• Die Jagdgruppe Melchnau, hinten von links: Lorenz Schmid, Michel Gobet (Gastjäger aus dem Aargau), Ernst Eichenberger und Rudolf Berchtold. Vorne von links: Hans Geissbühler und Pietro Aeschimann. · Bilder: Marianne Ruch

  • Hans Geissbühler erklärt seinem Gast Michel Gobet, wie sich die Gruppe verteilt.

  • Pietro Aeschimann beim Ansitzen während der Treibjagd.

28.10.2022
Oberaargau

«Jäger sein ist eine Berufung»

Hans Geissbühler aus Busswil bei Melchnau jagt seit bald 40 Jahren. Die Jagd an sich ist ein kleiner Teil, es gehört viel mehr dazu, Jäger zu sein. Und das Erlegen der Tiere sei nicht der Grund, warum ein Jäger ein Jäger ist. Es ist die wunderbare Natur, die Stille und die Freiheit, die einen Jäger immer und immer wieder in den Wald ziehe. Zudem haben Jägerinnen und Jäger einen öffentlichen Auftrag und leisten einen wertvollen Beitrag für die Flora und Fauna des ganzen Landes.

«Seit ich laufen kann, war ich immer im Wald. Er fasziniert mich und ich bin auf ihn fixiert», erklärt Hans Geissbühler seine Leidenschaft für die Jagd. So arbeitete er jahrelang im Wald, schlug an die 40 000 Bäume, spaltete rund 5000 Ster Holz und macht auch heute noch, mit 75 Jahren, an die 1000 Wedelen pro Jahr. Wohl nicht von ungefähr ist er im Dorf als «dr Wedelemacher» bekannt.
Wegen seiner Leidenschaft für den Wald fing er 1984 mit dem Jagen an und ist bis heute ein sehr «angefressener» Jäger, wie er selbst sagt. Für ihn ist die Jagdzeit definitiv die schönste Zeit im Jahr. In der Treibjagd, welche vom 1. Oktober bis zum 15. November dauert, ist Hans Geissbühler immer mit der Jagdgruppe Melchnau in der Region Melchnau, Reisiswil und Busswil unterwegs. «Wir sind fünf Jäger, die schon jahrelang zusammen jagen», erklärt er. Zur Gruppe gehören Hans Geissbühler, Pietro Aeschimann, Rudolf Berchtold, Lorenz Schmid und Ernst Eichenberger, der als Jagdleiter und als freiwilliger Jagdaufseher fungiert.

Es gehört viel dazu
Die Jungjägerausbildung dauert zwei Jahre und beinhaltet nebst fundiertem Natur-Wissen auch 100 Hegestunden. Die Aufgaben des Jägers sind sehr vielfältig: Rehzählung im Frühling, Rehkitzrettung im Sommer und das Erlangen des jährlichen Schiessnachweises sind nur einige davon. Das Basis-Jagdpatent beinhaltet die Jagd von Fuchs, Dachs, Marder und Krähen. Zusätzlich können die Patente für Wildsau, Hirsch, Gämse, die Niederjagd und für Enten gelöst werden. Hans Geissbühler löst für die Herbstjagd jeweils das Patent für drei Rehe − ein Bock, ein Gitzi und eine Geiss. Heuer hat er am dritten Jagdtag, also am 5. Oktober, bereits alle drei Rehe erlegt gehabt. Hat er somit sein Ziel erreicht und geht dieses Jahr nicht mehr auf die Jagd? «Oh doch, ich gehe immer mit, und wenn ein Jagdkollege mir die Erlaubnis gibt, darf ich ihm helfen, sein Reh zu schiessen», erklärt der 75-jährige ehemalige Feinmechaniker und Bauer. Sowieso gehe es nicht darum, möglichst alles, was vor die Flinte komme, zu erlegen. «Das dürfen wir gar nicht und ist auch nicht unser Ziel. Ich liebe es, im Wald zu sein, zu sehen, wie es Tag wird und die Natur zu geniessen», schwärmt er. Genau das mache es aus, nicht das Erlegen der Tiere. Natürlich wolle jeder Jäger sein Reh oder seine Gämse schiessen können, die Natur und die vielen Stunden der Freiheit im Wald seien aber viel wichtiger.

Jagen – ein öffentlicher Auftrag
«Früher sei Jäger ein Beruf gewesen, heute nennt man es Hobby», erklärt Ernst Eichenberger, der Jagdleiter. Etwa 2200 Jäger gebe es im Kanton Bern und durchschnittlich erlege ein Jäger drei Rehe pro Saison. Die Jagdkommission reguliert den Bestand und gibt demnach die Anzahl Rehe frei, die erlegt werden dürfen, aber auch müssen. «Der Bestand muss erhalten bleiben, darf aber auch nicht überhand nehmen. Das heisst, er muss umweltverträglich sein», erklärt Ernst Eichenberger weiter. Zu Hans Geissbühler als Jäger meint er: «Er ist ein sehr zuverlässiger und korrekter Jäger. Und vor allem ist er ein sehr guter Schütze», rühmt der Wirt des Gasthof Löwen in Melchnau.
Peter Wegmüller, der Gemeindepräsi-dent von Busswil, begleitet die Jagdgruppe zwei bis drei Mal pro Jahr. «Ich geniesse diese Tage jeweils in vollen Zügen. Ich spüre die Freude der Jäger, es sind sehr spannende Tage und ich lerne jeweils viel über die Natur. Hans Geissbühler und die anderen Jäger zeigen mir viele Details, die ich etwa bei einem normalen Spaziergang gar nicht wahrnehme», erklärt er. Zudem sei die Jagd eine wichtige Aufgabe, was viele gar nicht wissen. «Grundsätzlich darf jede und jeder mitkommen, wenn das Interesse da ist», meint Hans Geissbühler. Er freue sich immer, jemandem «seinen» Wald zu zeigen und ihm vielleicht sogar das Verständnis für die Jagd näherbringen zu können.

