• Die Impfbereitschaft von Pflegenden in der Region Oberaargau/Emmental liegt zwar über dem Schweizer Durchschnitt, doch gibt es auch zahlreiche kritische Stimmen. · Bild: pexels

07.04.2021
Emmental

Impfkritik beim Pflegepersonal bleibt

Nur knapp ein Drittel aller Pflegekräfte sind laut einer Umfrage des Branchenportals «Medinside» aktuell bereit, sich gegen den Coronavirus impfen zu lassen. Warum stellen sich gerade so viele Pflegeangestellte kritisch gegen die Impfung? Eine Pflegende aus der Region, die anonym bleiben möchte, legt ihre persönliche Sichtweise dar, warum sie sich gegen eine rasche Impfung entschied.

Emmental / Oberaargau · «Auch die Medizin besteht nicht nur aus Lösungen, die auf Knopfdruck funktionieren, sondern auch dort gibt es oft noch einen langen Weg zu gehen.» Dessen ist sich die Pflegefachfrau HF sicher. Sie möchte anonym bleiben. Sie wirkt dabei erschüttert, wie der ganze Prozess der Impfstoffentwicklung bis hin zu den ersten bereits verabreichten Impfdosen im Schnelltempo abgelaufen ist. Die Bevölkerung erwarte zu viel von der angepriesenen Impfung, so sei ihre Befürchtung.
Sie ist sich bewusst, «dass sich im Moment sehr viele Menschen sehnlichst einen Weg zurück zur Normalität wünschen und dabei der neuartige Impfstoff wie eine perfekte Erlösung erscheine. Auch der politische und mediale Druck dafür ist riesig.» Dass dies aber gleich weltweit so der Fall ist, finde sie jedoch schon unglaublich beängstigend, da man zu dieser medizinischen Neuheit doch noch überhaupt keine Langzeitstudien habe. «Vielmehr müssten wir doch lernen, mit dem Virus zu leben, statt uns voll und ganz den Erkenntnissen der Pharma-Riesen anzuvertrauen», findet die Pflegende.
Dass es sich mit dem genetischen Impfstoff um ein komplett neues Verfahren handelt und die Frage nach der langfristigen Sicherheit des Impfstoffes ungeklärt ist, seien ihre Hauptbedenken gegenüber der mRNA-Impfmethodik. Und damit ist sie nicht die Einzige in der Pflegebranche, welche diese Meinung vertritt. Unzählige weitere ihrer Branchenkollegen äusserten in Online-Umfragen deutlich, dass die Unsicherheit gegenüber der neuentwickelten Impfmethode gross sei.

Durch Impfpflicht im Zugzwang
Was für Reaktion in Spitälern, Altersheimen und weiteren Pflegeeinrichtungen würde ein Impfobligatorium für alle Pflegeangestellten auslösen? Eine Frage, die schwer zu beantworten sei, vermutet die Pflegefachfrau. «Dies würde wohl einen enormen Stress auslösen und eine grosse Belastung für alle darstellen, die sich nicht klar für die Impfung entscheiden konnten.»
Bereits seit längerem hätten die Pflegenden eine grosse Aufgabe in der Pandemie. Eine Impfpflicht würde aber bei vielen die bisher entgegengebrachte Wertschätzung ihrer Arbeit erschüttern.
Auch innerhalb ihres Teams am Arbeitsplatz nimmt die Pflegefachfrau wahr, dass es immer noch etliche sind, die sich nicht impfen lassen möchten oder noch unentschieden sind. Durch die Impfpflicht entscheiden andere darüber, was mit dem eigenen Körper geschehen soll.
Und schliesslich gerate man in ein Gewissensdilemma. Vielleicht kann man mit einer Impfung doch weitere Ansteckungen massiv einschränken. Wer sich aber nicht impfen lässt, würde die Virusverbreitung fördern. Dies versetze ihrer Meinung nach viele in eine Konfliktsituation zwischen persönlichen Ansichten und jenen, die für den Schutz einer ganzen Bevölkerung sprechen.
Aus gegenseitigem Respekt rede man innerhalb ihres Teams jedoch kaum oder gar nicht über dieses konfliktreiche Thema. «Da wir auch aufgrund der Schutzkonzepte ohnehin kaum die Möglichkeit haben, uns auszutauschen, spricht man in dieser kurzen Zeit lieber über etwas Anderes.»
Doch die Frage nach der Impfung geht an den Pflegenden nicht ganz vorbei. In einem persönlichen Gespräch mit ihren Vorgesetzten wurde diese Thema kurzerhand geklärt und auch ein Nein zu Impfung wurde dabei von den Vorgesetzten ohne weitere Überzeugungsarbeit akzeptiert. Diese Art des persönlichen Gesprächs und der wertfreien Entscheidungsmöglichkeit ha­t die Pflegefachfrau sehr geschätzt.

