«Ich kann es nicht anders sagen: Es ist der ‹ärdeschönscht› Tag in meinem Leben»
Mit seinem Sieg am Jubiläums-Schwingfest in Appenzell sorgte der erst 19-jährige Fabio Hiltbrunner vom Schwingklub Sumiswald für eine der grössten Sensationen in der 129-jährigen Geschichte des Eidgenössischen Schwingerverbands. Der «UE» besuchte den Überraschungs-Champion daheim in Schmidigen-Mühleweg.
Schwingen · War der vergangene Sonntag im Appenzell der bislang schönste Tag in Ihrem Leben?
Ja, einfach nur ja. Es war ‹ärdeschön› – der bislang schönste Tag in meinem Leben, ganz klar.
Die Siege über die «Eidgenossen» Mike Müllestein (2. Gang), Werner Schlegel (5. Gang) und am Ende – als Kirsche auf der Sahnetorte – Schwingerkönig Joel Wicki (6. Gang) waren der Schlüssel zum sensationellen Festsieg. Wieso waren Sie gegen die höher dotierten Gegner so erfolgreich?
Ich hatte noch nie ein solch gutes Gefühl an einem Schwingfest. Ich war bei jedem Gang – ausser jenem gegen Samuel Giger – so dermassen überzeugt, dass ich gewinnen werde. Das Berner Team pushte mich dermassen, dass ich bei fünf Gängen in einen Tunnel geriet, total fokussiert war. Ich strotzte vor Selbstvertrauen.
Wie gelang es Ihnen, den Schwingerkönig zu knacken?
Meine geplante Taktik ist aufgegangen. Als ich aus der Garderobe in Richtung Arena gelaufen bin, ist mir der Rigi-Schlussgang 2023 zwischen Pirmin Reichmuth und Joel Wicki durch den Kopf gegangen. Joel kommt eigentlich nie beim ersten «Guet» mit Übersprung. So habe ich seinem ersten explosiven Kurz-Zug – wie damals Reichmuth auf der Rigi– einfach Stand gehalten. Beim zweiten Zusammengreifen habe ich mich etwas anders hingestellt und auf das «Guet» war ich darauf gefasst, dass Joel sofort mit dem Übersprung angreift. Ich konnte reflexartig kontern, womit meine Rechnung aufgegangen ist.
Haben Sie auf Anhieb realisiert, dass Sie mit dem Sieg über Wicki mit der Note 10,00 das Fest gewonnen haben?
Nein, überhaupt nicht. Ich war einfach nur glücklich darüber, den amtierenden Schwingerkönig geschlagen zu haben.
Im dritten Gang kämpften Sie – wie angetönt – gegen Samuel Giger. Was fehlte, um auch noch den Thurgauer Hünen auf den Rücken zu legen?
Bei diesem Gang stimmte es im Kopf nicht. Ich kam nicht in den Tunnel wie bei den anderen fünf Gängen.
Nachdem Ihr Husarenstreich fest stand, wollten alle Leute etwas von Ihnen. Ein Gratulations- und Medien-Marathon begann. Ihre Anzahl Follower auf Instagram sind auf 4300 hochgeschnellt. Erzählen Sie.
Ich wurde geradezu überflutet. Ich mag den Rummel nicht sehr gerne, bin eine Person, die nicht im Mittelpunkt stehen will. Wenn es eine Ansammlung von Menschen hat, gehe ich gerne daran vorbei. Am liebsten hätte ich den Triumph einfach mit dem Berner Team in der Garderobe gefeiert. Das war aber erst eine gefühlte Ewigkeit später möglich. Beim Interview-Marathon versuchte ich mich deshalb möglichst kurz zu halten, um rasch zum Berner Team zu können. Um mit jenen Leuten zu feiern, welche diesen grossen Erfolg möglich machten.
Gehörte Frau Bundesrätin Viola Amherd zu den Gratulantinnen?
Nein.
Der Medienrummel um Ihre Person wird nun extrem. Haben Sie etwas Respekt davor?
Sehr. Bereits ist die ganze Woche nach dem Schwingfest mit Terminen verplant. Gut, hatte ich am Montag noch frei. Es ist schön, dass sich die Medien für mich interessieren. Wenn es mir zuviel wird oder mein Training – vier- bis sechsmal in der Woche – darunter leidet, werde ich aber sofort reagieren.
