«Ich träume von einer Olympiamedaille»
Die 19-jährige Huttwiler Eishockeyspielerin Lara Christen reist an die Olympischen Winterspiele nach Peking. Die 56-fache Nationalspielerin der ZSC Lions Frauen hat das Aufgebot für die Schweizer Frauen-Eishockeynati erhalten. Nun träumt Christen von einer Olympiamedaille.
Lara Christen, Eishockeyspielerin aus Huttwil · Lara Christen, Sie sind die erste Huttwilerin, welche an Olympischen Winterspielen teilnehmen kann.
Das ist natürlich mega cool. Es ist für mich eine grosse Ehre, wenn ich Huttwil auf einer weltweiten sportlichen Bühne vertreten darf.
Wie haben Sie reagiert, als Sie am 31. Dezember die gute Nachricht erhielten?
Trainer Colin Muller hat sie mir telefonisch überbracht. Ich freute mich wahnsinnig. Und die Silvesterfeier wurde anschliessend sehr fröhlich.
Veröffentlicht wurde das Olympia-Aufgebot am 13. Januar. Haben Sie daraufhin viele Gratulationen erhalten?
Tatsächlich haben mir viele ehemalige Teamkolleginnen und -kollegen sowie vergangene Trainer Glückwünsche geschickt. Dies hat mich enorm gefreut.
Als 15-Jährige waren Sie im Februar 2018 bereits nahe an den Olympischen Spielen dran. Für Pyeongchang mussten Sie als Pikettspielerin, die schliesslich nicht benötigt wurde, zuhause bleiben.
Das ist mir gar nicht so nahe gegangen. Und zwar aus dem Grund, weil ich damals neu im Team war. Ich spielte in der Nati noch keine grosse Rolle, kam kaum zu Einsätzen. Darum war die mir zugeteilte Pikettrolle eigentlich auch logisch. Vier Jahre später ist die Situation anders. Ich habe mir einen Platz im Team erkämpft und erhalte vom Trainer viel Eiszeit.
Nach einem kurzen Aufenthalt im hochmodernen Sportkomplex OYM in Cham fliegen Sie morgen Mittwoch nach Peking. Haben Sie alles gepackt?
Jawohl. Da wir die meiste Kleidung erhalten, musste ich gar nicht viel einpacken. Trainerhosen und Shirts für die Aufenthalte im Zimmer sowie die Toilettenartikel gehörten dazu. Weiter habe ich den Laptop eingepackt. Und ein paar Schulsachen, um ab und zu etwas vom Eishockey abschalten zu können.
Nehmen Sie einen Glücksbringer mit?
Gleich mehrere. Darunter befinden sich Plüschtiere, kleine Engelchen, Karten und ein Glücksstein. Von meinem Bruder habe ich ein T-Shirt für das Bett erhalten. Mit einem Insiderspruch darauf.
Wie lautet dieser?
Es soll ein Insiderspruch bleiben.
Haben Sie irgendwelche Kenntnisse über die Hauptstadt der Volksrepublik China?
Die weiteste sportliche Reise führte mich bisher nach Japan. Über China weiss ich nicht viel. Ich habe mich allerdings auch nichts dafür getan. Ich möchte mich überraschen lassen.
Schätzen Sie einmal: Wieviele Einwohner zählt Peking?
20 Millionen.
Sehr gut geschätzt. Es sind genau 21,8 Millionen. Haben Sie Respekt vor der Grösse und der Kultur in der Olympia-Stadt?
Ich habe grossen Respekt. Ich kann es mir auch nicht so richtig vorstellen. Ich freue mich, mir vor Ort ein Bild machen zu können.
Sightseeing wird allerdings nicht möglich sein. Das olympische Dorf schottet sich für die gesamte Dauer der Spiele (4. bis 20. Februar) komplett von der Aussenwelt ab. Es wird keinen Kontakt zur chinesischen Bevölkerung geben. Haben Sie Angst vor dieser Corona-Bubble?
Ich reise an die Olympischen Spiele, um Eishockey zu spielen. Darum wird dies kein Problem sein. Ausserdem habe ich bereits Erfahrungen gesammelt damit. Es war an der letzten WM in Kanada im vergangenen August, wo wir im Spiel um die Bronzemedaille gegen Finnland 1:3 verloren, genau gleich. Wir konnten uns ebenfalls nur in einer Bubble bewegen.
