• Supersport-Weltmeister Dominique Aegerter in seinem neuen Showroom in Rohrbach. · Bild: Stefan Leuenberger

  • Das Familien-Töff-Unternehmen Aegerter (von links): Vater Fere, Mutter Béatrice, Domi und Bruder Kevin. · Bild: zvg

07.04.2022
Sport

«Ich liebe das Töfffahren»

Rohrbachs Töffstar Dominique Aegerter steht vor einer happigen Saison. Der 31-jährige amtierende Supersport-Weltmeister fährt 40 Rennen in der Supersport-WM und im MotoE-Weltcup. Im Interview spricht er über seine sportlichen Ziele. Er äussert sich aber auch zu seiner privaten Lebenssituation und zum Krieg in der Ukraine.

  
Motorsport · Wie fühlen Sie sich?
Ich bin in einer ausgezeichneten Form und freue mich extrem auf die vielen bevorstehenden Rennen.

Körperlich gibt es keine Probleme?
Doch. Bei den Testfahrten in Estoril produzierte ich im Regen einen High-sider. Ich habe mir dabei auf der rechten Seite die Rippen geprellt, was mir aktuell grosse Schmerzen bereitet. Ich hoffe, dass ich diese Einschränkung bis zum Saisonstart einigermassen auskurieren kann. Sonst bin ich topfit.

Sie waren seit dem Jahreswechsel nur für wenige Tage daheim in Rohrbach. Hängt Ihnen dieses ständige Wegsein nicht langsam zum Hals raus?
Ich liebe das Töfffahren. Darum kann ich mit «überhaupt nicht» antworten. Im Gegenteil. Im Ausland treffe ich die besseren Trainingsmöglichkeiten an. Ausserdem ist es in der Schweiz meist schlechteres Wetter. Bin ich weg von Rohrbach, ist es viel einfacher, zweimal täglich zu trainieren. Daheim habe ich viele Medien-, Sponsoren- und Fantermine wahrzunehmen. So gerne ich diese auch erledige, während dieser Zeit kann ich nicht tun, was eigentlich nötig wäre: Töfffahren oder hart trainieren.


Wenn Sie wegen dem Töfffahren für so lange Zeit im Ausland weilen: Was tun Sie am liebsten, wenn Sie nicht gerade auf dem Töff sitzen oder an der Kondition büffeln?
Dann gehe ich irgendwo an die Sonne. Ich mag einfach die Wärme. Ausserdem pflege ich meine Social Media Kanäle.

Und wie sieht es mit der Ernährung aus? Gehen Sie ab und zu ins Restaurant?
Ich achte sehr darauf. Darum kaufe ich auch oft selber ein, um mir im Hotel meine Sachen selber zuzubereiten. Es gibt vor allem Salate auf verschiedenste Zubereitungsarten. Im Restaurant ist es zwar lecker – aber eben auch nicht so gesund.

Ihr absolutes Lieblingsgericht?
Das gibt es nicht. Ich mag sehr viele Sachen. Und dies ist gleichzeitig auch ein bisschen ein Problem. Ich muss täglich sehr diszipliniert sein, da zu viel Gewicht beim Töfffahren bremst.

Themawechsel. Die Weltordnung steht Kopf. Wie nahe geht Ihnen der Krieg in der Ukraine?
Es ist furchtbar und eigentlich unglaublich, dass so etwas in der heutigen Zeit überhaupt möglich ist. Und das Krisengebiet ist gar nicht so weit weg von uns. Und von einigen meiner Rennstrecken ist das Kriegsgebiet sogar noch näher. Das stimmt schon nachdenklich.

Haben Sie sich überlegt, irgendwie zu helfen?
Ich überlege mir seit Tagen, was ich beitragen könnte. Eventuell könnte ich einige Textilien aus meinem Fanshop spenden.

Wenn auch die Schweiz einmal in einen Krieg verwickelt wäre, verfügen Sie über das militärische Rüstzeug?
Ich habe sowohl die Ausrüstung wie auch die Gefechts-Grundausbildung. Anschliessend habe ich aber die Sportler-RS ohne Waffe absolviert. Gleichwohl denke ich, zu wissen, was im Kriegsfall zu tun wäre. Allerdings hoffe ich ganz fest, dass es nie soweit kommen wird.

Beeinflusst die aktuelle Kriegssituation auch die Supersport-WM und den E-Bike-Weltcup, also die beiden Rennserien, welche Sie 2022 bestreiten werden?
Bis jetzt sind mir keine Änderungen oder Absagen bekannt. Je nach Kriegsverlauf könnte sich dies aber schnell ändern.

