Im Auftrag gegen das Katzenelend
n der Schweiz leben etwa 1,5 Millionen Katzen, darunter rund 200 000 herrenlose Streunerkatzen. Und sie vermehren sich rasant. Um nicht in der Katzenflut unterzugehen, ist die Kastration die einzige Lösung. Claudine Gsponer vom Verein Tierlihilfe ist schnell zur Stelle, wenn jemand ihre Dienste dafür beanspruchen möchte. Ihre jüngste Kastrationsaktion war im Thalgraben, Lützelflüh. 15 Katzen wurden eingefangen, kastriert und wohlbehalten wieder zurückgebracht.
Lützelflüh · Es ist fünf Uhr morgens, Claudine Gsponer vom Verein Tierlihilfe gibt die Zieladresse in ihr «Navi» ein, legt sich den Sicherheitsgurt an und startet den Motor ihres Kleinbusses. «Ich bin schon seit zwei Uhr wach», bemerkt sie nebenbei und macht sich auf den Weg von Waltrigen, Häusernmoos in Richtung Thalgraben, Lützelflüh. Der Wetterbericht hat Regen gemeldet, doch der lässt zum Glück noch auf sich warten. Vor einigen Wochen hatte eine Jungbäuerin die Tierlihilfe kontaktiert und um Hilfe bei ihren vielen, zum Teil halbwilden Katzen gebeten. Sämtliche Samtpfoten sollten eingefangen, zum Tierarzt gefahren, kastriert und wieder zurückgebracht werden. «Es sind etwa 11 Katzen, die meisten sind getigert», erzählt Claudine Gsponer auf der Fahrt nach Lützelflüh.
Bereits vor etwa einer Woche war sie schon einmal dort, hatte die Details mit den Katzenbesitzern besprochen und Katzenfallen aufgestellt. «Die Fallen sind noch nicht scharf. Die Katzen müssen sich erst einmal an deren Anwesenheit gewöhnen und darin gefüttert werden, damit die Aktion auch gelingt», erklärt sie. Der Bauernhof im Thalgraben ist bereits hell beleuchtet, als sie um kurz vor halb sechs dort ankommt. Claudine Gsponer parkiert ihren Kleinbus gleich neben dem Bauernhof und macht sich daran, weitere Katzenfallen und Transportkisten auszuladen. Fast zeitgleich fährt auch Beatrix Schiegg, Vorstandsmitglied der Tierlihilfe, auf dem Hof ein. Während der Jungbauer und sein Vater im Stall die Kühe versorgen, wartet die Jungbäuerin schon gespannt neben den Katzenfallen auf die Truppe der Tierlihilfe. Einige Katzen beobachten das ungewohnte Geschehen aus sicherer Entfernung. Als Claudine Gsponer die erste Katzenfutterbüchse öffnet, heben sie ihre Näschen in die Höhe. Sie haben grossen Hunger. Das letzte Mal hatten sie vor einem Tag Futter erhalten. «Es ist wichtig, dass die Katzen hungrig sind, sonst gehen sie nicht in die Falle», erklärt die Vereinspräsidentin. Sie schüttet den Inhalt der Futterdose in eine der Fallen, stellt sie scharf und macht sich an der nächsten zu schaffen. Beatrix Schiegg stellt sie an unterschiedlichen Orten auf.
Kaum ist die Arbeit getan, sitzt auch schon die erste Katze in der Falle. Schnell wird ein Frotteetuch darübergelegt. «Katzen beruhigen sich schneller, wenn es dunkel ist», weiss die erfahrene Katzenhalterin. Nun geht es Schlag auf Schlag, eine Katze nach der anderen versucht, an das leckere Futter zu kommen, und wird gefangen. Innert kurzer Zeit sind es elf Katzen. Doch noch immer sieht man da und dort einen hungrigen und neugierigen Katzenkopf hinter einer Wand hervorschauen. «Wie viele fehlen noch?», fragt Claudine Gsponer die Jungbäuerin. «Ich bin nicht sicher», gibt diese unumwunden zu. Die bereits gefangenen Tiere werden in Transportkisten umgeladen und wiederum mit Tüchern abgedeckt in einer Reihe aufgestellt. An jeder Transportbox wird ein nummerierter Zettel mit allen Informationen zur Katze befestigt. Auf dieser Checkliste notiert später die Tierarztpraxis, ob es sich um eine Kätzin oder einen Kater handelt und ob ihnen etwas Spezielles aufgefallen ist.