Haben Sie Bedenken, dass die Spiele wegen der Pandemie abgebrochen werden könnten?
Daran verliere ich keine Gedanken. So etwas liegt nicht in meiner Macht. Ich fokussiere mich auf das Eishockeyspiel. Sollte es dazu kommen, müsste ich es akzeptieren.
Zum Sportlichen: Werten Sie die Olympiateilnahme als Ihren bisher grössten Karriere-Erfolg?
International gesehen auf jeden Fall. Jeder Sportler und jede Sportlerin träumt davon, einmal an Olympischen Spielen dabei zu sein.
Bei den letzten Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang belegte die Schweiz nach der Viertelfinal-Niederlage gegen Russland den 5. Rang. Wie lautet die Zielsetzung für Peking 2022?
Eine Medaille ist das erklärte Ziel. Und davon träume ich sogar.
Bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi gewann die Schweizer Frauen-Nati mit einem 4:3-Sieg über Schweden die Bronzemedaille. Sie denken, dass ein solcher Exploit wiederholbar ist?
Auf jeden Fall. Wir haben an der letzten WM eine Medaille nur knapp verpasst. Der Glaube daran, es zu schaffen, ist gross. Ausserdem verfügen wir über einen ausgezeichneten Teamspirit. Das Team verfügt über viel Qualität.
Sie spielen mit der Schweiz in der Gruppe A zusammen mit den Topnationen USA, Kanada, Finnland und Russland. Alle Teams sind nach den vier Gruppenspielen fix für die Viertelfinals qualifiziert. In der Gruppe B mit Japan, Tschechien, Schweden, Dänemark und Gastgeber China erreichen die drei besten Teams der Vorrunde den Viertelfinal. Was ist bei diesem Modus zu tun, damit im Viertelfinal,- aber insbesondere im Halbfinal kein schwerer Brocken wartet?
Unsere Konzentration gilt voll und ganz dem Viertelfinal, für den wir auch bei vier Niederlagen in den Gruppenspielen qualifiziert sind. Aber natürlich versuchen wir, die «Grossen» bereits in den Gruppenspielen zu fordern. Wir müssen mindestens Gruppendritter werden, um im Viertelfinal auf eines der drei qualifizierten Teams der Gruppe B zu treffen.
Auf welche Nationen möchten Sie in der ersten K.o.-Phase lieber nicht treffen, sprich, wie lauten Ihre Medaillenfavoriten?
USA und Kanada bewegen sich auf Augenhöhe und teilen sich die Favoritenrolle.
Unter Nationaltrainerin Daniela Diaz erlebten Sie eine tolle Zeit. Wie gut ist Ihr Verhältnis zum aktuellen Frauen-Natitrainer Colin Muller, der seit 2019 im Amt ist?
Das ist sehr gut. Colin ist auch dank seiner Aktivzeit als Spieler sehr erfahren. Gerade für die jüngeren Spielerinnen nimmt er eine Art Vaterrolle ein. Mit ihm kann über alles gesprochen werden. Ich spüre sein Vertrauen.
Seit jeher spielen Sie im Nationalteam als Verteidigerin. Bei Ihrem Club, der Frauenequipe der ZSC Lions, wurden Sie zuletzt auch erfolgreich als Stürmerin eingesetzt. Ist dies auch in der Nati denkbar?
Nein, da sind die Positionen klar geregelt. Und dies ist auch gut so.
Auch als Verteidigerin: Was würde Ihnen ein Torerfolg in Peking bedeuten?
Dies wäre natürlich ein ganz besonderes Erlebnis. Schlussendlich spielt es aber keine Rolle, wer die Tore schiesst. Hauptsache, wir sind erfolgreich.
Mit den ZSC Lions haben Sie in der höchsten Frauenliga – Swiss Womens Hockey League A betitelt – in der Saison 2017/18 den Schweizer Meistertitel geholt. 2018/19 und 2020/21 folgten zwei Vize-Meistertitel. Kurz vor Quali-Ende der aktuellen Spielzeit 2021/22 liegen Sie zehn Punkte vor Erzrivale und Titelverteidiger Lugano. Ihr zweiter Meistertitel der Karriere ist greifbar.
