• «Wie es nun weiter gehen wird, werden wir sehen. Es wäre meiner Meinung nach aber komplett falsch, wenn ich mich in diesen Prozess einmischen würde, es liegt nun an meinem Nachfolger, sich damit zu befassen.» · Bilder: Thomas Peter

26.02.2024
Huttwil

«Ich könnte damit leben, der Sündenbock für die Schliessung der Eishalle zu sein»

Walter Rohrbach ist in sein letztes Jahr als Gemeinde­präsident von Huttwil gestartet. Gleichzeitig mit dem Ende seiner Amtszeit wird er aber auch als Geschäftsführer des Verkehrsvereins Pro Regio Huttwil abtreten. Es sei definitiv Zeit zu gehen, sagt er im Monats-Interview mit dem «Unter-Emmentaler». Aber noch steht ihm eine historische Gemeindeversammlung bevor. Am 10. Juni entscheiden die Huttwiler Stimmbürger darüber, ob die Gemeinde die Eishalle auf dem Campus Perspektiven mit massiv höheren Beiträgen unterstützen soll. Dabei droht das Ende der «Eiszeit» in Huttwil, was auf ewig am amtierenden Gemeindepräsidenten Walter Rohrbach haften bliebe. Doch dieser bleibt gelassen und sagt: «Ich könnte damit leben, wenn ich später einmal als Sündenbock für die Schliessung der Eishalle gelten sollte.»

Monatsinterview · Walter Ryser im Gespräch mit Walter Rohrbach, Gemeindepräsident Huttwil und Geschäftsführer Verkehrsverein Pro Regio Huttwil

Walter Rohrbach, vor wenigen Tagen sind Sie aus einem längeren Urlaub zurückgekehrt. Wir nehmen an, dass Sie voller Tatendrang Ihr letztes Jahr als Gemeindepräsident von Huttwil in Angriff nehmen – Ihr wirklich letztes Jahr?
Ja, definitiv, denn es gibt eine Zeit zu kommen, eine Zeit zum Bleiben und eine Zeit zu gehen. Ich spüre, dass es nun Zeit ist, zu gehen, obwohl ich gemäss Organisationsreglement der Gemeinde noch eine Amtsdauer als Gemeindepräsident absolvieren könnte. Ich denke aber, dass es auch eine Aufgabe eines Amtsträgers ist, rechtzeitig mitzuteilen, was man persönlich beabsichtig zu tun. Das erleichtert die Nachfolgeregelung.

Sie sind aber auch noch Geschäftsführer des Verkehrsvereins Pro Regio Huttwil. Endet diese Tätigkeit ebenfalls Ende dieses Jahres?
Die Ausschreibung dieser Stelle ist bereits im «Unter-Emmentaler» veröffentlicht worden. Auch hier ist die Zeit für eine Wachablösung gekommen. Dabei ist geplant, dass ich im Sommer/Herbst meinem Nachfolger die Geschäftsführung von Pro Regio übergebe. Ich werde aber vorerst noch ein kleines Mandat behalten, um einen sauberen und geregelten Übergang zu gewährleisten. Je nach Bedarf könnte ich dieses Mandat auch noch im Jahr 2025 weiterführen.

Was wird dann aus Pro Regio, das war und ist «Ihr Kind», das Sie entwickelt und geprägt haben?
Ja, das darf ich für mich in Anspruch nehmen, dass ich der Organisation den Stempel aufgedrückt habe. Das ist einfach meine Art, so funktioniere ich. Ich habe stets tausend Ideen in meinem Kopf. Diese lassen sich nur verwirklichen, wenn man in einer Organisation tätig sein kann, bei der nicht alles in vorgegebenen Geleisen verläuft. Rückblickend kann ich sagen, dass es damals ein guter Entscheid war, mich beruflich neu auszurichten und dem Bahnbetrieb den Rücken zu kehren. Beim Verkehrsverein Pro Regio konnte ich meine Vorstellungen verwirklichen und viele meiner Ideen in die Tat umsetzen. Wie es nun weiter gehen wird, werden wir sehen. Es wäre meiner Meinung nach aber komplett falsch, wenn ich mich in diesen Prozess einmischen würde, es liegt nun an meinem Nachfolger, sich damit zu befassen.

