• Er bleibt ein politischer und unternehmerisch denkender Mensch: Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann beschäftigt sich nach wie vor mit den aktuellen politischen Themen. · Bild: Leroy Ryser

  • Zu wenig demütig, zu genügsam: «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht stehen bleiben», appelliert Johann Schneider-Ammann an das Schweizer Volk. · Bild: Leroy Ryser

  • Er traf die Grossen der Weltpolitik, wie hier die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. · Bild: keystone

17.08.2023
Langenthal

«Ich beschäftige mich heute mit Dingen, die ich früher nicht für möglich hielt»

Er war der erste Langenthaler Bundesrat. Johann Niklaus Schneider-Ammann sass als FDP-Bundesrat von 2010 bis 2018 in der Schweizer Landesregierung. Als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung setzte er sich vehement für den Wirtschaftsstandort Schweiz ein und prägte den Spruch: «Jobs, Jobs, Jobs». Mittlerweile ist es ruhiger geworden um den ehemaligen Ammann-Unternehmer. Der «Unter-Emmentaler» hat ihn am Firmensitz in Langenthal besucht , sich mit ihm unterhalten und dabei erfahren, dass sich Johann Schneider-Ammann heute vorwiegend mit Dingen beschäftigt, die er früher nicht für möglich hielt.

Langenthal · Im obersten Stock des Firmen-Hauptsitzes der Ammann-Gruppe beim Bahnhof in Langenthal treffen wir einen gut gelaunten Alt-Bundesrat Johann Niklaus Schneider Ammann an, der die beiden Journalisten des «Unter-Emmentalers» entspannt, locker-léger gekleidet in Hemd und Hosenträger, empfängt. Dabei macht er gleich klar, dass er für ein «Schickimicki-Interview» nicht zu haben sei – auch wenn er nicht mehr Unternehmer und Bundesrat ist, einen gewissen Stellenwert sollte das Interview doch haben.
Dabei lässt er sein Unternehmer-Herzblut gleich bei der Begrüssung durchblicken, als er den schreibenden Journalisten darauf hinweist: «Erwähnen Sie dann, dass der junge Mann hier sein berufliches Rüstzeug bei der Firma Ammann in Langenthal erworben hat», ist er erfreut darüber, dass Fotograf Leroy Ryser in dieser Firma seine kaufmännische Ausbildung absolviert hat. Das ist bereits über zehn Jahre her und mittlerweile ist der ehemalige «KV-Stift» als Kommunikationsfachmann bei einer Regionalbank sowie als freischaffender Journalist tätig. Noch nicht so lange zurück liegt der Rücktritt von Johann Schneider-Ammann aus dem Bundesrat (2018) und doch ist es merklich stiller geworden um den ersten Langenthaler Bundesrat. Die Frage drängt sich deshalb gleich zu Beginn auf: Was macht eigentlich der Alt-Bundesrat und ehemalige Ammann-Firmenchef heute?

Unmenschlich gefüllte Agenda
«Ich habe ganz viele Interessen und meine Agenda ist fast so voll wie früher als Bundesrat», gibt er zu verstehen, um dann gleich lachend hinzuzufügen: «Nein, das stimmt natürlich nicht ganz. Als Bundesrat war meine Agenda oft unmenschlich gefüllt, heute fühlt sich meine Agenda menschlich an und ich beschäftige mich mit Dingen, die ich früher nicht für möglich hielt», erwähnt der 71-jährige Alt-Bundesrat. So stehe er beispielsweise regelmässig auf dem Golfplatz im Wylihof, nachdem er zu den Gründungsmitgliedern dieses Golfclubs gehört, viele Jahre aber gar nie gespielt habe.
Aber rasch wird beim Gespräch mit Schneider-Ammann klar, dass er ein politischer und unternehmerisch denkender Mensch geblieben ist. Als Bundesrat habe er immer betont, dass man «Jobs, Jobs, Jobs» schaffen müsse, doch heute müsse er an die Schweizer Bevölkerung den Appell richten: «Go, go, go». «In diesem Land müssen wir aufpassen, dass wir nicht stehen bleiben», begründet er seinen Aufruf. Es sei unsere vordringlichste Aufgabe, dass in diesem Land jeder eine Ausbildung erhalte, macht er klar, dass ihn dieses Thema nach wie vor stark beschäftigt. Gleichzeitig ist der ehemalige Unternehmer skeptisch, denn die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung habe auch zu einem Mentalitäts-Wandel geführt, stellt er fest. «Wir befinden uns in einer Situation, in der sehr viele das Geld für sich arbeiten lassen können, während wir früher das Geld hart verdienen mussten. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung», findet Johann Schneider-Ammann.