Der Blick veröffentlichte kurzerhand ein Video von 2015, in dem Sie als 10-jähriger Jungschwinger darüber berichten, dass es Ihnen nichts ausmacht, wenn die am Jungschwingertag gewonnenen Kaninchen später in der Pfanne landen. Wie stehen Sie zum Sensationsjournalismus?
Solche Sachen sind natürlich gefundenes Fressen. Mein Vorteil ist, dass ich nur selten Medien konsumiere. Dann mache ich mich auch nicht verrückt damit, was da alles geschrieben oder gepostet wird.
Zukünftige Tritte ins Fettnäpfchen dürften alle publik werden.
Dies ist mir völlig bewusst. Gerade in den sozialen Medien ist es heute sehr heikel. Ich bin froh, dass ich mit meinem Cousin jemanden in der Familie habe, der künftig diese Sachen managt, damit ich mich auf den Schwingsport konzentrieren kann.
Schon während dem Fest erwähnten Sie immer wieder, dass das Berner Team der Schlüssel zum Erfolg sei.
Das Teamerlebnis mit einem Berner Doppelsieg war gigantisch. Ich kriege jetzt noch Hühnerhaut, wenn ich daran denke. Den ganzen Tag über waren wir wie eine Familie – eine absolute Einheit. In der Garderobe haben wir zusammen geschwätzt, uns über die Gegner ausgetauscht, Musik gehört oder gejasst – und dies total durchmischt, also egal, welchem Gauverband angehörend. Die Handys blieben die ganze Zeit über in den Sporttaschen. Und wie wir uns rund um die Sägemehlringe während den Kämpfen gegenseitig angefeuert und zu den
resultierenden Topklassierungen getrieben haben, bleibt mir für immer in bester Erinnerung.
Wie ist es, an einem Schwingfest mit Eidgenössischem Charakter vor Ihrem Vorbild Matthias Aeschbacher klassiert zu sein, von ihm bejubelt und schliesslich auch geschultert zu werden?
Es rührt mich zu Tränen. Wir sind eine so gute Truppe beim Schwingklub Sumiswald. Und «Disu» hat mir soviel beigebracht. Dann von ihm und Patrick Schenk – den beiden «Eidgenossen» – hochgehoben zu werden, «das isch scho obeuse» (Hiltbrunner kriegt feuchte Augen).
Auch Schwingerkönig Christian Stucki ist ein Vorbild von Ihnen. Sie tragen an den Schwingfesten das gleich weinrote Hemd wie er damals. Ausserdem haben Sie sogar in seinen Schuhen gesiegt.
Wer die «Gmüetsmore» Christian Stucki als Mensch nicht mag, dem ist nicht zu helfen. Ich habe ihn 2018 am Seeländischen Jungschwingertag, wo er als Kampfrichter im Einsatz stand und ich und mein Bruder Remo unsere Nachwuchskategorien gewannen, als damals 12-jähriger Bursche gefragt, wo er seine Schuhe her hat, weil er wie ich die Übergrösse 51 trägt, die nicht gerade einfach zu bekommen ist. Er hat nicht viel geantwortet. Nur die Gegenfrage gestellt, ob ich junger Spund schon so grosse Füsse habe? Am Abend an der Rangverkündigung stand «Chrigu» dann plötzlich vor mir und hat mir ein paar seiner Schuhe geschenkt, die er extra bei ihm Zuhause geholt hatte. Ein unvergesslicher Moment. Weil sich bei meinen Schuhen die Sohle abgelöst hat, griff ich für das Jubiläums-Schwingfest auf die Stucki-Schuhe zurück. Ich habe tatsächlich in seinen Glücksbringer-Schuhen gesiegt.
«Ich mag ihm den Sieg von Herzen gönnen. Ich hoffe, dass dieser Sieg massgebend für seine weitere Karriere ist», sagte Christian Stucki im Schweizer Fernsehen über Sie.
Dies von einer solchen Persönlichkeit zu hören, ehrt mich sehr.
Sie haben den Schönschwingerpreis und damit den speziellen Brunnen, der aus einem 170-jährigen Fichtenstamm gefertigt wurde und in der Arena stand, geschenkt gekriegt. Wo wird er platziert?
Dieses Geschenk freut mich sehr. Der Brunnen kriegt im Garten einen Ehrenplatz. Mein Vater hat ihn zusammen mit meinem Onkel und einem Freund am Montag im Appenzell abgeholt.
Nach der Rangverkündigung begannen die Feierlichkeiten. Sie haben kein Auge zugetan und traten direkt vom Feiern am frühen Montagmorgen die Heimreise an. Daheim erwartete Sie der nächste Medienmarathon, ehe erst um 13 Uhr ein kurzer Powernap möglich wurde. Was bleibt vom Feier-Marathon in Erinnerung?
