• Ambros Blumenthal zeigt mit dem Wanderstock seinem Hund die Richtung an, in die er gehen soll.

  • Mit Kenndecke und Bringsel ist Chivas als Rettungshund gut zu erkennen.

  • Organisator Thomas Egli (links) wartet, bis Labrador Chivas für die Wegsuche bereit ist.

  • Aktive Mitglieder der Redog Regionalgruppe Solothurn. (Von links) stehend: Peter Jegerlehner mit Ginger, Roger Dutoit mit Eve, Lenny Jegerlehner, Thomas Egli, Ambros Blumenthal mit Chivas. (Von links) kniend: Eva Federli mit Deela, Jacqueline Büchi mit Deacon, Andreas Lehner mit Csinos, Cassandra Gerhardt mit Inuk. · Bilder: Marion Heiniger

20.08.2020
Emmental

Hunde auf der Suche nach Vermissten

Verunfallte Wanderer, Demenzkranke, die nicht mehr zurückfinden, Kinder, die von Zuhause weglaufen oder Lebensmüde: Wenn Menschen vermisst werden, können sich deren Angehörige an den Verein Redog wenden. Doch bis die Hunde in der Lage sind, Vermisste zu finden, braucht es ein jahrelanges Training. Am vergangenen Samstag haben beim Oberwald drei Hunde mit ihren Führern der Regionalgruppe Solothurn das letzte grosse Training vor der nationalen Prüfung absolviert. Einer von ihnen ist Ambros Blumenthal mit seinem sechseinhalbjährigen Labrador-Rüden Chivas.

Dürrenroth · Ruhig, aber zügig läuft Ambros Blumenthal einen Hügel hinab, seinem Hund Chivas hinterher. Hin und wieder ruft er Anweisungen in dessen Richtung. Das Gelände ist steil, aber übersichtlich. Systematisch sucht der Hund das Gebiet ab. Er läuft nach rechts und nach links, dann wieder ein Stück geradeaus. Hinter einer Gartenhacke, die bei einem grossen «Pflanzplätz» steht, wurde ein Rucksack versteckt. Diesen soll Chivas finden und den Fund seinem Hundeführer anzeigen. Ambros Blumenthal weiss nicht wo, was und wie viel Sachen in dem 130 000 Quadratmeter grossen Suchgebiet versteckt wurden, damit er seinen Hund bei der Suche nicht beeinflussen kann.
Hin und wieder schaut Blumenthal auf sein GPS-Gerät, damit er innerhalb des vorgegebenen Gebietes bleibt. Sein Hund Chivas ist einer von drei Redog-Geländesuchhunden in Ausbildung, der an diesem Samstagvormittag beim Oberwald oberhalb Dürrenroth sein letztes grosses Training vor der nationalen Prüfung absolviert. Machen die beiden heute alles richtig, werden sie zur Prüfung zugelassen. Meistern sie auch diese mit Erfolg, können Ambros Blumenthal und Chivas danach auf der Suche nach vermissten Personen schweizweit eingesetzt werden.
Redog ist ein gemeinnütziger und humanitärer Verein, der Such- und Rettungshunde ausbildet. Er besteht schweizweit aus rund 750 Mitgliedern und 580 Hunden, unterteilt in 12 Regionalgruppen. Redog leistet Einsätze im In- und Ausland. So fanden beispielsweise im Jahr 2017 drei Einsätze bei Katastrophen und 20 Sucheinsätze statt. Die Regionalgruppen finanzieren sich grösstenteils über Spenden. An den Verein, der unentgeltlich arbeitet, kann sich jeder wenden. Er ist Teil der schweizerischen Rettungskette und dem Roten Kreuz unterstellt. Die zehn Männer und Frauen, die an diesem Samstag mit ihren Hunden beim Oberwald umherlaufen und die Aufmerksamkeit der Spaziergänger auf sich ziehen, gehören zur Regionalgruppe Solothurn.