Seien wir mal ehrlich: Die Themenmärkte, die Huttwil weit über den Oberaargau hinaus bekannt gemacht haben, sind auf Ihre Initiative hin entstanden und von Ihnen in den letzten Jahren entwickelt und entsprechend gepflegt und betreut worden. Da übernimmt Ihr Nachfolger eine Herkules-Aufgabe?
Ach, wissen Sie, das sehe ich nicht so dramatisch. Ich habe in meiner Zeit bei Pro Regio auch die Erfahrung gemacht, dass ich mit meiner Art die Leute hin und wieder überfordert habe. Es braucht jetzt wieder jemanden mit Ideen. Denn die von ihnen angesprochenen Themenmärkte sind in der heutigen Form nicht mehr «sakrosankt», sie sind in die Jahre gekommen. Dies bedeutet aber nicht, dass man nun gleich alle Themenmärkte umkrempeln und neu gestalten muss. Doch die Welt und mit ihr die ganze Gesellschaft wandelt sich. Es braucht deshalb in Zukunft neue Formen für Publikums-Anlässe oder zumindest eine Auffrischung der bestehenden Themenmärkte. Ich glaube auch, wenn man neue, coole Ideen entwickelt und umsetzt, dann fühlen sich plötzlich auch andere Leute angesprochen und springen auf diesen «Zug» auf und helfen mit, diese Projekte umzusetzen.

Eine Gemeinde in der Grössenordnung von Huttwil erfolgversprechend zu vermarkten, wird immer schwieriger und anspruchsvoller. Wie sehen Sie die Zukunft von Pro Regio, welche Rolle kann der Verkehrsverein bei der künftigen Entwicklung von Huttwil überhaupt spielen?
Gerade im Tourismus-Bereich machen wir bei Pro Regio diesen Frühling mit der Übernahme der gesamten «Flyer-Erlebnis-Aktivitäten» einen gewaltigen Schritt vorwärts. Zudem sind wir neu die Anlaufstelle von «Food-Trail», einer schweizweit tätigen Organisation, die Rätselspass, verbunden mit Gastro-Erlebnissen, anbietet. Damit wird Pro Regio zum führenden Anbieter für touristische Aktivitäten in der Region. Dies wiederum führt dazu, dass Pro Regio einen wesentlichen Teil des Standortmarketings der Gemeinde Huttwil und der Region betreibt. Durch die verschiedenen Angebote dürften noch mehr Leute in die Region gelockt werden. Und ich sage immer: Wenn Leute zu uns kommen, besteht die «Gefahr», dass diese auch etwas kaufen oder konsumieren.

Es ist nicht einfach, die Motivation für ein Amt oder eine Tätigkeit aufrecht zu erhalten, wenn man weiss, dass in einigen Monaten alles vorbei ist. Was treibt Sie in diesem Jahr an, sich noch einmal voll und ganz diesen beiden Aufgaben zu widmen?
Es ist einfach meine Art, bis zum letzten Tag alles zu geben. Wenn ich nun einen Gang zurückschalten würde, dies oder jenes etwas schleifen liesse, dann könnte ich das von mir selber nicht akzeptieren. Ich bin kein «Langweiler», deshalb werde ich bis zum letzten Tag mit vollem Einsatz dabei sein, ein vorzeitiges Runterfahren ist nicht vorgesehen. In der Politik beispielsweise lässt sich vieles gar nicht steuern, da wird man hin und wieder vom Tagesgeschäft eingeholt und muss sofort reagieren und handeln. Da kann man sich dann nicht einfach zurücklehnen. Aber, es gibt zweifellos Bereiche und Projekte, die ich nicht mehr bearbeiten kann oder in Angriff nehmen werde, weil ich der Meinung bin, dass es besser ist, wenn meine Nachfolger diese Arbeiten ausführt.