Zuerst feierten wir als Berner Team in der Garderobe. Anschliessend ging die Partynacht im Festzelt weiter. Dort traf ich dann auch meine Familienmitglieder und etliche Kollegen, die extra ins Appenzell gereist waren, um mir zu gratulieren. Am frühen Morgen brachte mich mein Schwingerkollege Michael Moser, der an der Feier auf Alkohol verzichtete, mit dem Auto nach Hause.
Ist viel Alkohol geflossen?
Es floss schon reichlich Bier. Aber ich persönlich habe mich zurückgehalten. Ich trinke das ganze Jahr über keinen Alkohol und ertrage ihn deshalb auch sehr schlecht. Ich wollte meinen Triumph auskosten und nicht mit einer «sturmen Bire» verpassen.
Wie teuer kommt Sie die Siegesfeier mit dem Berner Team zu stehen?
Ich habe schon ein paar Runden bezahlt. Allerdings war es ja praktisch, da ich mich immer mit dem zweiten Sieger Staudenmann abwechseln konnte.
Nennen Sie das Highlight Ihres bislang erfolgreichsten Tages Ihrer noch jungen Schwingerkarriere, die im August 2012 bei den Jungschwingern begann.
Das Gemeinschaftserlebnis im Berner Team, ganz klar. Als ich mit meinen besten Schwingerfreunden Michael Moser, Fabian Stucki und Remo Rutsch am Morgen in die Arena einmarschiert bin, haben wir zueinander gesagt, dass wir diesen ganzen Tag einfach geniessen wollen.
Die zwei Jahre älteren Zwillingsbrüder Adrian und Fabian Aebersold aus Walterswil haben Sie vor zwölf Jahren dazu bewogen, bei einem Training im Schwingklub Sumiswald reinzuschnuppern. Die Begegnung mit dem Sägemehl-Einzelsport war Liebe auf den ersten Blick. Besteht immer noch eine Freundschaft mit Aebersolds, Ihren Wegbereitern?
Auf jeden Fall. Durch die gemeinsamen Trainings beim Schwingklub Sumiswald sehen wir uns mehrmals wöchentlich. Ausserdem unternehmen wir auch sonst Sachen gemeinsam. Früher sind wir auch oft zusammen in den Ausgang. Dies ist nur noch ganz selten der Fall, weil wir uns auf die Schwingwettkämpfe, welche halt auch immer am Wochenende stattfinden, konzentrieren.
Sie sind noch sehr jung. Besteht die Gefahr, dass Sie nach diesem Sensationssieg abheben und sportlich nicht mehr reüssieren können?
Ich denke nicht. Mir ist völlig bewusst, dass ich noch genau der gleiche Schwinger bin wie vor dem Jubiläums-Schwingfest. Ich kann mir mit diesem Erfolg überhaupt nichts kaufen. In der nächsten Saison beginnt alles bei Null. Ich werde hart trainieren, damit ich parat bin, wenn ich an den Festen zukünftig mit stärkeren Gegnern eingeteilt werde.
Wo soll es mit Ihrer Schwingerlaufbahn lang gehen? Ende August 2025 steht im Glarnerland das nächste Eidgenössische Schwingfest auf dem Programm.
Ich muss die neue Saison angehen lassen. Ich will schauen, wie ich mit der neuen Situation klar komme. Ich werde sicher nicht mehr ganz so unbeschwert ans Werk gehen können – und dürfte auch nicht mehr unterschätzt werden. Für mich ist es wichtig, dass ich gesund bleibe und gut trainiere. Natürlich wünsche ich mir, dass ich dann zum Saisonhöhepunkt acht gute Gänge abliefern kann. Gelingt mir dies, bin ich mit mir selber zufrieden, egal, wie die Rangierung am ESAF ausfallen wird.
100 Kranzgewinne und viele Festsiege können Sie sich als Fernziel in Ihrer Karriere aber schon vorstellen?
Nein. Mein einziges Ziel ist es, meinen Körper möglichst lange gesund zu halten, damit auch nach der Schwingerkarriere mein Leben lebenswert ist. Und dass ich stets Spass am Schwingen habe.
Wo bewahren Sie all Ihre gewonnenen Schwingerpreise auf?
