In einer Samstagnacht in Langenthal auf der Suche nach dem Corona-Virus
Das Corona-Virus hat auch unsere Region fest im Griff. Ein nächtlicher Rundgang durch Langenthal zeigt, dass sich in den diversen Bars und Nachtlokalen nach wie vor viele Leute aufhalten und vorab die jungen Besucher mit der Situation gelassen umgehen.
Langenthal · Es ist Samstagabend und ich sitze vor dem Fernseher, sehe und höre, dass sich am Abend, nachdem der Bundesrat das öffentliche Leben deutlich einschränkte, das Nachtleben an der Zürcher Langstrasse den gewohnten Lauf nahm. Der Polizeisprecher der Stadt Zürich erwähnt, dass sie keinen Besucher-Rückgang festgestellt hätten. Wie üblich seien viele Leute unterwegs gewesen, hätten sich in Gruppen getroffen und die Bars und Lokale seien so gut frequentiert gewesen wie an gewöhnlichen Freitagabenden auch.
In diesem Moment schoss mir durch den Kopf, wie das wohl bei uns hier in Langenthal zu nächtlicher Stunde aussieht? Gegen 22 Uhr mache ich mich auf den Weg ins Stadtzentrum. Vor dem Restaurant Stadthof treffe ich meinen Sohn Leroy, mit dem ich mich verabredet habe und der die Bilder zu dieser Geschichte liefern wird. Unseren ersten Besuch wollten wir dem Old Capitol abstatten, dem wohl beliebtesten und am besten frequentierten Ausgehlokal der Stadt. Doch das «OC» hat geschlossen und damit die Weisungen des Bundesrates strikt befolgt.
Wir entschliessen uns deshalb, auf den Wuhrplatz zu gehen. Auf dem Weg dorthin begegnen wir in der unteren Marktgasse drei jungen Frauen. Ich frage sie nach dem Grund ihres nächtlichen Ausflugs. «Meine Kollegin fliegt morgen für längere Zeit nach England, da wollten wir noch ein klein wenig Abschied feiern», erwähnt die junge Frau ganz rechts von mir und deutet mit dem Finger auf die Frau neben ihr. Wo diese Feier denn stattfinden soll, wollte ich wissen. Eigentlich im «Spanier» (Centro Español), antworten die drei, doch hier habe man ihnen den Einlass verweigert, weil das Kontingent von 50 Personen erreicht sei. «Mal schauen, wo sie uns reinlassen», verabschieden sich die drei Frauen.
Wir dagegen haben den «Platzhirsch» im Visier. Auf dem Weg dorthin werfen wir einen Blick ins «Chrämerhus». Dieses ist sehr gut gefüllt, praktisch an allen Tischen sitzen Leute. Im «Platzhirsch», am unteren Ende des Wuhrplatzes, werden wir von einer freundlichen, jungen Frau am Eingang empfangen. Sie führt eine Liste und teilt uns mit, dass wir die Besucher 47 und 48 seien und gerne hier verweilen dürfen. Die Kontrolle führe sie durch, weil sie keine Busse riskieren wolle, erklärt sie uns. Gestern seien mehr Leute hier gewesen und man habe etliche abweisen müssen. Die meisten hätten diese Massnahme verstanden, aber einige seien richtig verärgert abgezogen. Mit bloss 50 Leuten im Lokal laufe nicht wirklich viel, weshalb man diese Woche entscheiden werde, ob das Lokal weiter geöffnet bleibe.
Ich treffe eine Kollegin, die in Langenthal alleine ein Geschäft führt und frage sie, weshalb sie hier sei. «Ich bin nur wegen meiner Kollegin hier, habe sie begleitet, weil sie einfach nicht alleine in den Ausgang gehen wollte.» Die Frau neben ihr bestätigt ihre Aussage. Die Geschäftsfrau fügt hinzu, dass sie sehr grossen Respekt vor dem Corona-Virus und der ganzen Situation habe. «Ich blieb bereits die letzten beiden Wochenenden zu Hause und werde das auch an den kommenden Wochenenden tun, denn ich kann es mir schlicht nicht leisten, krank zu werden und längere Zeit auszufallen, das würde mich in existenzielle Schwierigkeiten bringen, nachdem ich bereits einen Auftragsrückgang spüre.»
