In der Corona-Krise gemeinsam unterwegs
Béatrice Lüthi, Inhaberin der Lüthi-Aufzüge, Lindenholz, und Präsidentin des Wirtschaftsverbandes Oberaargau (WVO) ermuntert die Mitglieder des Verbandes, sich in der Corona-Krise gegenseitig mit Manpower zu unterstützen und einander zu helfen. Lorenzo Cassani von der Cassani Kaderselektion in Langenthal hat den Gedanken aufgenommen und einen Talent-Pool geschaffen, auf dem Unternehmen ihre Mitarbeitenden, die sich in Kurzarbeit befinden, melden und andern Firmen zur Verfügung stellen können.
Oberaargau · Es war im Herbst, bei der letzten physischen Veranstaltung des Wirtschaftsverbandes Oberaargau (WVO) im Restaurant Bären in Madiswil, als Präsidentin Béatrice Lüthi einen Appell an die anwesenden Mitglieder richtete und die Firmenchefs aufforderte, in der Corona-Krise näher zusammenzurücken, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen. «Ich sehe, dass es Firmen gibt, die aktuell voll ausgelastet und daher auf der Suche nach zusätzlichem Personal sind, während in anderen Firmen Mitarbeitende in Kurzarbeit sind. In dieser Situation müsste es doch möglich sein, dass der eine dem andern aushelfen könnte», gibt Béatrice Lüthi zu verstehen, mit welchen Gedanken sie sich in der
aktuellen Lage beschäftigt.
Cassani stellt Plattform zur Verfügung
Die Botschaft, die sie damals an die WVO-Mitglieder richtete, sei aus eigener Erfahrung entstanden, erzählt Béatrice Lüthi dem «Unter-Emmentaler». Sie habe sich nämlich vor Jahren mit ihrer Firma exakt in einer solchen Situation befunden und damals während zwei Monaten von der Firma Ammann in Langenthal, die Teile der Belegschaft in Kurzarbeit hatte, zwei Schlosser ausgemietet. Lüthi gab ihre Idee am WVO-Anlass den Mitgliedern lediglich als Gedankenanstoss mit auf den Weg, ohne konkrete Vorstellung, wie eine solche Zusammenarbeit bewerkstelligt und koordiniert werden könnte.
«Die Worte von Béatrice Lüthi waren für mich wie ein Geistesblitz», erinnert sich Lorenzo Cassani an den Anlass in Madiswil. Der Inhaber der Cassani Kaderselektion in Langenthal wusste bereits in diesem Moment, dass er mit seinem Unternehmen über eine entsprechende Software verfügt, um die gewünschte Plattform zur Verfügung zu stellen. «Denn wir waren mit unserem Unternehmen bereits vor der Corona-Pandemie sehr digital unterwegs, weil wir für unsere Kunden Kaderleute in ganz Europa rekrutieren und vermitteln», erwähnt der 60-jährige Langenthaler. Gerade in Zeiten von Corona sei es nicht mehr möglich, alle Bewerbungsgespräche vor Ort, in andern Ländern und physisch durchzuführen, weshalb er froh sei, dass er sein Unternehmen frühzeitig digital fit gemacht habe.
Cassani nahm also das Anliegen der WVO-Präsidentin auf und setzte es sogleich um. Auf seiner Webseite installierte er unter dem bereits bestehenden Talent-Pool den entsprechenden Link «WVO Freie Kapazitäten». Hier können Unternehmen ihre Mitarbeitenden, die sich momentan in Kurzarbeit befinden, andern Firmen für einen temporären Einsatz anbieten. Dabei sind sämtliche Daten von Firmen und Mitarbeitenden anonymisiert, womit man mit dem Datenschutzgesetz nicht in Konflikt gerät.
Lorenzo Cassani betont explizit, dass seine Firma lediglich als Drehscheibe amte, alles andere würden die beiden Firmen selber untereinander regeln und aushandeln.
Auch stelle er die Plattform gratis zur Verfügung, er wolle dafür keinen «Stutz», selbst dann nicht, wenn eine erfolgreiche Vermittlung stattgefunden habe. Er verstehe sein Engagement als freiwilligen Beitrag zur gegenseitigen Unterstützung in der aktuellen Krise. Deshalb hege er mit dieser Plattform auch keine Absichten, daraus ein neues Geschäftsfeld für die Zukunft aufzubauen. «Nein, mir geht es wirklich bloss darum, während der Corona-Pandemie eine Hilfestellung zu bieten, für Firmen, welche auf der Suche sind nach Personal und solchen Unternehmen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit haben und diese extern platzieren könnten.»
Vorbehalte gegen geniale Idee
Béatrice Lüthi spricht von einer genialen Idee, ist sich zugleich aber bewusst, dass bei der Vermittlung von Personal alle Seiten einverstanden sein müssten, nicht zuletzt auch die zu vermittelnde Person, die vorübergehend in einer andern Firma tätig sein wird und dafür eventuell einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen muss. Aber, die WVO-Präsidentin ist überzeugt, dass diese Plattform einem Bedürfnis entspricht und hofft deshalb, dass die WVO-Mitglieder diese Dienstleistung der Cassani Kaderselektion in Anspruch nehmen werden. Bislang hätten die KMUs noch zurückhaltend reagiert, gibt Lorenzo Cassani zu verstehen, der die Vorbehalte durchaus versteht, «denn immerhin besteht die Gefahr, dass ausgemietete Mitarbeiter Gefallen an der neuen Tätigkeit sowie dem beruflichen Umfeld finden und abgeworben werden könnten.
Deshalb gibt es vermutlich auch Firmen, die gewisse Vorbehalte gegenüber diesem Modell haben.» Gleichzeitig ist Lorenzo Cassani aber überzeugt, dass eine solche Zusammenarbeit auch neue Möglichkeiten für die beteiligten Unternehmen eröffnen könnte. «Vielleicht entdecken die beiden Unternehmen während dieser Zeit gewisse Gemeinsamkeiten, die ein erfolgversprechendes Potenzial für eine engere Zusammenarbeit bieten.»
Von Walter Ryser