• Giuseppe Fasciana steht vor dem Boiler seines Grossvaters, an dem die Firma «A.» arbeiten wollte. · Bild: Leroy Ryser

25.06.2020
Oberaargau

Immerhin rhetorisch sind sie begabt ...

Wer Geld verdienen will, kann auch mal kreativ werden. Besonders einfallsreich zeigte sich in den letzten Wochen die Firma «A.», die in der Region Boiler entkalken wollte. Statt den Service tatsächlich zu verrichten, verteilen die Monteure Kalk am Boden und hinterlassen eine ansehnliche Rechnung. Im Gespräch mit dem «UE» zeigen sich die Beschuldigten immerhin rhetorisch begabt.

Lotzwil · Auf Facebook posiert er mit einem weissen Lamborghini, der auf eine einstellige Nummer im Kanton Basel-Landschaft zugelassen ist, postet Fotos von Yachten, seinen Ferien und seinen drei Kindern – und dies für alle öffentlich zugänglich. Auf den ersten Blick ein ganz normaler Typ, der mit einer goldenen Idee reich geworden ist oder womöglich einen ansehnlichen Beitrag geerbt hat. Wie der «Unter-Emmentaler» auf Herr M. S. (Name der Redaktion bekannt) gestossen ist, komplettiert das Bild jedoch auf eine andere Weise. S. wird beschuldigt, mit seiner Firma «A.» (vollständiger Name ebenfalls bekannt) durch zwielichtige Aktivitäten sein Geld zu verdienen. Und wer den sozialen Medien Glauben schenken will, der vermutet, dass ihm dies nicht zu knapp gelingt.

Den Grossvater überrumpelt
Begonnen hat die Geschichte, die Sie hier lesen, mit einem Hinweis von der Firma Fischer-Käser AG aus Lotzwil. Ihr Administrationsmitarbeiter Giuseppe Fasciana steht dem «Unter-Emmentaler» Red und Antwort: «Mein Grossvater wurde über den Tisch gezogen», sagt er und erzählt von einer Masche, auf die jeder Enkeltrick-Betrüger stolz wäre. «Ein Mann stand vor der Tür und sagte meinem Grossvater, dass er den Boiler entkalken wolle. Mein Grossvater spricht aber nicht wirklich gut Deutsch und hat den Fehler gemacht, den Mann reinzulassen.» M. T., wie sich später herausstellt, Mitarbeiter der Muttenzer Firma, die M. S. gehört, beginnt mit seiner Arbeit und ist nach gut einer Stunde fertig. Zur Schau hat er am Boden ein bisschen Kalk verteilt und mit einem neuen Kleber auf dem Boiler auf den nächsten Service in zwei Jahren hingewiesen. «Er hat einen Arbeitsrapport ausgefüllt und dagelassen. Und als ich diesen während einem Besuch zum Mittagessen sah, habe ich rasch bemerkt, dass etwas nicht stimmen kann.» Der Boiler von Giuseppe Fascianas Grossvater wurde vor zwei Jahren von der Fischer-Käser AG neu montiert, Boiler-Revisionen werden üblicherweise aber erst nach fünf Jahren durchgeführt. Und: «Wer einen Boiler entkalken will, der braucht zwei oder sogar zweieinhalb Stunden. Er war aber schon nach einer knappen Stunde mit der Arbeit fertig. Ein absolut unrealistischer Zeitbedarf für diese Arbeiten», so Fasciana weiter. Dass sein Grossvater nur Mieter und nicht Eigentümer der Liegenschaft ist, kommt erschwerend hinzu, dass die Firma hingegen vorher angerufen hat, um einen Termin zu vereinbaren, muss man ihr zugute halten.

