In die Rollen hineingewachsen
In Madiswil hat die letzte strenge Probezeit vor der Aufführung des «Linksmähder 2020» begonnen. In rund einem Monat öffnet sich der Vorhang für die Premiere. Doch die Mitwirkenden und das Publikum dürfen sich freuen: «Wir sind gut im Zeitplan», stellen der Regisseur Renato Cavoli und die Darstellenden der Hauptrollen fest.
Madiswil · Wenn Madiswilerinnen und Madiswiler im «Linksmähder»-Theater mitspielen, ist es für sie ein unbeschreibliches Gefühl. Denn der «Linksmähder» ist nicht einfach ein Theaterstück. Die Sage ist von einem Madiswiler für Madiswiler in ihrer Sprache geschrieben worden. Sie gehört dem Dorf, gehört zum Dorf.
Während die Darstellenden des «Linksmähder 2020» unter der Regie von Renato Cavoli noch intensiv an den Szenen arbeiteten und an den Details schliffen, lief der Ticketverkauf auf Hochtouren. Ende November durften die Verantwortlichen bekanntgeben: «Ausser einigen wenigen einzelnen Plätzen sind alle Vorstellungen ausverkauft!» Anfangs Dezember wurden für vier Zusatzvorstellungen die Daten aufgeschaltet (der «Unter-Emmentaler» berichtete).
Neu interpretiert und immer wieder spannend
«Der ‹Linksmähder› gehört zu Madiswil. Ein Theaterstück in dieser Form und mit diesen Bedingungen kennt man sonst wohl kaum. Es ist speziell, dass die gleiche Geschichte alle zehn Jahre aufgeführt, aber immer auch wieder neu interpretiert und gespielt wird und für die Leute jedesmal wieder spannend ist», sagt Christian Minder, der im «Linksmähder 2020» die Hauptrolle, den Ueli spielt.
«Es ist unsere Geschichte. Wer mitspielt ist ein Teil davon», stellt Janina Fiechter fest. Es sei diese Verbundenheit, welche die «Linksmähder»-Aufführungen so besonders mache.
Das Spielfieber steckt stets das ganze Dorf an. «Es beginnt schon mit den Spekulationen, wer welche Rolle spielt», stellt Karl Schenk fest, der den Viehhändler spielt. Insbesondere bezüglich der Hauptrollen herrsche im Vorfeld immer grosse Spannung.
Er selbst hat dies mehrmals erfahren: «Kaum war ich nach Madiswil gezogen, begann für mich die ‹Aktivzeit›’ beim ‹Linksmähder›. Aber es ist das erste Mal, dass ich mitspiele. Vorher habe ich jeweils Kulissen herumgeschoben und zusammengebaut und auch sonstwie Hand angelegt.»
Denn während der Theaterzeit brauche es alle verfügbaren Hände der vier durchführenden Dorfvereine. «Aber sie kommen, sie helfen, sie melden sich freiwillig; der ‹Linksmähder› hat keine Nachwuchsprobleme.»
Die Theaterzeit verbinde das Madiswiler Volk. Jung und Alt würden mit Freude anpacken.
«Bei uns kommen dieses Jahr sogar die Ehrenmitglieder, um mitzuhelfen», weiss Janina Fiechter, die Präsidentin des DTV Madiswil ist. So fallen über Wochen hinweg Übungen und Trainings und auch Anlässe aus. Die Musikgesellschaft Madiswil etwa hat ihr Jahreskonzert im Frühling 2020 gestrichen.
Janina Fiechter hat das Stück immer wieder von einer neuen Perspektive aus erlebt. Vor zwanzig Jahren war sie das kleine Kätheli, das dem Landvogt ein Blumensträusschen überreichte. «Er gab mir immer einen Zweifränkler. Manchmal durfte ich den Batzen behalten.» Vor zehn Jahren spielte sie die heiss begehrte Rolle des Vreneli.
Ehrensache und Theaterfieber
Diesmal wird sie Vrenelis Freundin, das Marianneli, darstellen. «Aber erst kürzlich hat mich jemand mit ‹Salü Vreneli› gegrüsst. Die Aufführungen und die Mitwirkenden bleiben den Menschen in den Köpfen.»
«Im Dorf hat es wohl kaum eine Familie, in welcher noch nie jemand mitgespielt hat», vermutet Karl Schenk. Nicht nur weil es Ehrensache ist, sondern auch weil das Theaterfieber weitervererbt wird – oft über Generationen. «Ich habe die Rolle meines Urgrossvaters», sagt Christian Minder. 1922 spielte Hans Minder den Ueli. Christian Minder ist bereits zum zweiten Mal mit dabei. 2010 spielte er den
Hans Murgenthaler. Dass er für den Ueli erkoren worden sei, sei für ihn eine Ehre. «Aber ich hätte auch eine andere Rolle übernommen», meint er bescheiden. Doch der Ueli und das Vreneli müssen als Paar zusammenpassen. Und das tun sie, die beiden Hauptdarstellenden des «Linksmähder 2020», Christian Minder und Jana Zulliger. Jana Zulliger mischt zum ersten Mal im Dorf-Theater mit. «Dass es gleich das Vreneli ist, empfinde ich als grosse Ehre.» In ihrer Familie hätten in früheren Jahren schon mehrere diese Rolle gerne übernommen. «Mir fällt sie jetzt zu.» Die Aufführung ist mit vielen Emotionen verbunden. Sie prägt nicht selten die Darstellenden. «Man kann die Rollen nicht einfach spielen, man muss hineinwachsen, man muss sie werden», weiss Janina Fiechter.
Die Rollenbesetzung war eine glückliche «Punktlandung», ging genau auf. Niemand musste zurückgestellt werden, jede Rolle konnte auf Anhieb besetzt werden.
Die Proben seien streng, häufig und oft auch emotional, hält die Runde einhellig fest. Doch alle schätzen die professionelle Regie von Renato Cavoli, seinen sorgfältig geplanten Ablauf der Proben, die aufbauende Kritik sehr. «Zeitlich sind wir sehr gut drin. Es gibt Szenen, die laut dem Regisseur bereits bühnenreif sind», freuen sie sich. Dennoch, Details gebe es noch genügend um daran zu feilen, bis am 11. Januar der Vorhang für die Pre-miere aufgehe.
Infos: linksmaehdertheater.ch
Von Liselotte Jost-Zürcher
Die Sage
Die Madiswiler Sage handelt vom Burschen Ueli, der einst um die Bauerntochter Vreneli warb. Auf Grund von Verrat, Missgunst und Scheinheiligkeit wurde Ueli durch ein Gottesgericht zu einer schier unmöglichen Strafe verurteilt. Ueli sollte innert einer bestimmten Frist mit der linken Sense ein Kreuz in eine ausgedehnte Matte mähen. Unter Aufbietung seiner ganzen Kraft schaffte er das schwere Werk. Nach dem letzten Sensestreich aber brach der Unglückliche tot zusammen. Unterschiedlich sind in den drei bisher erschienenen Linksmähder-Fassungen von Jakob Steffen, Fritz Mayü und der aktuellen, des einstigen Dorflehrers Heinz Künzi, die Angaben über Uelis Todesursache. Auch das weitere Schicksal Vrenelis wird nicht einheitlich dargestellt. Die Madiswiler können indessen den Ort, wo sich jenes tragische Geschehen abgespielt haben soll, heute noch bezeichnen: Es ist die Grossmatte, die riesige Landfläche zwischen Gutenburg und Madiswil. Quelle: www.madiswil.ch/ljw