3
Bei der Variante 3, die der Gemeinderat offiziell bevorzugt, würde die Käsereibrücke mit grösserer Spannweite verschoben, der Käsereidurchlauf zurückgebaut, die Bachführung verschoben und geöffnet sowie der Gewässerraum renaturiert. Auch hier gäbe es Uferanpassungen bei der Badi und am Bachbord. Damit würde ebenfalls ein Abfluss von 7,5 m3 pro Sekunde erreicht. Da die Nachhaltigkeit hier am grössten sei, dürfte mit den höchsten Subventionen und Beiträge aus dem Renaturierungs-Fonds gerechnet werden. Dagegen wären hier mehr Landbesitzende betroffen. Kostenschätzung: 1,672 Millionen Franken, Anteil Ursenbach: 595 000 Franken.
Von Thomas Peter