Die sind effektiv im und um das ganze Elternhaus verteilt. Es sind alles Schwingerpreise von meinem Bruder und mir. Ich handhabe es im Gabentempel so, dass ich zuerst schaue, ob es ein wirklich schönes Andenken an das Schwingfest gibt. Ansonsten entscheide ich mich für einen Barpreis. Dies habe ich auch am Jubiläums-Schwingfest getan. Ich habe das Rind Zenita wieder dem Besitzer zurückgegeben und dafür den Betrag erhalten.
Sie sind auch ein ausgezeichneter Hornusser. Am kürzlich stattgefundenen Eidgenössischen Hornusserfest in Höchstetten haben Sie bei den Einzelschlägern den Silberkranz nur um zwei Punkte verpasst.
Das Hornussen übe ich einfach zum Spass aus – und weil ich es zusammen mit meinem Vater tun kann. Nun kommt es auf die nächste Saison hin zur Fusion der Gesellschaften Schmidigen und Dürrenroth. Da ich voll auf die Karte Schwingen setze, kann ich es noch nicht sagen, ob ich weiterhin parallel auch das Hornussen ausüben werde.
Schwingen Sie noch in diesem Jahr?
Eventuell trete ich am 22. September noch zum Chemihütte-Schwinget an, je nach Wohlbefinden.
Gibt es nach Ihrem Grosserfolg eine Feier?
In der Tat komme ich in den Genuss eines Empfangs, was mich ganz fest freut. Die Gemeinde Walterswil, zu welcher mein Wohnort Schmidigen-Mühleweg gehört, organisiert am 20. September zusammen mit dem Schwingklub Sumiswald auf dem Dorfplatz Walterswil eine Feier. Ich freue mich natürlich, wenn viele Leute dabei sein können.
STECKBRIEF Fabio Hiltbrunner
Rufname: Fäbu
Wohnort: Schmidigen-Mühleweg
Geboren: 24. August 2005
Grösse: 189 cm
Gewicht: 115 kg
Zivilstand: ledig
Beruf: Landwirt
Hobbys: Hornussen, Sport allgemein, mit Kollegen in der Natur sein
Farbe: blau
Kleidung: Sportkleider
Essen: Chnöpfli, Rahmschnitzel
Getränk: Wasser, Rivella
Musik: Ländler, speziell «Genderbüebu»
Lektüre: lese nie etwas
TV: schaue ganz selten
Klub: Sumiswald
Kränze: 8
Kurz Gefragt
Bester Schwinger ever
Christian Stucki
Vorbild
Christian Stucki, Matthias Aeschbacher und Thomas Sempach. Was sie erreicht haben und trotzdem völlig auf dem Boden geblieben sind, ist einfach vorbildlich.
Sägemehl
Ein Stück Heimat. Wenn ich es rieche, beginnt es zu kribbeln.
Bester Preis im Schwingen bisher
Das ist tatsächlich der Brunnen vom Jubiläums-Schwingfest.
Ihr grösster Fan
Das ist meine Physiotherapeutin Simone Zaugg. «Di tuet aube wi nes Chaub, we ig gwinne.»
Familie
Meine Eltern und mein Bruder und die weiteren Familienmitglieder bieten mir einen unglaublichen Halt. Daheim wird nicht über das Schwingen gesprochen. Das erdet mich sehr. Meine Familie ist meine Wohlfühloase und ich bin so dankbar, dass ich noch im Elternhaus wohne. Da fühle ich mich einfach geborgen.
Freundin
Habe ich keine – und das passt momentan so.
Netflix
Da schaue ich mir die Anwaltsserie «Suits» an.
TikTok
Da schaue ich gelegentlich Videos an, die ich auch mit meinen Kollegen teile. Niemals würde ich aber selber etwas reinstellen.
Süssigkeiten
Selten. Lieber ein Stück Fleisch.
Jahreszeit
Sommer.
Feriendestination
Ich bin noch nie richtig in den Ferien gewesen, weil es mir daheim am
besten gefällt und ich zudem in ganz einfachen Verhältnissen aufgewachsen bin. Nun reise ich mit den Schwingerkollegen tatsächlich erstmals in die Ferien: wir fliegen nach Mallorca.
Tattoo/Piercing
Das sagt mir überhaupt nichts.
Forstwart
Ich holze sehr gerne und habe alle notwendigen Kurse gemacht. Es könnte sein, dass ich die zweijährige Ausbildung zum Forstwart noch machen werde. Kürzlich habe ich die Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen. Momentan habe ich eine 80-Prozent-Arbeitsstelle in der Landi.