• 33 Jahre lang haben Eva Mühlemann und Thomas Rufener gemeinsam an der Schule in Nyffel unterrichtet. Nun gehen sie in den wohlverdienten Ruhestand. · Bilder: Marion Heiniger

  • Mit ihren «Nyffel-Velos» fährt das Ehepaar nicht nur an jedem Tag und bei jedem Wetter zur Schule, sondern sie haben mit ihnen auch schon fast alle europäischen Meere besucht.

  • Sich ein Jahr lang auf ein Marionettentheater vorzubereiten, das hat Eva Mühlemann geliebt. Die Puppen wurden jeweils von den Kindern selbst hergestellt. · Bild: zvg

06.07.2023
Huttwil

Jeden Tag mit dem Velo zur Schule

Seit 33 Jahren unterrichtet das Ehepaar Eva Mühlemann und Tho­­mas Rufener an der Schule in Nyffel. Damals haben sie bewusst eine kleine Schule auf dem Land ausgewählt. Es sei wie ein kleines Königreich mit vielen Freiheiten, schwärmen die beiden. An jedem einzelnen Tag haben sie den Arbeits- respektive Schulweg mit dem Velo zurückgelegt. Nun gehen sie in den wohlverdienten Ruhestand.

Als sich das Ehepaar Eva Mühlemann und Thomas Rufener 1990 auf die ausgeschriebene Lehrerstelle beim Schulhaus Nyffel in Huttwil meldete, waren sie aufgrund Lehrermangels die einzigen Bewerber. «Für mich war das die erste Lehrerinnenstelle», verrät Eva Mühlemann. Denn als sie 1984 ihren Abschluss am Lehrerseminar machte, herrschte noch Lehrerüberfluss und die frisch gebackene Pädagogin, die in Oberhofen am Thunersee aufgewachsen ist, musste sich beruflich umorientieren. «Ich arbeitete nach der Ausbildung in einem Kinderheim in Marbach, St. Galler Rheintal, das war eine schöne Zeit.» Ihren Mann lernte sie während des Abschlusspraktikums an der Schule in Gurzelen bei Thun kennen. Thomas Rufener ergänzt: «Meine erste Stelle im Teilpensum war in Spiez, dort bin ich auch aufgewachsen, in Gurzelen war ich danach vier Jahre lang.» Er hatte seine Ausbildung zum Lehrer bereits 1980 abgeschlossen. Kurze Zeit später zog es das junge Paar nach Schweden, wo sie ein halbes Jahr auf einem Bauernhof arbeiteten. Zurück in der Schweiz nahm Thomas Rufener eine Anstellung in einer Holzwerkstatt bei Contact Bern, einer Jugend- und Eltern-Drogenberatungsstelle an, um den Menschen eine Tagesstruktur zu geben. «In dieser Zeit kamen unsere beiden Kinder zur Welt und ich nahm für zwei Jahre eine Familienpause», erzählt Eva Mühlemann, die schon als Kind Lehrerin werden wollte. Thomas Rufener hingegen hätte sich auch einen handwerklichen Beruf wie Schreiner vorstellen können. Doch als Lehrerkind ist er in diesen Beruf hineingerutscht.

Wichtig war das Zusammenarbeiten
Unterdessen unterrichtet das Ehepaar seit 33 Jahre an der Schule in Nyffel. Wichtig war ihnen damals eine Stelle zu finden, in der sie zusammenarbeiten konnten, eine Anstellung im Lehrberuf war dabei nicht die einzige Wahl. «Wir haben verschiedene Stellen angeschaut und waren uns noch nicht sicher, ob wir wieder in die Schule zurückkehren oder eventuell etwas ganz anderes machen wollten», erinnert sich die heute 61-jährige Lehrerin. Neben dem Stellenangebot einer Grossfamilie im Tessin oder einer Posthalterstelle mit Lädeli in Tenna im Graubünden kam auch diejenige Stelle beim Schulhaus Nyffel in die engere Wahl. «Die Posthalterstelle in Tenna hätte uns sehr interessiert, besonders da wir gerne in den Bergen sind, doch dort suchte man jemanden, der diesen Job auf Lebzeiten machen würde und das wollten wir nicht», erzählt Eva Mühlemann weiter. So fiel die Wahl schlussendlich auf die Schule in Nyffel, die zwar nicht in den Bergen, aber zumindest auf dem Land war und das Schulhaus klein und übersichtlich. «Wir haben bewusst ein kleines Schulhaus auf dem Land gesucht. Nyffel ist wie ein kleines Königreich, man hat hier mehr Freiheiten als in den grossen Schulhäusern. Vieles ist einfacher, wenn es nicht so viele Kinder hat», sind sich beide einig. Ein weiterer Grund, der für Nyffel sprach, war der Arbeits- respektive der Schulweg, den das Ehepaar nunmehr schon seit 33 Jahren an jedem Tag und bei jedem Wetter mit dem Velo zurücklegt. «Es wäre für mich fürchterlich, wenn ich jeden Tag mit dem Auto nach Bern müsste. Der Schulweg ist so wunderschön», schwärmt Eva Mühlemann. Dabei stehe nicht etwa die körperliche Betätigung im Vordergrund, sondern der achtsame Umgang mit der Umwelt.
Als das Ehepaar ihre Anstellungen in Nyffel antrat, startete Thomas Rufener mit 90 Stellenprozenten und Eva Mühlemann mit zehn Prozent. «Später, als unsere Kinder grösser wurden, hat meine Frau ihr Pensum vergrössert und ich dementsprechend reduziert, damit immer jemand zuhause bei den Kindern sein konnte. Eine Vollzeitbeschäftigung haben wir nie angestrebt.» Dabei haben sie immer an derselben Klasse unterrichtet. Zuerst die vierte bis sechste Klasse, in den vergangenen Jahren dann die dritte und vierte Klasse. «Wir kennen uns sehr gut und können uns auch gut in die Hand arbeiten, das spart Kraft», ergänzt Eva Mühlemann, die ausser Singen alle Fächer gerne unterrichtet. Geliebt hat sie die verschiedenen Projekte wie die Lesenacht, Gedichte-Abende oder Theateraufführungen wie etwa Schatten- oder Marionettentheater. «Bei den Marionettentheatern haben wir zusammen mit den Kindern die Texte geschrieben, die Puppen selbst gebastelt und miteinander entschieden, wer welche Figur ist. Es war schön, wenn man ein ganzes Jahr daraufhin arbeiten konnte», erzählt die Lehrerin mit Begeisterung. Gute Arbeit zu leisten war dabei immer wieder der Antrieb. «Ich habe durch den Beruf, durch die Kinder und die Eltern sehr viel gelernt, es war wie eine Lebensschule», ist Eva Mühlemann dankbar.