Einmal Jäger – immer Jäger
«Ja, ist man einmal ein Jäger, dann bleibt man auch einer», sagt Hans Geissbühler. Entweder man habe es in sich, oder eben nicht. Darum hat er zum Rehpatent auch noch das Patent für zwei Gämsen und einen Hirsch gelöst. «Die Gämsjagd ist für mich die schönste Jagd», erklärt er strahlend. «Da bin ich jeweils auf der Bisegg im Wasen unterwegs», erklärt er. Aber warum ist das die schönste Jagd? «Bei der Treibjagd ist man stets in der Gruppe unterwegs, das schätze ich sehr. Aber bei der Gämsjagd ist man alleine auf der Pirsch. Es ist viel ruhiger, man wartet, bis eine Gämse vorbeikommt. Ich mag diese Ruhe und Stille und geniesse dies immer sehr», erklärt er seine Leidenschaft. «Wenn ich wählen müsste, so würde ich definitiv die Gämsjagd wählen», sagt er bestimmt. In Frankreich war er jeweils auf der Wildsaujagd. «Da bin ich einmal von halb fünf am Abend bis morgens um 5 Uhr auf dem Hochsitz gesessen», erzählt er lachend. Ja, jedermanns Sache ist es nicht, solange ruhig zu sitzen und zu warten. Was sagt eigentlich seine Frau Elisabeth Geissbühler dazu? «Sie hat mich immer machen lassen und mich unterstützt. Es gab nie Diskussionen – sie ist die beste Frau der Welt», sagt er stolz. Nicht alle sind für die Jagd, und skeptischen Menschen würde er sagen, dass wenn wir Fleisch essen wollen, dies zuerst erlegt werden muss. Und dass er es als wichtig erachte, sich mit dem zu ernähren, was in der Gegend wachse und lebe, wenn man denn die Region nutzen wolle.

Treibjagdtag im Oktober
Montagmorgen, 8 Uhr: Treffpunkt ist die Hornusserhütte in Gondiswil. Strahlend stehen die fünf Jäger der Jagdgruppe Melchnau und ihr Gast aus dem Aargau, Michel Gobet, im Wald. Zur Begrüssung hebt jeder einzelne Jäger beim Handschlag den Hut. Heute ist Treibjagdtag. Aber zuerst müssen sich die Jäger für ein Foto aufstellen. Alles kein Problem, sie nehmen sich die Zeit gerne. Die Redaktorin wird sogleich eingeladen, den Tag mit den Jägern zu verbringen, denn es gäbe noch viele schöne Sachen zu sehen und zu fotografieren. Nach dem Shooting erklärt Ernst Eichenberger, der Jagdleiter, wie der heutige Tag vor sich gehen soll. Pietro Aeschimann marschiert davon, sucht sich einen Platz zum Ansitzen. Entweder werden die Rehe von rechts oder von links vorbeikommen. Rudolf Berchtold und Lorenz Schmid ziehen mit ihren Hunden davon – sie werden die Rehe treiben. Die restlichen drei Jäger sind plötzlich verschwunden, auch sie legen sich wohl irgendwo auf die Lauer. Ob sie ein Reh erlegen werden, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unbeantwortet. Doch wenn eines erlegt werden kann, dann mit viel Respekt: «Wenn ich ein Reh erlegt habe, gehe ich mit Demut und Respekt zu dem Tier. Ich lege dem Reh den letzen Bissen in der Form eines Zweigleins in den Mund und bedanke mich bei ihm, dass es vorbeigekommen ist», erklärt Hans Geissbühler. Dieser Respekt dem Tier gegenüber sei ein Muss, sagt er bestimmt. Ein Bruch, ebenfalls in Form eines kleinen Zweiges, wird an den Hut gesteckt. Ort, Datum und Zeit müssen aufgeschrieben werden, das Tier mit einem Bändeli markiert und die Innereien ausgenommen werden. Dies alles passiert, bevor das Tier aus dem Wald zu einem Metzger zur weiteren Verarbeitung gebracht wird. Die Redaktorin hat den Tag nicht mit den Jägern verbracht – die Einladung gilt aber auch für nächstes Jahr noch.
«So Gott will, jage ich auch noch im nächsten Herbst», sagt der zufriedene und ruhige Hans Geissbühler, der von sich selbst lächelnd sagt: «Es geht mir sehr gut und ich habe alles, was ich brauche – was will ich mehr?»

Von Marianne Ruch