Boiler wurde gar nicht entkalkt
Giuseppe Fasciana hat daraufhin einen Mitarbeiter der Fischer-Käser AG gebeten, die Arbeit von M. T. zu kontrollieren. Schnell war klar: Entkalkt wurde der Boiler nicht, die auf dem Arbeitsrapport aufgeführten Arbeiten wurden nicht ausgeführt. «Es steht geschrieben, dass eine Dichtung und eine Anode ersetzt wurde. Letzteres ist nachweislich mit Sicherheit nicht passiert», weiss der 21-jährige Lotzwiler. Sowieso fehlen Spuren, die beim Öffnen einzelner Teile des Boilers entstehen, womit für Fasciana klar ist: «Er hat den Boiler nicht mal richtig geöffnet.» Als dessen Arbeitskollege dies tut, ist zweifelsfrei klar: Entkalkt wurde hier nichts, von der weiss-kristallenen Substanz ist noch viel zu sehen. Aus-serdem hätte zum Abschluss der Arbeit eine sogenannte «NiV 15 Messung» gemacht werden sollen, diese kann aber nur machen, wer im Verzeichnis vom Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI) eingetragen ist und entsprechende Bewilligungen für solche Arbeiten besitzt. Dort sind jedoch die Firma «A.» und ihre Mitarbeiter nicht aufzufinden, weiss Fasciana, auch die Kontrollmessung wurde logischerweise nicht durchgeführt.

Erdungskabel falsch angeschlossen
Damit aber nicht genug: Bei der eingehenden Endkontrolle des Boilers stehen dem Monteur der Fischer-Käser AG plötzlich alle Haare zu Berge – beinahe wortwörtlich. Ein Erdungskabel wurde bei der Arbeit von M. T. ausgerissen und danach neu, aber falsch angebracht. «Die Chance ist klein, aber theoretisch könnte der Boiler unter Strom stehen, das Wasser könnte leiten und derjenige, der mit dem Wasser während dem Fingerwaschen oder dem Duschen in Kontakt tritt, kriegt eins gewischt.» In Extremfällen könnte dies lebensbedrohlich sein, sodass die Betrügerei nicht nur dreist, sondern auch noch gefährlich ist.

Der Auftrag im Arbeitsrapport
Für die Lotzwiler Firma ist dies nicht der erste Fall, die Basler Firma ist längst bekannt. «Einerseits verprellen sie unsere Kunden, andererseits schädigen sie vorsätzlich den Ruf unserer Branche», ärgert sich Giuseppe Fasciana und zeigt zwei weitere Fälle auf, die sich in den letzten Wochen und Monaten in Lotzwil und der Region abspielten. Erst die zeigen dann, dass die Dreistigkeit der Firma «A» nicht beim Quasi-Entkalken aufhört. «Meiner 88-jährigen Mutter wollten sie einen neuen Boiler verkaufen», erzählt Max Brüllhardt. Seine Schwester, die bei seiner Mutter lebe, sei psychisch angeschlagen und leichtgläubig und habe sogar den Arbeitsrapport unterschrieben. Auf diesem Dokument, welches dem «UE» vorliegt, steht geschrieben: «Auftragsbestätigung Tobler Boiler CHF 3200 exkl. MWST» – eine Arbeit also, die eine Firma ohne Bewilligung und Aufführung im ESTI-Verzeichnis ohne zertifizierten Elektriker nicht ausführen darf. «Meine Schwester hat diesen Rapport leider unterschrieben. Aber dennoch bin ich der Meinung, dass bei einem solchen Geldbetrag zuerst eine Offerte eingereicht werden müsste, bevor das Kaufgeschäft abgeschlossen wird», sagt Max Brüllhardt. Die Offerte hat die Familie nach einem Telefonanruf bei M. S. nachträglich erhalten. «Viele Informationen standen nicht drauf. Aber immerhin war der Preis plötzlich nur noch bei 2800 Franken.»

«Werden die Firma überprüfen»
Max Brüllhardt hat dann einen eingeschriebenen Brief aufgesetzt, mit welchem er von diesem Geschäft im Namen seiner Mutter und seiner Schwester zurücktrat. «Seither habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Telefonisch drohte mir M. S. vor diesem Brief noch mit dem Anwalt und sprach davon, dass er den Boiler bei der Firma Meyer Tobler bestellt habe und die Kosten entsprechend bezahlt werden müssen. Eine Rechnung haben wir bisher aber noch keine erhalten.»
Weitere Recherchen bestätigen dann, dass die Bestellung bei Meyer Tobler eintraf und der Boiler ausgeliefert werden sollte. «Wir haben eine Geschäftsbeziehung mit dieser Firma», bestätigt Martin Schäppi von der Meyer Tobler AG auf Anfrage. «Wir können als Händler die Fachkompetenz der einzelnen Firmen nicht überprüfen und sind deshalb froh um Rückmeldungen von Endkunden.» Ihnen sei bewusst, dass Betrüger ihrer Branche schaden, und daran habe die Meyer Tobler kein Interesse. «Solche Fälle kommen alle zwei bis drei Jahre vor. Wir werden uns die Firma in den nächsten Tagen genauer anschauen und sie in Gesprächen überprüfen», so Schäppi weiter.