Impfzwang weckt auch Misstrauen
Man spüre aber ganz deutlich, dass es unter den Pflegefachkräften bei der Impffrage nicht einfach nur eine
Meinung gibt. «Wichtig wäre, dass wirklich ehrlich informiert wird und sich so jeder Mensch seine persönliche, freie Meinung zum Impfthema bilden könnte», findet die Pflegende. So könnte Klarheit geschaffen werden. Doch gerade das von Regierungen angestrebte Ziel, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen sollen, schüre auch ein gewisses Misstrauen. «Von allen möglichen Seiten besteht ein subtiler Druck», so die Pflegende. Darüber hinaus gebe es in der aktuellen Zeit der Informationsflut einfach auch eine unübersichtliche Masse an unterschiedlichster Meinungsquellen inklusive Fake News, bei denen es sehr vielen Menschen dann ausserordentlich schwer fällt, sich eine fundierte Meinung zu einem Thema zu bilden.

Ärzte sind impfwilliger als Pflegende
Angesichts der überbordenden Informationsflut können die gegenwärtigen Impfkampagnen wohl nicht mehr, als in erster Linie Überzeugungsarbeit leisten. Impfkritiker innerhalb der Pflegebranche werden so aber wohl kaum zu überzeugen sein. Sie hätten sich ihre Meinung bereits gebildet und sich dabei auch von der Impfmeinung der Ärzteschaft abgegrenzt. Denn dort ist die Bereitschaft für den Impfpieks um einiges höher.
Die unterschiedliche Impfbereitschaft hänge auch damit zusammen, dass sich der Beruf der Pflegefachfrau in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat. So war sie vorher als «Krankenschwester» eher die ausführende Person für den Arzt. Jetzt hingegen bildet sie eine eigene Berufsidentität. Der Beruf der Pflegenden hat sich innerhalb recht kurzer Zeit akademisiert, einen eigenen Verantwortungs- und Tätigkeitsbereich errungen und vertritt deshalb auch selbstbewusst eine berufseigene Meinungen.

«Es gibt nicht für alles ein Mittel»
In der Pflegebranche arbeite man so nah mit Menschen zusammen wie wohl kaum eine andere Berufsgruppe. Seite an Seite gehe man mit schwer erkrankten Menschen einen Leidensteil ihres Lebens und begleiten Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt. Dabei erleben sie sämtliche Auswirkungen der medizinischen Mittel hautnah mit und wissen deshalb auch, dass es nicht für jedes Gebrechen und jede Krankheit die eine perfekte Lösung in der Medizin zu finden gibt. «Auch das Sterben ist für uns Pflegende kein Tabuthema, sondern wir sind damit immer wieder konfrontiert und erleben darin auch viel Wertvolles und Würdevolles. Im laufenden Diskurs scheint mir, an Covid zu sterben sei beinahe ein Verbrechen, das mit allen Mitteln und in jedem Fall vermieden werden muss. Das irritiert mich. Ich würde uns den Mut wünschen, umfassender zu diskutieren und eine offene und ehrliche Debatte über das Sterben zu führen.»

Entscheiden ohne Gesellschaftsdruck
Auch mit Klienten gebe es selbstverständlich Gespräche über die Impfung und die Frage nach dem Für und Wider. «Ich ermutige sie jeweils dazu, eine Entscheidung frei von jeglichem gesellschaftlichen Druck zu treffen, hinter der sie dann auch stehen können und es ihnen wohl ist dabei. Schliesslich ist so eine Impfung mit der mRNA-Methode ein doch recht drastischer Eingriff in den eigenen Körper, den man bewusst annehmen oder ablehnen soll.» Wie auch sonst überall in der Gesellschaft gebe es auch bei den älteren Menschen nicht nur Impfbegeisterte. Einige überliessen das Feld dabei gar ganz den jüngeren Generationen, während andere baldmöglichst geimpft sein wollten, um wieder ein etwas normaleres Leben zu führen.
«Ganz persönliche Begegnungen mit Corona hatte ich auch an meinem Arbeitsplatz. So gab es im Team wie auch unter den Patienten einige positiv getestete Fälle», erklärt die Pflegeangestellte. Bei allen habe sie den Krankheitsverlauf erfreulicherweise als sehr hoffnungsvoll wahrgenommen und es gab bei niemandem schwerere Komplikationen. Dennoch ist für sie klar, dass der Coronavirus uns noch länger beschäftigen werde. Mit dem Impfpass sieht sie aber auch die mögliche Gefahr, dass es zu einer Art Zweiklassengesellschaft kommen könnte, wie man dies bereits in anderen Ländern beobachten könne.
«Ich rate jedem, sich seine eigene Meinung zu bilden und für sich persönlich eine Entscheidung zu treffen. Für diese Freiheit sollten wir kämpfen. Schlussendlich soll uns diese Entscheidung darüber, was mit unserem Körper und unserem Leben geschieht, keine Regierung, kein Pharmakonzern und auch nicht die Medien abnehmen dürfen. Sie legen uns ihre Sichtweisen über die Impfung dar, es liegt schlussendlich dann an jedem Menschen selbst zu wählen, für welchen Weg er sich entscheidet», schliesst die Pflegeangestellte.

Von Aline Trüssel