Dies ist nicht ganz so einfach. Natürlich liegen wir klar vorne. Doch in den Playoffs, die eigene Gesetze haben, beginnt wieder alles von vorne. Ausserdem haben wir gegen Lugano zwei der vier Qualifikationspartien verloren. Selbstverständlich setzen wir uns aber den Meistertitel zum Ziel.
In der aktuellen Spielerinnenstatistik rangieren Sie mit 21 Punkten aus ebensovielen Spielen auf dem starken 12. Rang und sind damit die drittbeste Verteidigerin der höchsten Schweizer Frauenliga. Ihre bisher beste Saison?
Ich denke schon, ja. Allerdings muss ich auch zugestehen, dass ich wegen den vielen Coronaausfällen zu mehr Eiszeit gekommen bin, als gewohnt.
Zurück zu den Olympischen Spielen. Die vier Gruppenspiele der Schweiz finden im Nationalen Hallenstadion in Peking mit einem Fassungsvermögen von 18 000 Zuschauern statt. Was glauben Sie, wie gut wird die Halle gefüllt sein?
Wenig bis gar nicht, leider. Und dies ist sehr, sehr schade. Ich hoffe, dass wenigstens ein paar Sportlerinnen und Sportler von anderen Disziplinen den Weg in die Eishalle finden.
Ausländische Zuschauer sind an den Spielen nicht zugelassen. Ihre Leute müssen die Partien aus der Schweiz mitverfolgen.
Das bedaure ich sehr. Ein Teil meiner Familie hätte mich gerne an die Olympischen Spiele begleitet.
Wissen Sie schon, wie das «Mitfanen» aus der Ferne erfolgen wird?
Ich denke, dass sie sich zusammentun und gemeinsam die Livestreams verfolgen werden. Ganz bestimmt mit dabei werden meine Grosseltern Max und Rosmarie Fiechter sein, meine klar grössten Fans.
Kurz Gefragt:
Bester Eishockeyspieler ever?
Wayne Gretzky – neben meinem Bruder «Lu». Bei den Frauen ist es die US-amerikanische Spielerin Hilary Atwood Knight.
Gerade so gut wie Eishockey?
Ist eine Crèmeschnitte.
Vorbild?
Obwohl er mich in die Ausrüstung steckte und anschliessend ins Tor stellte, ehe ich richtig gehen konnte, ist mein Bruder Luca, der nächste Saison in der NLA für den EHC Biel spielt, seit jeher mein Vorbild. Über meinem Bett hängt sogar eine Autogrammkarte von ihm.
Eishockeyschläger rechts?
Dies hat keine Bedeutung. Ich habe die Art, den Stock zu halten, von
meinem Bruder übernommen. Dieser wiederum hat es von meinem Grossvater, der auch Eishockey spielte.
Freund?
Das geht in der Öffentlichkeit niemanden etwas an.
Berufswunsch?
Ich hatte im Kopf, nach meiner Lehre den Job der Physiotherapeutin auszuüben, um auch beruflich im Sport tätig zu sein. Momentan bin ich aber etwas unschlüssig, wie meine berufliche Zukunft aussehen soll. Tatsache ist, dass ich vom Fraueneishockey alleine nicht leben kann. Und meine Eltern möchte ich finanziell nicht belasten. Sie tun sonst seit Jahren
genug für mich.
Netflix?
Nutze ich seit Jahren, allerdings nicht regelmässig. Nach «Prison Break» schaue ich aktuell die Serie «Modern Family».
Gesellschaftsspiele?
Mache ich eher weniger. Wenn, dann das Spiel «Brändi Dog».
Süssigkeiten?
Crèmeschnitten
Jahreszeit?
Wegen dem Eishockey natürlich der Winter. Ich mag aber auch den Sommer.
Feriendestination?
Irgendwo am Strand. Ich bevorzuge die Dominikanische Republik.
Covid-19?
Ich bin bereits im Dezember 2020 daran erkrankt. Folgeschäden habe ich keine davongetragen.
Interview: Stefan Leuenberger