Spezial-Angebote sind gefährlich
Dagegen machen kann man aber nicht viel, stellt derweil Sara Stalder als schweizerische Konsumentenschützerin ernüchtert fest. «Wir hören immer wieder von solchen Fällen. Allgemein sind solche Betrügereien rund um Haushaltsgeräte – beispielsweise auch Messer schleifen – sehr beliebt.» Letztlich herrscht ein freier Markt und auch wenn die Arbeit teuer und fehlerhaft ist, kann man kaum dagegen vorgehen, weil Gerichts- und Anwaltskosten schwer wiegen. «Wir versuchen, die Konsumenten darauf zu sensibilisieren, dass sie solche Arbeiten den ihnen bekannten Firmen oder Empfehlungen aus ihrem Bekanntenkreis anvertrauen», sagt Sara Stalder weiter. Trickbetrüger würden ihre Kunden aber meist überrumpeln und diese lassen sich ködern. «Oft sprechen sie von einem Angebot, welches nur für eine sehr kurze Zeit gelte – unter diesem Zeitdruck knicken Unschlüssige ein.» Erst später stellt sich heraus, dass das «Schnäppchen» einerseits preislich keines ist und andererseits die Arbeit vielfach mangelhaft verrichtet wurde.

Unwissend und ausweichend
Giuseppe Fasciana hat kurz nach dem ersten Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler» nach mehreren Versuchen M. S. ans Telefon gekriegt. «Er sagte mir, dass M. T. eigentlich ein zuverlässiger Monteur sei und er dieses Problem gerne aus der Welt schaffen würde.» Er vereinbarte ein Treffen, bei dem eben dieser Monteur auftauchte und ziemlich rasch alle Fehler zugab: «Ich fragte ihn, welche Anode er gewechselt habe, er antwortete, es gäbe nur eine. Ich wies ihn darauf hin, dass es drei gibt, er wich dann aus, gab sein Verfehlen zu und entschuldigte sich eingehend. Er wisse nicht, wie das hätte geschehen können», erinnert sich Fasciana an das Gespräch mit M. T. Auch habe er nach der obligatorischen NiV-15-Messung gefragt, von der weder dessen Chef noch M. T. wussten. Bestätigt habe der Monteur ausserdem, dass er das Erdungskabel falsch angeschlossen habe. «Für mich gehört das alles zur Masche. Wenn ihnen jemand entgegentritt, der weiss, wovon er redet, weichen sie aus. Für mich hat es ausgesehen, als hätte er sich nicht das erste Mal entschuldigt», sagt Fasciana. Immerhin: Die Rechnung wurde am Tag darauf während einem Telefonanruf vom Firmeninhaber höchstpersönlich storniert.

«Wir arbeiten seriös»
Selbstverständlich hat sich auch der «Unter-Emmentaler» nach M. S. auf die Suche gemacht und versucht, mit ihm in Kontakt zu treten. Nach mehrmaligen Versuchen reagiert M. S. und ruft zurück. Im Gespräch streitet er alles ab und verweist auf die Seriösität seiner Firma. «Von Tür zu Tür gehen, machen wir nicht. Wir sind eine seriöse Firma», sagt er gleich mehrmals und betont, dass sie rund 3000 Boiler schweizweit betreuen. Auch bietet M. S. unumwunden an, dass man den Firmensitz besuchen dürfe, der «Unter-Emmentaler» hat aber bereits zuvor herausgefunden, dass seine Firma in einem Gebäude beheimatet ist, welches Gewerbe- und Wohnflächen anbietet. Von aussen sieht alles seriös aus. Auch Nachbarn kennen M. S. als einen geschäftigen, gewöhnlichen
Typen.