Leroy und ich nehmen an der Bar Platz und trinken ein Bier. Hinter uns sitzt eine Gruppe von 13 jungen Leuten eng beieinander an einem Tisch. Ich drehe mich um und frage: «Noch nie etwas von Social Distancing gehört?» Gelächter bricht aus. Auf mein Nachhaken, ob denn niemand von ihnen Angst oder Respekt habe, folgt ungläubiges Staunen, Kopfschütteln und die Aussage eines jungen Mannes in der Gruppe: «Wir sind doch nicht 65 Jahre alt.» Ich lasse nicht locker und erkläre, dass sie mit ihrem Verhalten eventuell zur Verbreitung des Virus beitragen würden. «Wir sind alle kerngesund, hundertpro», entgegnet mir eine junge Frau. Eine Kollegin von ihr steht auf und kommt zu mir und meinem Sohn an die Bar und erläutert: «Alle sind wegen mir hier, weil ich morgen Geburtstag habe. Für mich persönlich ist dieses Treffen deutlich entspannter als mein Arbeitsalltag», gibt sie weiter zu verstehen und klärt uns auf, dass sie in einer Arztpraxis in Huttwil arbeite und täglich mit Risikopatienten konfrontiert sei. «Dort ist für mich die Gefahr einer möglichen Ansteckung weitaus höher als hier.»
Wir setzen unsere Nacht-Tour fort, begeben uns zum «Spanier», der nur wenige Schritte vom Platzhirsch entfernt liegt. Auch hier steht vor der Treppe, die hinauf ins Lokal führt, eine Kontrolltruppe. Erneut sind wir die Besucher
47 und 48. Oben im Lokal trifft Leroy gleich auf eine Gruppe Fussballkollegen, die auf ihre Weise das Coronavirus bekämpfen: mit ausgelassener Stimmung und einer Runde Corona-Bier. Der Besitzer des Lokals, Sanmartin Celso, erklärt mir, dass sein Lokal so lange wie möglich geöffnet bleibe. An einem Tisch erblicke ich Simon Aebi, den Präsidenten des Vereins Old Capitol. Ich setze mich kurz zu ihm und frage ihn, weshalb das «OC» heute nicht geöffnet habe. «Für uns ist das wirklich eine Sch…-Situation.» Für den heutigen Konzertabend habe man im Vorverkauf bereits 300 Tickets abgesetzt gehabt. Meine Frage, ob das OC bald wieder geöffnet werde, konnte er nicht beantworten. «Wir warten jetzt einmal das Wochenende ab und besprechen das anschliessend. Wir sind ja eigentlich keine Bar, sondern ein Konzert- und Eventlokal und können deshalb keine Veranstaltungen mehr durchführen. Aber vielleicht öffnen wir die Bar für unsere Mitglieder, damit sich diese wenigstens an einem Ort treffen können und soziale Kontakte haben.» Die letzte Station führt uns in das Hotel Bären, mitten im Stadtzentrum. Es ist nach 23 Uhr und nur noch wenige Leute sind hier. Das Servierpersonal bestätigt uns, dass deutlich weniger Leute hier gewesen seien als an anderen Samstagabenden. «Unsere Kundschaft ist eher im Alter ab 45 Jahren angesiedelt und diese bleibt nun weitgehend fern», wird uns von einer Servicefachfrau erklärt. Ein älteres Paar liess es sich jedoch nicht nehmen, im «Bären» essen zu gehen. «Wir haben diesen Termin schon lange vereinbart und lassen uns diesen Abend nicht verderben», bemerkt die Frau. Social Distancing sei zudem kein Problem gewesen, verweist sie lachend auf die wenigen Gäste.
Plötzlich kommt aus einem Nebenraum eine grössere Gruppe herein. Es handelt sich um Mitglieder des Stadtturnvereins Langenthal. Man habe die ordentliche Hauptversammlung durchgeführt, wird uns erklärt. Weshalb diese denn nicht verschoben wurde, wollte ich wissen. «An unserer HV nehmen in der Regel so um die 50 Personen teil. Weil sich aufgrund der Situation um das Corona-Virus mehrere Mitglieder abgemeldet haben, entschlossen wir uns, die HV durchzuführen», erläutert uns ein Turner.
Es ist fast Mitternacht, wir machen uns auf den Heimweg. Die Polizei ist uns bislang nicht begegnet, aber wir haben in mehreren Lokalen erfahren, dass die Polizei viel unterwegs gewesen und auch öfters Kontrollen gemacht habe. Aufgrund unserer Erfahrungen während des Rundganges können wir sagen, dass vermutlich kaum Bussen ausgesprochen werden mussten, hingegen gibt es noch viele (vorwiegend junge) Leute, die mit der Situation sehr locker umgehen und sich überaus schwer damit tun, ihren bisherigen Lebenswandel anzupassen und sich einzuschränken …
Von Walter Ryser