Als Gemeindepräsident von Huttwil steht Ihnen noch eine geschichtsträchtige Gemeindeversammlung bevor, an der über die Zukunft der Eissporthalle beim Campus Perspektiven entschieden wird. Haben Sie keine Angst davor, auf ewig als Gemeindepräsident von Huttwil in die Geschichte einzugehen, der das En-de des Eissports in Huttwil besiegelt hat?
Ich bin der Meinung, dass sich der Gemeinderat sehr ausführlich und intensiv mit dieser Problematik beschäftigt hat und dadurch eine klare Haltung gegenüber diesem Geschäft einnimmt. Wir haben die Ausgangslage eingehend analysiert und Pro und Kontra abgewogen und sind dann zum Entschluss gelangt, den Gemeindebeitrag für die Eishalle beim Campus Perspektiven nicht von heute 95 000 auf neu 295 000 Franken zu erhöhen. Wenn der Stimmbürger nun zu einem anderen Entschluss gelangt, dann kann ich das wie auch der gesamte Gemeinderat ak-zeptieren. Sollten die Huttwiler Stimmbürger jedoch der Argumentation des Gemeinderates folgen und eine Erhöhung des Beitrags ablehnen, dann könnte ich damit leben, wenn ich später einmal als Sündenbock für die Schliessung der Eishalle in Huttwil gelten sollte. Der Gemeinderat wird für dieses Geschäft aber noch einen entsprechenden Gegenvorschlag ausarbeiten und an der Gemeindeversammlung den Stimmbürgern vorlegen.

Eine wichtige Gemeindeversammlung haben Sie bereits hinter sich, als letzten Herbst die Huttwiler dem neuen Parkierungssystem im «Stedtli» zustimmten. Damit hat Huttwil etwas aus der Hand gegeben, das gegenüber anderen Orten ein grosser Vorteil war: Gratis-Parkplätze auf der Ribimatte waren ein absoluter Standortvorteil und ein erstklassiges Marketing-Instrument. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, dass Sie hier mitgeholfen haben, die Attraktivität von Huttwil als Einkaufs- und Ausflugsort erheblich zu schmälern?
Auch bei dieser Frage ist die Konstellation ähnlich wie beim Campus. In den letzten Jahren fand in unserer Gesellschaft ein markanter Wandel statt. Jeder schaut in erster Linie für sich und stellt seine Bedürfnisse in den Vordergrund. Und so stellten wir fest, dass immer mehr Leute die öffentlichen Parkplätze als Privatparkplatz nutzten und dadurch ihre Parkplatz-Miete einsparten. Ich glaube aber nicht, dass die neue Regelung die Attraktivität Huttwils als Einkaufs- und Ausflugsort schmälert. Mit der Blauen Zone besteht ja nach wie vor die Möglichkeit, Einkäufe ohne Parkgebühren zu tätigen. Ich gebe zu, mit den vielen Gratis-Parkplätzen waren wir so etwas wie «Exoten». Aber, auch wir müssen uns den wandelnden Zeiten anpassen, wir können schlicht nicht alle Dienstleistungen gratis anbieten, das Leben kostet etwas, auch in Huttwil.

Welche Themen möchten Sie in diesem Jahr als Gemeindepräsident noch angehen oder beenden?
Ich bin nach wie vor mit vielen Themen und Projekten beschäftigt, beispielsweise mit den Finanzen oder der Schulraumplanung. Es ist mein Ziel und Anspruch, viele dieser Themen für die nächste Legislatur weiter voranzubringen, zu entwickeln und aufzugleisen, so dass eine gute und geordnete Amtsübergabe stattfinden kann.

Blicken wir bereits etwas zurück: Was bleibt in Ihren Erinnerungen als Gemeindepräsident und Geschäftsführer von Pro Regio Huttwil haften?
Vor allem die unzähligen Kontakte mit Menschen auf verschiedensten Ebenen werden mir in Erinnerung bleiben. Wenn ich zurückblicke, stelle ich auch fest: Meine persönliche Ungeduld in Einklang mit den langsamen politischen Prozessen zu bringen, stellte für mich hin und wieder eine grosse Herausforderung dar. Mit dem Amt als Gemeindepräsident sowie als Geschäftsführer von Pro Regio trug ich stets «zwei Hüte» gleichzeitig, was einerseits schön war, aber oft auch ein Balance-Akt darstellte, damit man beiden Seiten auch gerecht wurde. Sobald nämlich ein Thema komplex wird, ist eine solche Doppelfunktion nicht optimal. Andererseits war der Zugang zu gewissen Themen aufgrund dieser Konstellation oftmals einfacher. Gesamthaft darf ich auf viele erfolgreich realisierte Projekte zurückblicken, wie die Sanierung der «Badi» oder den Bau des Kindergartens im «Stedtli» oder den neuen Werkhof.