CS-Debakel: Selbstgefällig unterwegs
Das beste Beispiel für diese Entwicklung sei das CS-Debakel, gibt er zu verstehen. Hier seien sehr viele Personen überaus selbstgefällig unterwegs gewesen. «Wäre ich zehn, 20 Jahre jünger, hätte ich mich energisch gegen den Untergang dieser Grossbank gewehrt. Denn ich bin überzeugt, dass wir heute noch gar nicht abschätzen können, was nach diesem Debakel noch alles auf uns zukommen wird», befürchtet der Alt-Bundesrat, dass diese leidige Geschichte noch ein unschönes Nachspiel haben könnte. Damit machte er klar, dass ihn das politische Geschehen nach wie vor interessiert. «Klar doch, bereits morgens um sieben Uhr informiere ich mich über das aktuelle Geschehen rund um den Globus.» Dass wir in seinem Büro am Ammann-Hauptsitz in Langenthal sitzen, weist darauf hin, dass er auch weiterhin mit seiner ehemaligen Firma stark verbunden ist und vielleicht sogar seinen beiden Kindern, Hans-Christian Schneider und Daniela Aeschlimann-Schneider, die das Familienunternehmen leiten, auf die Finger schaut. «Nein, auf keinen Fall», winkt Johann Schneider-Ammann ab, davon sei er weit entfernt. «Wir haben einen guten Weg gefunden, wie wir miteinander umgehen und wie die Firma geführt werden soll.» Die Beziehung zu seinen beiden Kindern sei intensiv, manchmal kämen sie mit Fragen zu ihm. «Das geschieht aber nicht in erster Linie, weil die beiden das Gefühl haben, der Vater habe dies nötig, vielmehr kann ich ihnen mit meinen Erinnerungen weiterhelfen, weil ich nach wie vor viele Leute im Markt kenne und deshalb meine Erfahrung für das Unternehmen einbringen kann.»

Einsatz für Schweizer Souveränität
Die Zeit als Bundesrat liegt bereits fünf und mehr Jahre zurück, auch für Johann Schneider-Ammann? Mit einzelnen Bundesräten finde sporadisch noch ein Austausch statt, sagt er. Vielmehr beschäftigt in die aktuelle politische Lage, in der sich unser Land befindet. Er versichert, dass er sich auch im «Ruhestand» für die Souveränität dieses Landes einsetzen wird. Die Schweiz sei so gut unterwegs und habe eine Gesellschaftsordnung installiert, die es jedem in diesem Lande ermögliche, gut unterwegs zu sein. «Es wäre verheerend, wenn wir diese Errungenschaft opfern müssten», blickt er mit Sorge auf die Beziehung mit dem übrigen Europa. Dabei betont Schneider-Ammann, dass die EU-Staaten unsere Nachbarn seien, das sei schon zu seiner Zeit als Unternehmer so gewesen und mit diesen Nachbarn müsse man einen Konsens finden. «Wir sind glücklich, hier mitten in Europa zu Hause sein zu dürfen. Dazu müssen wir unseren Teil beitragen, aber nicht auf Kosten unserer Souveränität», hat der Alt-Bundesrat bei diesem Thema eine klare Haltung. Gleichzeitig ist er aber auch überzeugt: «Hilf Dir selbst, denn uns wird niemand helfen.» Er habe jedoch grosses Vertrauen in die politische Elite in Bern.

Wieder demütiger werden
Was er diesbezüglich aber vermisse, sei eine gewisse Demut in unserer Gesellschaft. «Staatsführung ist nämlich auch eine «Aufgabe, die mit Demut verrichtet werden sollte», bemerkt er. Eine etwas demütigere Haltung sollte seiner Meinung nach aber nicht nur von den politischen Amtsträgern, sondern von der gesamten Gesellschaft bewusster gelebt werden. «Diese Eigenschaft ist uns abhandengekommen, was aber nicht verwunderlich ist, wenn man jedes Jahr einen fetten Bonus erhält, mit dem viele gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen», lässt der Alt-Bundesrat nun sogar eine Portion Ironie aufblitzen. Beim Blick auf seine Heimatstadt Langenthal sagt Johann Schneider-Ammann, dass die Stadt besser dastehe als das da und dort wahrgenommen werde. «Langenthal hat in den letzten Jahrzehnten mehr gemacht, als bloss die Strassen verbreitert», sagt er. Allerdings ist er auch der Meinung, dass noch mehr möglich wäre und man dafür kämpfen sollte. Als Beispiel diene ihm da Langnau. «Schauen sie, was die mit den SCL Tigers machen. Das ist ein unschätzbarer Wert für dieses Dorf und dafür engagieren sie sich in dieser Region mit Leib und Seele. Ein solches Projekt ist identitätsstiftend, das sollten wir hier ebenfalls haben.» Er selber, das macht er zum Schluss des interessanten Gesprächs klar, jage keinen grossen Träumen mehr nach. «Nein, ich habe in meinen Leben alles gehabt, was ich mir wünschte. Ich konnte alle Schulen absolvieren, die ich wollte, auch im Ausland, was zur damaligen Zeit nicht selbstverständlich war. Ich habe mich beruflich und im Militär engagiert und verwirklicht. Dazu hatte ich stets eine sehr gute familiäre Umgebung. Gemeinsam waren wir immer gut unterwegs und haben keine Energie für familiäre Auseinandersetzungen verschwendet.» Er wolle nicht mehr UNO-Generalsekretär werden, erwähnt er lachend. Lieber beschäftige er sich mit Dingen, die er früher nicht für möglich hielt, beispielsweise mit einem Golfball, weist Johann Schneider-Ammann darauf hin, dass sein nächster Termin ansteht und dieser auf dem Golfplatz im Wylihof stattfindet.

Serie «Was macht eigentlich ...»
... Johann Niklaus Schneider-Ammann? In unserer Region gibt es viele Persönlichkeiten, die viele Jahre lang lokal, kantonal, manche national, einzelne sogar international im Rampenlicht standen. Sie haben mit ihrem Wirken Institutionen oder ganze Regionen geprägt. In einer Serie besucht der «Unter-Emmentaler» verschiedene Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport und erkundigt sich, was die Person heute macht. Dazu werfen wir einen Blick zurück auf ihr Wirken. Zum Start unserer Serie waren wir bei Altbundesrat Johann Schneider-Ammann. 

Von Walter Ryser