Zu Ihrer privaten Situation: Sie werden dieses Jahr 32 Jahre alt. Die wilden Töffjahre dürften langsam der Vergangenheit angehören. Sehnen Sie sich nicht nach einer festen Beziehung, einer konkreten Aussicht auf eine Familiengründung?
Ich konzentriere mich auf den Töffsport. Dies ist unumgänglich, wenn ich Erfolg haben will. Eine Partnerin müsste momentan zu viel zurückstecken, dies wäre nicht fair. Ich bin ja fast nie daheim. Abgesehen davon habe ich mein Herzblatt noch nicht gefunden. Eine Familie wünsche ich mir später aber ganz bestimmt.

Sie sind Single. Wie schwierig ist es für Sie, wenn Sie von Verehrerinnen fast verfolgt, oder extrem ausgedrückt, gestalkt werden?
Bis jetzt hatte ich praktisch immer Glück, da es stets hübsche Frauen waren (lacht). Ernsthaft: Manchmal ist es schon ein bisschen erschreckend, was die Frauen unternehmen, um mir nahe zu sein. Erst kürzlich habe ich während dem Velotraining im Fitnessstudio ein Video gemacht und online gestellt. Nur wenige Tage später stellte ein weiblicher Fan ein ähnliches Video online – gefilmt auf dem genau gleichen Velo, auf dem ich sass. Das war schon etwas creepy.

Aktuell gibt sich die Spanierin Silvia Tormo in den sozialen Medien als ihre Freundin aus? Was hat es damit auf sich?
Sie ist eine gute Kollegin, die ich schon seit über zehn Jahren kenne. Während drei bis vier Wochen im Jahr kann ich sogar bei ihr wohnen. Sie postet gerne und viel. Und ab und zu provoziert sie damit auch.

Dann sind Sie nach wie vor ein Single, der geniesst, wenn sich eine Möglichkeit bietet?
Ich fokussiere mich auf das Töfffahren, geniesse aber auch die anderen schönen Sachen, die das Leben bietet. Ich werde es mit Bestimmtheit kommunizieren, wenn ich eine Partnerin finde.

Sie sind bekannt. Die leuchtgelbe Nummer 77 ist ein Markenzeichen geworden. Es gibt alle erdenklichen Fanartikel von Ihnen. Neu sogar ein Parfüm.
Das Merchandising ist wichtig. Einerseits kann ich damit den Fans eine Freude bereiten, anderseits Geld verdienen.

Zum Töffsport. Ihre Saison startet am Wochenende in Aragon mit der gewaltige 26 Rennen umfassenden Supersport-WM. Sie treten als amtierender Weltmeister an. Wie lautet die Zielsetzung?
Obwohl es ganz schwierig wird, möchte ich den WM-Titel verteidigen.

Wie stehen die Chancen?
Es dürfte aufgrund des neuen Regelwerks und der Konkurrenz fast unmöglich sein, so erfolgreich wie im Vorjahr, als mir zehn Siege gelangen, zu sein. Gleichwohl will ich um den Titel fahren.

Sie sprechen die Änderung an: In der Supersport-WM dürfen ab 2022 auch hubraumstärkere Motorräder teilnehmen. Hat Ihr Vierzylinder-Bike mit 600 ccm gegen die neuen Zweizylinder-Bikes mit 955 ccm eine Chance?
Diese Neuerung bringt sicher viel Spannung. Ich habe keine Ahnung, wo ich stehe. Erst im ersten Rennen kommt es zu einem aussagekräftigen Vergleich. Nachteile oder Vorteile sollte es keine geben, egal, mit welchem Töff man fährt. Das Reglement sieht eine Leistungsangleichung vor. Wie das Ganze aber in der Praxis aussieht, wird sich zeigen. Ich hoffe, dass ich mit meiner 600er Yamaha gegen Maschinen wie die 765er Triumph, die 800er MV Agusta sowie die 955er Ducati mithalten kann.

Welche Piloten sehen Sie als Hauptkonkurrenten um den Titelgewinn?
Der Italiener Nicolo Bulega, der in der Moto2 stark fuhr und nun die Kategorie wechselte, ist auf seiner Ducati sehr stark einzustufen. Der Italiener Lorenzo Baldassarri verfügt über eine sehr schnelle Yamaha-Maschine und ist ein äusserst erfahrener Pilot. Mitfavoriten sind Jules Cluzel (Frankreich), Can Öncü (Türkei), Federico Caricasulo (Italien) und Stefano Manzi (Italien).