Grosse Veränderungen
Eine Zeit lang war Thomas Rufener neben dem Unterrichten in Nyffel auch als Schulleiter tätig. «Heute gibt es in Nyffel keinen Schulleiter mehr, das Schulhaus ist zu klein. Nun bin ich noch Hausvorstand, was aber eine ganz andere Funktion ist. Als Schulleiter war ich Vorgesetzter, als Hausvorstand habe ich lediglich zusätzliche administrative Aufgaben», erklärt der engagierte Lehrer. Der Wechsel von der Schulleitung zum Hausvorstand war aber nicht die einzige Veränderung, die das Ehepaar in all den Jahren miterlebt hat. Während in den Anfängen die Hälfte der Kinder aus Bauernfamilien kamen, habe es heute kaum mehr Bauernkinder in den Klassen. «Auch die Gesellschaft hat sich verändert, die Schule ist ein Abbild davon», glaubt Eva Mühlemann. Alle die Verlockungen durch die Medien würden heute Eltern und Kinder vor grosse Herausforderungen stellen. «Immer mehr Kinder sammeln ihre Erfahrungen und ihr Wissen zunehmend nicht in der Realität, sondern im Internet oder bei Games. Das schwächt die Konzentration.» Ein weiterer Punkt, bei dem sich das Ehepaar ebenfalls einig ist, ist die schulische Integration. «Ein schönes Wort und ein hehrer Gedanke, aber bei der Umsetzung gibt es Schwierigkeiten», bringt es Eva Mühlemann auf den Punkt. Thomas Rufener ergänzt: «Die Integration ist in meinen Augen gescheitert, es fehlen die Ressourcen, die uns der Kanton eigentlich zu Verfügung stellen müsste, damit wir allen Kindern gerecht werden können.»
Was würden sie denn in der Schule ändern, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten? «Ich würde versuchen das Schnelllebige zu durchbrechen, damit wieder mehr Ruhe in den Unterricht kommt, und andere Lehrmittel würde ich mir wünschen, mit denen man länger an einem Thema bleiben und üben kann. Zusammengefasst würde ich die Schule wieder vereinfachen», erklärt der 63-jährige Lehrer. Eine Meinung, die auch seine Frau teilt. «Zusätzlich würde ich nicht nur bis zur dritten Klasse keine Noten vergeben, sondern dies auch auf die weiteren Stufen ausweiten», ergänzt Eva Mühlemann, die gerne Menschen zu erfassen versucht, um zu begreifen, wieso sie so handeln, wie sie eben handeln. Ein gewichtiger Grund, weshalb sie gerne Lehrerin ist.

Mit dem Velo durch Europa
Doch nun ist es für Eva Mühlemann und Thomas Rufener Zeit, sich dem nächsten Lebenskapitel zuzuwenden. Auch im Ruhestand werden die Velos (keine E-Bikes) weiterhin treue Begleiter bleiben. «Mit unseren Nyffel-Velos sind wir von zuhause aus an alle europäischen Meere gefahren, ausser an das schwarze Meer», erzählt Eva Mühlemann. Bevor sie die neu gewonnene Zeit für ihre beiden bereits erwachsenen Kindern und die zwei Enkel einsetzen können, und bevor es wieder mit dem Velo zum nächsten Abenteuer Richtung Bretagne losgehen kann, werden Thomas Rufener und Eva Mühlemann noch ihr Schulzimmer aufräumen, damit eine neue Lehrperson darin Fuss fassen kann. Die Nachfolge ist laut Schulleiter Matthias Mürner bereits geregelt.

Von Marion Heiniger