In der Hoffnung, dass die restlichen Katzen noch in die Fallen gehen, wenn es etwas ruhiger ist, lädt die Jungbäuerin die Tierlihilfe-Truppe zu einem Kaffee ein. Und prompt sitzen nach der Kaffeepause nochmals zwei vom Hunger geplagte Katzen in den Käfigen. Doch noch immer schleichen zwei weitere Katzen, eine getigerte und eine schwarze, misstrauisch um den Bauernhof. «Damit wären es 15 Katzen», stellt Claudine Gsponer fest. Sie meldet die genaue Anzahl der gefangenen und der noch freilaufenden Katzen an die Tierarztpraxis in Sumiswald. Dort wartet man schon gespannt auf die Katzenschar.
Die Fallen werden nochmals gerichtet, die Jungbäuerin instruiert, wie sie vorgehen soll, wenn die beiden letzten Katzen noch in die Falle gehen. In der Zwischenzeit werden die bereits 13 gefangenen Katzen in die Autos verladen und nach Sumiswald gefahren. Es hat angefangen, leicht zu regnen.
Katzen vermehren sich rasant
In der Schweiz leben nach Schätzungen der Futtermittelindustrie und der Tierschutzvereinigungen etwa 1,5 Millionen Katzen. Darunter sind rund 200 000 herrenlose Streunerkatzen, die ausgesetzt wurden, abgewandert sind oder aus unkontrollierter Vermehrung stammen. Einige Menschen leben nach wie vor in dem Irrglauben, dass die Katze nach der Kastration träge wird und keine gute Mäusefängerin mehr ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Andere haben gar eine romantische Vorstellung von Streuner- und Bauernhofkatzen: Den ganzen Tag in der Sonne liegen und hin und wieder eine Maus fangen. Auch dies hat mit der Realität wenig zu tun. Tatsächlich vegetieren Streunerkatzen auf Strassen und Höfen häufig dahin, immer hungrig und meistens krank. Ihre Zahl steigt schweizweit stetig und sie vermehren sich rasant.
Machen wir ein kleines Rechenbeispiel: Eine kleine Katze, nicht kastriert, aber trotzdem soll sie draussen herumlaufen können. Nach sechs Monaten ist das kleine Büsi geschlechtsreif und trifft auf einen Kater. Zwei Mal im Jahr kann die Katze Junge zur Welt bringen. Nehmen wir einmal an, diese Katze bringt im Schnitt drei Junge pro Wurf durch. So könnte aus den zwei Katzen theoretisch innert zehn Jahren über 83 Millionen Nachkommen hervorgehen. Auf einem Bauernhof gehören gesunde, muntere und zutrauliche Katzen, die Mäuse fangen, dazu. Doch leben zu viele Katzen auf engem Raum, führt dies zu Revierkämpfen, Verletzungen und Krankheiten. Rangniedrige Tiere wandern ab und verwildern oder suchen auf anderen Bauernhöfen Unterschlupf.
Um das Katzenleid zu verhindern und um nicht in der Katzenflut unterzugehen, heisst die Lösung deshalb: Kastration. Der beste Zeitpunkt dazu ist zwischen Oktober und März.
Für die Kastrationsaktion im Thalgraben, Lützelflüh, erhält der Verein Tierlihilfe einen finanziellen Beitrag von der Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz. «Doch das reicht nicht aus, um alle Kosten zu decken», gesteht Claudine Gsponer, die für die Kastrationsaktion einen Ferientag bezogen hat. Trotz des Entgegenkommens der Sumiswalder Tierärzte AG, nicht die vollen Kosten in Rechnung zu stellen, wird sie ebenfalls aus dem bescheidenen Vereinsvermögen Geld nehmen müssen. «Wir sind sehr froh, dass die Sumiswalder Tierärzte AG wie auch das Kleintierzentrum Huttwil uns jeweils bei den Kastrationsaktionen finanziell sehr entgegenkommt, dennoch sind wir auch auf einen Beitrag der jeweiligen Bauernfamilien angewiesen. Diese beteiligen sich auch normalerweise, je nachdem, wie sie es sich leisten können, mit grösseren oder kleineren Beträgen», erzählt die 50-jährige gebürtige Walliserin.