Was hat sich in Ihren Tätigkeiten in all den Jahren verändert?
Wie bereits erwähnt, hat in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren ein starker Wandel stattgefunden. Die Leute sind viel kritischer geworden. Es wird alles hinterfragt, auch Sachen, die noch vor zehn Jahren niemanden interessiert haben. Für Amtsträger und Behördenmitglieder stellt dies eine grosse Herausforderung dar. Auch stelle ich fest, dass viele Leute heute deutlich kurzfristiger unterwegs sind als früher. Es wird abgewogen und zugewartet bis zuletzt, Entscheide werden sehr spät gefällt. Ich glaube auch, dass die digitale Welt zu mehr Unverständnis untereinander geführt hat. Gleichzeitig hat die Digitalisierung zu einer Anonymisierung der Gesellschaft geführt. Dabei liesse sich im direkten, persönlichen Gespräch vieles rechtzeitig klären und könnten Konflikte vermieden werden. Auch spüre ich, dass die Erwartungshaltung der Leute stark gestiegen ist. Alle erwarten etwas von den anderen, aber selber ist man nicht mehr bereit, etwas zu geben oder sich für andere zu engagieren.

Was hat Ihnen Freude, vielleicht aber auch zunehmend mehr Mühe bereitet?
Ich konnte mich bei meinen Tätigkeiten ausleben. Ich bin ein Mensch, der stets motiviert und glücklich in den Tag startet. Ich bin kein Morgenmuffel, ich kann unmittelbar nach dem Aufstehen unter der Dusche singen. So gesehen gab es für mich nur wenige Sachen, die mich nicht erfreut haben. Man sollte stets dankbar sein für das, was man täglich geschenkt bekommt. Und ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die sich mir in den beiden Positionen boten. Dies hat mir grosse Freude bereitet. Was mir in letzter Zeit immer mehr zugesetzt hat, sind endlose Diskussionen über Bagatellen oder Kleinigkeiten. Auch spüre ich eine gewisse Sitzungsmüdigkeit. Das hat aber vielleicht auch mit meinem Alter zu tun. Ich stelle auch fest, dass ich gewisse Dinge nicht mehr so unbelastet angehe wie früher. Ich beginne abzuwägen und dies schmälert meinen Elan und meine Motivation. Das finde ich nicht gut und stört mich.

Was folgt nach dem 31. Dezember 2024, werden Sie sich auf Ihr zweites Wohndomizil auf den Kanarischen Inseln zurückziehen?
Nein, die Kanarischen Inseln bleiben meine Winter-Residenz. Ich kann mir da keinen festen Wohnsitz vorstellen. Die Schweiz und der Kanton Bern sind meine Heimat, ich fühle mich hier wohl und werde auch weiterhin hier bleiben. Aber, mein Wohnsitz muss künftig nicht unbedingt in Huttwil sein.

Gibt es unerfüllte Wünsche, die Sie ab Januar 2025 noch unbedingt verwirklichen wollen?
Eigentlich nicht, denn ich hatte das Glück, dass ich viele meiner Träume verwirklichen konnte. Ich kann diese Welt auch verlassen, ohne dass ich in Asien oder Südamerika war. Das Fernweh nach der grossen weiten Welt lebt nicht in mir. In mir hat sich nichts aufgestaut, das noch erfüllt werden müsste. Vielleicht werde ich noch Schreiben oder Musik machen, aber es besteht noch kein Plan für die Zeit nach meiner Pensionierung.

In Huttwil ist es fast schon Tradition, dass ehemalige Gemeinde-Politgrössen an Gemeindeversammlungen als äusserst kritische Beobachter und «Wächter» des Gemeinderates auftreten. Dürfen wir uns be-reits auf entsprechende «Auseinandersetzungen» an künftigen Gemeindeversammlungen zwischen Walter Rohrbach und dem aktuellen Gemeinderat freuen?
(Lacht). Diese Freude werde ich niemandem machen. Aber es ist durchaus möglich, dass ich an Gemeindeversammlungen teilnehmen werde. Aber ich werde mich hüten, als «Moral-Apostel» aufzutreten. Ich weiss mittlerweile, welcher Aufwand nötig ist, um ein Geschäft für die Gemeindeversammlung vorzubereiten. Ich war nie eine Person, die öffentlich polemisiert hat. Ich muss meine Einwände und Kritik gegenüber einem Geschäft ja auch nicht unbedingt an einer Gemeindeversammlung kundtun, sondern kann vorgängig das Gespräch mit dem Gemeinderat oder der Verwaltung suchen und mich erkundigen. Es gibt noch andere Plattformen als bloss die Gemeindeversammlung, um zu intervenieren.