«Ich war noch nie so parat wie jetzt»
Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Sanna Lüdi, Skicrosserin SC Ahorn-Eriswil – Skicrosserin Sanna Lüdi vom Skiclub Ahorn-Eriswil nimmt ihre dritten Olympischen Spiele in Angriff. Die gebürtige Leimiswilerin ist guten Mutes: Noch nie war sie eine ganze Saison lang verletzungsfrei geblieben. Nun scheint es zu klappen. Und darum ist mit ihr im Olympischen Skicross-Rennen zu rechnen.
Skicross · «UE»: Ihre dritten Olympischen Spiele stehen kurz bevor. Hätten Sie sich so etwas erträumt, als Sie am 5. Januar 2009 in Österreich nach einer langen Ski Alpin-Karriere und dem darauf vollzogenen Disziplinenwechsel Ihr allererstes Skicross-Weltcuprennen bestritten?
Sanna Lüdi: Damals hätte ich sicher ungläubig den Kopf geschüttelt. Allerdings war vom allerersten Moment meiner Skicross-Karriere die Teilnahme an Olympischen Spielen das erklärte Ziel. Dass ich nun bereits zum dritten Mal dabei bin, ist schon traumhaft schön.
Sie haben es geschafft, sind im Alter von bald 32 Jahren in Pyeongchang dabei. In Sotschi 2014 (Rang 13) und Vancouver 2010 (Rang 35) lief es nicht optimal. Sollen die dritten Spiele zum grossen Wurf der Stehauffrau Sanna Lüdi werden?
An jedem Olympiastart war es mein Ziel, die bestmögliche Leistung abzurufen, alles zu geben. Dies wird in Pyeongchang nicht anders sein. Was dann resultiert, wird sich zeigen. Diesmal trete ich allerdings in einer perfekten Verfassung zum Wettkampf an. Dies war während den beiden vorangegangenen Olympiastarts nicht der Fall.
In der Tat: Nach auskuriertem Nasenbeinbruch von Mitte Dezember können Sie erstmals völlig gesund zu Olympischen Titelkämpfen antreten. Wie stehen Ihre Medaillen-chancen?
Ich bin topfit. Ich habe erst kürzlich im Kraftraum meine persönlichen Bestleistungen übertroffen. Es ist für mich eine neue Situation, völlig gesund zum Olympischen Rennen antreten zu können. Darum ist auch alles – ein Medaillengewinn eingeschlossen – möglich.
Ihre grössten Skicross-Erfolge liegen einige Jahre zurück. Zwischen 2009 und 2014 schafften Sie im Weltcup drei Siege, drei 2. Ränge und zwei 3. Ränge. Wieso sollte es ausgerechnet an Olympia mit der Rückkehr an die Weltspitze klappen?
Weil ich es so getimt habe. Ich habe die gesamte Saison 2016/17 ausgelassen, um mich komplett von meinen Verletzungen erholen zu können. Pyeongchang galt der totale Fokus. Dies hat sich ausbezahlt. Ich habe nun die Chance, in absoluter Topform und ohne Behinderung durch eine Verletzung ein Olympisches Rennen bestreiten zu können. Diese Chance will ich unbedingt nutzen. Ich will das Rennen mit meinem gewohnten Biss und einiger Risikobereitschaft, aber eben auch mit Vernunft angehen. Eine Harakiri-Fahrt ins Verderben wird es von mir nicht mehr geben.
Sie sind nach 41 Weltcuprennen immer noch derart «on fire» für Ihre Sportart …
Gerade, weil es nur 41 Rennen sind, ist dies so. Ich musste immer wieder verletzungsbedingt viele Rennen auslassen. Darum brenne ich in meiner zehnten Weltcupsaison immer noch so sehr auf Renneinsätze.
Das Skicross-Rennen der Frauen findet am 23. Februar statt. Wie sieht Ihr Programm bis dahin aus?
Am Dienstag erfolgte der Flug nach Südkorea. Dort stehen jetzt Skitests an. Am Freitag bin ich an der Eröffnungsfeier dabei. Anschliessend fliege ich auf die japanische Insel Okinawa, wo ich beim Surfen abschalten kann. Am 16. Februar erfolgt der Rückflug ins olympische Village nach Pyeongchang. Nach der Pressekonferenz am 17. Februar geht es dann so richtig los. Am 18. Februar kann ich das erste Training durchführen. In den folgenden Tagen will ich den Feinschliff für das Rennen am 23. Februar holen.
Was bereitet Ihnen im Vorfeld des Olympiarennens am meisten Sorgen?
Weil die Akkretitierung meines Mentaltrainers aus unerklärlichen Gründen ausblieb, muss ich mich derzeit darum kümmern, wie ich ihn nach Pyeongchang bringe. Er ist für mich sehr wichtig, war bisher an allen Weltcuprennen an meiner Seite.
Die Olympiakleider sind gefasst. Ihr liebstes Stück?
Ich finde die Daunenjacke extrem schön. Die gesamte Olympiabekleidung ist sehr schweizerisch und schlicht gehalten. Ich finde sie gut.