Trächtigkeit kann ertastet werden
In der Tierarztpraxis in Sumiswald angekommen, werden die noch immer mit Tüchern abgedeckten 13 Transportkisten mithilfe zweier Praxisassistentinnen in einen abgedunkelten Raum gestellt. Die Tierärztin Martina Walser nimmt einen ersten Augenschein und wählt einen Kater zur Kastration aus. Er wird in Narkose versetzt und für die Operation vorbereitet. Jeder kastrierten Katze wird ein kleines Stück der linken Ohrspitze abgeschnitten (coupiert), damit sie auch später noch als kastriert identifiziert werden kann. «Wir haben den Morgen für die Kastrationsaktion freigehalten und können auch am Nachmittag zwischen den Sprechstunden noch einige kastrieren», erklärt Martina Walser. Ihre Kollegin Myriam Rentsch ist noch unterwegs und wird sie später bei den Kastrationen unterstützen.
Und was geschieht, wenn eine Katze bereits trächtig ist? «Normalerweise können wir eine Trächtigkeit bereits von aussen ertasten, in den frühen Trächtigkeitswochen ist dies aber leider noch nicht möglich. Wenn dann die Katze bereits ruhiggestellt ist, werden die kleinen, noch lebensunfähigen Katzen bis etwa zur vierten Trächtigkeitswoche abgetrieben», erklärt die Tierärztin. Bei einer fortgeschrittenen Trächtigkeit ist es bei verwilderten Katzen meist ein Problem, sie bis zur Geburt und während der Säugezeit unterzubringen. Dies bedeutet erheblichen Stress und auch Leiden für das Muttertier. Würde man die trächtige Katze hingegen wieder aussetzen, vergrössert sich dadurch das Streunerproblem und fördert die Vermehrung wilder Katzen. Hier wägt der Tierarzt mit Rücksprache der Tierbesitzer die Folgen genau ab, ob eine Kastration zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung vertretbar ist. Die in der Gebärmutter befindlichen kleinen Kätzchen würden in einem solchen Fall einzeln separat eingeschläfert. Der Verein Tierlihilfe setzt sich dafür ein, dass trächtige Katzen ihre Jungen geschützt zur Welt bringen können. «Wir entscheiden von Fall zu Fall, welches Vorgehen das Beste für die Katze ist», sagt Claudine Gsponer. Es wird entweder eine Lösung mit dem Hofbesitzer gesucht oder die Katze kommt zu einer Pflegestelle, wo sie ihre Jungen gebären und aufziehen kann. Danach wird die Mutter kastriert und darf zurück auf den Hof. Die kleinen Kätzchen werden meist an neue Lebensplätze vermittelt. Der Verein sucht auch immer nach Bauernhöfen oder Gestüten, die erwachsene, wilde Katzen aufnehmen möchten, welche die ursprüngliche Bauernfamilien nach den Kastrationsaktion nicht mehr zurückhaben wollen. Für die Vermittlung solcher Katzen werden vom Verein Tierlihilfe keine Kosten erhoben.
Alle Katzen wohlauf
In der Zwischenzeit ging auch noch das getigerte Büsi auf dem Bauernhof im Thalgraben in die Falle. Claudine Gsponer macht sich nochmals auf den Weg, die Katze abzuholen. Doch noch immer läuft die schwarze Katze frei herum. «Sie konnte erst anfangs Nachmittag eingefangen werden, auch sie habe ich abgeholt und zur Tierarztpraxis gebracht», erzählt Claudine Gsponer etwas später.
Um halb vier dann die ersehnte Meldung von Sumiswald: Alle Katzen sind kastriert, keine war trächtig, alle sind wohlauf. Ein letztes Mal macht sich Claudine Gsponer an diesem Tag gegen Abend auf den Weg nach Lützelflüh und bringt die 15 Katzen wohlbehalten nach Hause. Die Nacht werden sie in den Transportboxen im warmen Heizungsraum des Bauernhofes verbringen, bis sie am nächsten Tag wieder in die Freiheit entlassen werden können.
Von Marion Heiniger