Menschliche Gerüche
Zurück zum Training: In der Zwischenzeit hat der sechseinhalbjährige Labrador Chivas den Rucksack hinter der Gartenhacke gefunden und einen weiteren hinter einem Holzstoss. Er zeigt dies seinem Meister an, in dem er einen sogenannten «Bringsel», welcher am Halsband befestigt ist, in seinen Fang nimmt und zu ihm zurückkehrt. «Hunde nehmen jeden menschlichen Geruch war, deshalb finden sie auch Rucksäcke, wenn ihn zuvor eine Person getragen hat», erklärt Jacqueline Büchi. Sie ist heute eine der sogenannten Search and Rescue (SAR) Helferinnen. Diese unterstützen die Hundeführer, damit sie sich auf ihre Hunde konzentrieren können. In der einen Hand hält sie ein Funkgerät, in der anderen ein GPS-Gerät, auf dem das Gebiet eingezeichnet wurde, das vom Hund-Mensch-Team abgesucht werden muss. Zwei Rucksäcke und eine Person – ein Figurant – wurden in dem grossen Suchgebiet zuvor versteckt. «Umstehende Personen beachten die Hunde während der Suche nicht. Sie werden darauf trainiert, vor allem nach liegenden und sitzenden Menschen zu suchen», erklärt Jacqueline Büchi weiter.
Chivas ist unterdessen nach einer kurzen Pause mit viel Lob, einer leckeren Belohnung und mit Mineralien angereichertem Wasser wieder unterwegs. Ambros Blumenthal arbeitet mit akustischen Anweisungen und mit Körpersprache. Er dirigiert seinen Hund durch das vorgegebene Gebiet, zeigt ihm mit seinem Wanderstock die Richtung an, in der er suchen soll. Chivas gehorcht aufs Wort, reagiert beinahe zeitgleich und mit einer beeindruckenden Leichtigkeit auf die Befehle von Ambros Blumenthal. Doch die Geländesuche ist alles andere als einfach. «Die Hunde leisten dabei Höchstarbeit», betont Jacqueline Büchi. Ihre Augen ruhen noch immer auf dem GPS-Gerät. Langsam läuft sie dem Hund-Mensch-Team hinterher und beobachtet ihre Bewegungen genau. Chivas ist bereits den Hügel hinauf in Richtung Wald gelaufen. Für Ambros Blumenthal wird es hier etwas unübersichtlicher.
Damit er weiss, wo sein Hund sich gerade befindet, hat dieser an der umgeschnallten Kenndecke kleine Glöckchen. Immer wieder verliert Ambros Blumenthal seinen Hund aus dem Blickfeld. Er dirigiert ihn nun nur noch mit akustischen Anweisungen. Schon bald ist auch der Figurant gefunden. Chivas hat den ersten Teil des Trainings mit Bravour gemeistert und Ambros Blumenthal ist mit der Leistung seines Hundes zufrieden. Noch eine kleine Pause beim Auto, dann geht es zum zweiten Test – der Wegsuche.

Hochleistungsorgan Hundenase
Die Aufgabe bei der Wegsuche ist in etwa die Gleiche wie bei der Sektorsuche. Wieder soll der quirlige Labrador mit dem glänzenden braunen Fell zwei Rucksäcke und eine Person finden. Dieses Mal bleibt Ambros Blumenthal auf dem Waldweg, während er seinen Hund parallel dazu durch den Wald schickt. «Wir suchen hauptsächlich die Seite gegen unten ab, da Wanderer normalerweise nach unten stürzen», erklärt nun Thomas Egli. Der Dürrenrother hatte das Training an diesem Samstag organisiert. Der erste Rucksack, nicht sichtbar hinter einem Baum versteckt, ist von Chivas schnell gefunden. Die vermisste Person ebenfalls. Mit der Nase weit oben in der Luft, um die vielen verschiedenen Gerüche aufzunehmen und um den Geruch von Menschen herauszufiltern, rennt Chivas weiter durch den dichten Wald. Seine Nase ist ein wahres Hochleistungsorgan.
Bis zu 300 Millionen Riechzellen hat ein Hund. Das Riechhirn umfasst zehn Prozent des gesamten Hundehirns. Ähnlich wie die Augen kann die Hundenase rechts und links differenzieren. Der Hund riecht also Stereo und kann mehrere Fährten gleichzeitig verfolgen. Im Vergleich dazu hat der Mensch rund fünf Millionen Riechzellen und das Riechhirn macht gerade einmal ein Prozent aus. Doch trotz seiner feinen Nase findet Chivas den zweiten Rucksack nicht, der unter einem kleinen Brunnen versteckt wurde. Ambros Blumenthal ist dennoch zufrieden.
«Es kommt immer wieder vor, dass ein Rucksack nicht gefunden wird, nicht nur bei meinem Hund. Die vermissten Personen hat er bisher aber immer gefunden und das ist ja das, was zählt», erklärt der 47-jährige Familienvater. Zurück am Ausgangsort erfährt Ambros Blumenthal erfreut, dass Chivas an die nationale Prüfung zugelassen werden kann.
Die rund dreijährige Ausbildung hat sich für das gut eingespielte Team gelohnt. Wenn im Herbst alles rund läuft, wird der Verein Redog im Ernstfall zukünftig auch Ambros Blumenthal und Chivas für die Suche nach Vermissten Personen einsetzen können.

Infos und Spenden: www.redog.ch. Notfallnummer: 0844 441 144.

Von Marion Heiniger