Mit Marcel Brenner fährt ein zweiter Schweizer in der Supersport-WM mit. Kennen Sie ihn – und wie stark ist er einzustufen?
Wir Schweizer kennen einander. Es macht jeweils Spass, ein paar Sätze auf Berndeutsch austauschen zu können. Marcel ist zuvor die Spanische Meisterschaft gefahren. In der Supersport-WM kann er sicher ein Top-10-Fahrer werden. Ich hoffe, dass wir beide die Schweizer Fahne hochhalten können.

Ende April geht dann auch der MotoE-Weltcup in Jerez de la Frontera los. Sie wurden in der batteriebetriebenen Rennklasse zuletzt nicht fair behandelt, am Ende sogar um den Titel gebracht. Warum tun Sie sich diese Rennserie wieder an?
Ganz einfach: Weil ich in dieser Rennklasse noch eine Rechnung offen habe. Ausserdem verlaufen die Rennen immer sehr interessant. Etwas enttäuscht bin ich darüber, dass in dieser Klasse keine Weiterentwicklung stattfindet.

Neu werden auch in der MotoE-Klasse pro Rennort zwei Rennen gefahren. Dies erhöht die Anzahl Rennen 2022 auf 14 Stück. Wird es nicht zu viel für Sie?
Ich fahre 2022 total 40 Rennen. Das ist schon sehr viel. Aber wenn man genauer hinschaut, ist es okay. Ich fahre an einem Wochenende lieber zwei Rennen als ein Training mehr. Ganz wichtig ist die Tatsache, dass die MotoE-Rennen nur sehr kurz dauern. Die Regeneration geht dann auch schneller.

Ihr Energica-Bike der Intact-Crew ist bereits vier Jahre alt. Ist es noch konkurrenzfähig?
Das spielt in dieser Kategorie absolut keine Rolle, weil wirklich alle Maschinen identisch sind. Ich fahre immer noch den Töff, den ich beim Einstieg in den MotoE-Weltcup 2020 von Jesko Raffin übernommen habe.

Bisher fand der Kampf um die Startplätze in der MotoE als Einzelzeitfahren (E-Pole) statt. Dieses wird neu durch das aus den Grand-Prix-Klassen bekannte Format von zwei Quali-Sessions ersetzt. Was halten Sie davon?
Ich begrüsse es. Die E-Pole war zwar spannend, aber auch heikel. Man musste immer sehr viel Risiko eingehen. Top und Flop lagen nahe beisammen. Der neue Modus gibt etwas mehr Luft.

Wird der amtierende Weltcup-Sieger Jordi Torres Ihr härtester Konkurrent sein?
Nein, er ist zwar ein konstanter Fahrer mit vielen Spitzenrängen. Mit seiner eher passiven Fahrweise wird er aber nicht zum Siegfahrer avancieren. Vielmehr habe ich den Brasilianer Eric Granado auf der Liste, der immer auf Sieg fährt.

Die Saison 2022 wird wegen den vielen Rennen auch viel Geld verschlingen. Was wird in diesem Jahr noch für Sie rausschauen?
Dank dem Supersport-WM-Titel konnte ich einen sehr guten Vertrag abschliessen. Hinzu kommen Prämien für Podestklassierungen. Auch sämtliche Reisekosten an die verschiedenen Rennen sowie die Materialkosten werden übernommen. Ich habe nur noch Auslagen für die Trainings. Ich werde in dieser Saison Geld verdienen. So sollte es auch sein. Lange war dies bei mir aber leider nicht der Fall.

Noch ein Ausblick in die Saison 2023: Streben Sie eine Teilnahme an der Superbike-WM in einem Werkteam an?
Ich hätte mir den Aufstieg als Weltmeister der Supersport-Klasse schon diese Saison erhofft. Es kam nicht dazu. Mit starken Leistungen will ich mich nun für ein Superbike-Werks-  team empfehlen. Es ist immer mein Ziel, innerhalb einer Rennklasse in der höchsten Kategorie mitzufahren.

Gelingt dies, wären 2023 auch einzelne Einsätze als Ersatzfahrer in der Moto-GP denkbar.     
Genau. Es ist und bleibt mein grosser Traum, einmal in der höchsten Töffklasse mitfahren zu können.
        
Dann denken Sie noch nicht an den Rücktritt?
Ich liebe das Töfffahren über alles. Mein Körper spielt mit, der Wille ist da und der Hunger nach Erfolgen längst nicht gestillt. Wieso sollte ich also jetzt einfach aufgeben, was mein Lebensinhalt ist?

Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Dominique Aegerter, Töffpilot aus Rohrbach