Die Rechnung wird storniert
Auf den expliziten Fall von Giuseppe Fasciana angesprochen betont der Firmeninhaber, dass die Rechnung storniert wurde und das Verhalten von M. T. Konsequenzen haben wird. Aber: «Wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. Grundsätzlich wird bei uns sehr sauber gearbeitet, manchmal können aber auch Verfehlungen passieren. Und für die haben wir uns natürlich entschuldigt.» M. S. bat in der Folge noch Rückfragen bei seinem Herrn B. an, der die Disposition in Niederönz mache, um auch hier festzustellen, dass die Firma «A.» seriös arbeite. «Von Tür zu Tür gehen? Das machen wir nicht», sagt B. Minuten später und lacht lautstark ins Telefon. «Stellen Sie sich das mal vor. Würden wir so arbeiten, wie sie es uns vorwerfen, dann müssten wir unsere Firma schon lange schliessen.» Wie auch sein Chef scheint B. rhetorisch geübt, clever weichen beide Herren den Fragen aus und pochen auf die Seriösität der eigenen Unternehmung. Auf die Frage, wie er denn Kunden akquiriere, reagiert er nach Umschweifungen mit einem Wort: «TwixTel», also quasi das Telefonbuch. «Wir fragen nach, wann der Boiler zuletzt enkalkt wurde und weisen darauf hin, dass wir aktuell in der Region wären und diese Arbeiten gerne übernehmen würden. Wenn es zu einem Terminabschluss kommt, lasse ich meinem Monteur (M. T., die Red.) ein Tagesblatt mit Kommentaren zukommen, damit er weiss, was, wo getan werden muss.» Ausserdem weise er in Telefonaten immer darauf hin, dass durch das Auswechseln von aufgebrauchten Anoden Zusatzkosten entstehen könnten. «Das ist genau wie bei einem Autoservice. Und da wollen wir dem Kunden natürlich keine unbekannten Kosten überlassen.» Zum Schluss weist auch B. erneut darauf hin, dass die Firma «A.» sehr seriös arbeite und es keinen Grund gebe, etwas anderes zu vermuten.

Fachliche Fragen ungeklärt
Für Giuseppe Fasciana und Max Brüllhardt bleibt diese Geschichte aber dennoch dubios. «Das Ankündigungs-telefonat hat stattgefunden», bestätigen beide, für Max Brüllhardt ist aber die weitere Vorgehensweise suspekt. «Gegen die Feststellung, dass der Boiler ersetzt werden muss, habe ich grundsätzlich nichts. Aber in einem Arbeitsrapport einen 3200-fränkigen Auftrag unterschreiben zu lassen? Das geht für mich gar nicht.» Eine Prüfung der Firma Fischer-Käser AG hat zudem ergeben, dass der Boiler einwandfrei arbeitet und gar nicht ersetzt werden muss. Ausserdem bleiben auch fachliche Fragen ungeklärt, auch weil die Bewilligung für die NiV-15-Messung offensichtlich nicht vorhanden ist. Zudem müssten auch für die Arbeiten an Trinkwasseranschlüssen Bewilligungen vorhanden sein. Gerade in ländlichen Gebieten ist die Kontrolle darüber jedoch oft schwierig und bietet Schlupflöcher. Ob die Firma «A.» immerhin eine solche Bewilligung hat, darf angezweifelt werden.

Dem lokalen Gewerbe vertrauen
Derweil besteht zu einem anderen Thema kein Zweifel: M. S. ist clever, ihm und seiner Firma den Betrug explizit nachzuweisen zu können, ist schwierig. Es gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Das Verhalten, welches sein Monteur in allen drei dem «UE» bekannten Fällen in Lotzwil an den Tag legte, ist jedoch haarsträubend und fehlerhaft. Durch das Zugeben der Fehler, dem Stornieren der Rechnung und der freundlichen Kommunikation entschärft der Basler Firmeninhaber die Lage aber gekonnt – wahrscheinlich, weil er darin geübt ist.
Für Kunden gilt deshalb: Wer auf der sicheren Seite bleiben will, der wird auch künftig solche Arbeiten ans lokale Gewerbe vergeben. Dieses kann es sich nämlich nicht leisten, seine Kunden derart dreist zu verprellen.

Von Leroy Ryser