Was können Sie zur Olympia-Skicrossstrecke sagen?
Sie ist sehr vielseitig. Ich finde sie sehr cool.
Auf dieser Piste haben Sie im Februar 2016 – innerhalb von 13 Monaten zum zweiten Mal – einen Kreuzbandriss im linken Knie erlitten …
Ach, deswegen muss ich die Rückkehr auf diese Piste doch nicht als schlechtes Omen sehen. Im Gegenteil, ich freue mich, auf diesen tollen Kurs zurückzukehren. Und: waghalsige Überholmanöver und spektakuläre Sprünge stehen für die Disziplin Skicross. Es kann immer etwas passieren.
Wie feiern Sie Ihren 32. Geburtstag am 17. Februar?
Sanna Lüdi: Da steht einzig eine Pressekonferenz auf dem Programm. Sonst ist nichts geplant, auch kein gemeinsames Abendessen. Ich ordne derzeit alles meinem sportlichen Olympia-Einsatz unter.
An den Olympischen Spielen treffen sich die Wintersportarten. Was werden Sie sich ansehen?
Aufgrund des dicht gedrängten eigenen Programms und der Fokussierung auf den eigenen Wettkampf werde ich bedauerlicherweise keine anderen Wettmessen verfolgen können.
Sind Sie an der Eröffnungsfeier dabei? Wie sieht es bei der Schlussfeier aus?
Bis und mit meinem Wettkampfeinsatz ist alles genaustens verplant. Was danach kommt, ist noch unklar. Ich weiss nicht, ob wir bereits vor Ende der Spiele in Richtung Sun Valley in Russland weiterreisen. Dort finden die nächsten beiden Skicross-Weltcuprennen statt.
Der Skiclub Ahorn-Eriswil, dem Sie seit Ihrer Ski Alpin-Karriere angehören, hat Ihnen für die Olympiasaison finanziell unter die Arme gegriffen.
Ich habe meinem Club viel zu verdanken. Dank den «Ahörnlern» bin ich zum Skirennsport gekommen. Der Skiclub Ahorn-Eriswil hat mein gros-ses Feuer für das Skifahren entfacht. Dass mich mein Club nun in der Olympiasaison, in welcher viele Ausgaben anfallen, die selber berappt werden müssen, auch finanziell so grosszügig unterstützt, ist allerliebst.
So gross Ihre Leidenschaft für den Skicross-Sport ist: Sie durchlebten in Ihrer Karriere dunkle Zeiten. Kaum eine Athletin war so oft verletzt wie Sie. Sie konnten bisher noch keine Saison ohne Verletzungsausfall durchziehen.
Immer wieder raffte ich mich nach Verletzungspech auf, wünschte mir, meine Leidenschaft wenigstens einmal einen Winter lang verletzungsfrei ausleben zu können. Nun scheint dies zu klappen. Und ich bin derzeit sogar fitter als während der Saisonvorbereitung.
Fürchten Sie sich vor einer erneuten schweren Verletzung?
Nein, an so etwas denke ich nicht, niemals.
Wäre ein erneutes längeres Verletzungsout gleichbedeutend mit dem Karrierenende?
Bei einer Verletzung ist eine Voraussage schwierig. Wie schwer ist sie? Wie lange dauert die Genesung? Was bleibt zurück?
Spielt das Resultat von Pyeongchang im Hinblick auf die Fortsetzung Ihrer Karriere eine Rolle?
Nein. Egal, auf welchem Rang ich das Rennen beende, werde ich auch kommende Saison wieder am Start sein.
Das dunkelste Kapitel Ihrer Karriere war eine Dopingsperre. Sie haben innert 18 Monaten dreimal gegen die Meldepflicht verstossen. Sie wurden deshalb ab dem 11. Januar 2015 ein Jahr lang gesperrt. Mit etwas Distanz: Was haben Sie wirklich verbrochen?.
Jeder Athlet muss seinen Aufenthaltsort stets dem Verband melden, um für Dopingkontrollen erreichbar zu sein. Aus verschiedenen Gründen – Verletzungstheater oder kurzfristige Trainingsortwechsel – habe ich dies einfach «verhüehneret».
So würden Sie also schwören, dass Sie nie irgendwelche leistungssteigernde, aber eben verbotene Sub-stanzen eingenommen oder gespritzt haben?
Natürlich. Durch die Einnahme verbotener Substanzen die Leistung steigern zu wollen, ist ein absolutes No-Go.
Dann sind Sie einfach ein bisschen eine Chaotin. Wie können Sie diesem Problem Herr werden?
Ich habe mich immer nur auf das Skifahren konzentriert. Ich muss mich abseits der Piste besser organisieren.
Wenn Ihre Skicross-Karriere einmal zu Ende ist – können Sie sich eine Familiengründung vorstellen?
Ich nehme auch dieses Thema Schritt für Schritt. Wenn es passt, dann passt es. Auf jeden Fall soll mein Alter bei dieser Entscheidung keine Rolle spielen.