«Jetzt möchte ich Weltmeister werden»
Monatsinterview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Mathias Flückiger, Mountainbiker aus Leimiswil – Mathias Flückiger aus Leimiswil ist der beste Schweizer Mountainbiker der Gegenwart. Mit etwas Distanz spricht der 32-Jährige über den Gewinn der Olympischen Silbermedaille. Er gibt auch Einblick in sein Privatleben. «Math» blickt aber auch auf die nächsten grossen Ziele: Er strebt WM-Gold und den Gewinn des Gesamtweltcups an.
Radsport · Wie geht es Ihnen?
Wieder gut, danke. Ich brauchte aber einige Zeit, um nach dieser stressigen Zeit wieder den Tritt zu finden.
Wie sind Sie mit dem Olympiarummel klar gekommen?
Besonders im Vorfeld der Spiele war dieser schon gewaltig. Es ist immer etwas passiert. Dies hat mich ganz viel Energie gekostet, besonders mental. Nach dem Olympia-Silber waren es wundervolle Momente – aber ebenfalls sehr kraftraubende.
An der 1.-August-Feier in der Kirche Madiswil wurden Sie geehrt. Die Gemeinde Madiswil, zu der Ihr Wohnort Leimiswil gehört, plant im September zusätzlich einen speziellen Medaillenanlass. Fühlen Sie sich geehrt?
Der Empfang am Nationalfeiertag hat mich sehr gefreut. Auch die Plakate an den Ortseinfahrten. Und am 25. September organisiert die Gemeinde Madiswil eine Medaillenfeier für mich. Sie wird mit einem Biketag kombiniert. Das freut mich sehr.
Und was hat sich Ihr Team Thömus RN Swiss Bike Team nach dem Olympiaerfolg einfallen lassen?
Zwei Tage nach meiner Rückkehr fand in Oberriet, am Sitz von «Thömus», eine Feier statt, die einfach top organisiert war. Es war genial. In Oberriet fand am Renntag bereits ein Public Viewing statt, zu dem ich all meine Kollegen eingeladen hatte.
Haben Sie nach der stressigen Olympiazeit auch etwas Zeit mit Ihrer Partnerin Lisa verbringen können?
In den Wochen vor den Olympischen Spielen war unsere gemeinsame Zeit wirklich limitiert. Nun hat es endlich wieder mehr gemeinsame Zeit gegeben. Wir geniessen die gemeinsamen Abende sehr.
Und wie steht es mit der Familie? Gab es gemeinsame Momente mit Ihren Eltern sowie Ihrem ebenfalls auf Spitzenniveau bikenden Bruder Lukas?
Einen Tag nach meiner Rückkehr fand bei meinem Bruder und seiner Familie in Wynigen ein Familienfest statt. Bei herrlichem Wetter haben wir grilliert und uns ausgetauscht. Ich hatte von meiner Tokio-Reise einiges zu berichten.
Es ist schwieriger, an Sie heranzukommen. Mittlerweile kümmert sich die «crossroads Event und Kommunikation GmbH» um Ihre Medienarbeit. Sind die Anfragen derart massiv angestiegen?
In der Tat ist dies so. Es ist schön, dass sich das Medieninteresse gesteigert hat. Ich habe mir dies mit meinen jüngsten Erfolgen hart erarbeitet. So schön diese Aufmerksamkeit ist und so sehr ich sie mir schon lange gewünscht habe, birgt sie auch Gefahren. Ich muss Zeit für das Training haben, um Erfolg zu haben. In den Wochen vor den Olympischen Spielen war das Medieninteresse aber so gross, dass ich jeden Tag einen Termin gehabt hätte. Dies kann ich aber nicht bewältigen, weshalb ich einen Presseverantwortlichen engagiert habe, der die Koordination übernimmt und mir etwas den Rücken freihält. Ich werde dieses Engagement auch nach den Spielen aufrecht erhalten, da es auch eine Art Professionalisierung ist. Und diese strebe ich in allen Bereichen an.
Jahrelang stand der Bündner Nino Schurter im Medienfokus, wenn es um den Männer-Mountainbikesport in der Schweiz ging. Mit Ihrer bisherigen Topsaison und nun Olympia-Silber hat sich das Blatt gewendet. Es wird über Flückiger und nicht mehr über Schurter berichtet. Empfinden Sie dies auch so?
Ich finde, dass jetzt über beide berichtet wird. Nino Schurter wird mit seinem Schaffen für den Mountainbikesport in der Schweiz sowie seinen Erfolgen immer ein Thema sein. Ich bin nun aber auch in den Fokus gerückt und konnte dank meinen Erfolgen medial zu ihm aufschliessen.
32 Tage sind seit dem Gewinn Ihrer Olympia-Silbermedaille im Mountainbiken vergangen. Wie stehen Sie heute dem Vize-Olympiasieg gegenüber.
Ich wollte bis zur Ziellinie Gold gewinnen. Dieses Ziel habe ich auch in den Wochen vor den Spielen so kommuniziert. Dementsprechend enttäuscht war ich im ersten Moment, es nicht geschafft zu haben. Jetzt, mit einigem Abstand, freue ich mich sehr über die Silbermedaille. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich das Rennen gewinnen wollte.
Gewinnt der Medaillengewinn an Wert, wenn sie beispielsweise hören, dass Strassenfahrer Stefan Küng im Zeitfahren über 44,2 Kilometern Olympia-Bronze um vier Zehntelsekunden verpasst hat.
Das ist für Küng brutal, wirklich. Es ist aber nicht mit meiner Situation zu vergleichen. In unserem Rennen waren die Abstände viel grösser. Silber und Bronze hatte ich – einen möglichen Defekt einmal ausgenommen – auf sicher. Es ging darum, ob ich Gold hole.
Wo hängt die Silbermedaille?
Ich bin nicht so der Typ, der alle Trophäen präsentiert. Nur die allerwichtigsten Medaillen sind bei mir daheim zu sehen. Die Olympiamedaille liegt auf dem Sideboard im Wohnzimmer.
Was hat sich seit dem Grosserfolg in Japan in Ihrem Leben verändert?
Es war schon erstaunlich. Bei meiner ersten Trainingsfahrt daheim hat sich jeder nach mir umgedreht, gewunken oder etwas zugerufen. Auch Leute, die das vorher nie getan haben. Ich werde überall erkannt, werde für Selfies angefragt. Die typisch Schweizerische Zurückhaltung ist aber allgegenwärtig, was ich gar nicht so schlecht finde. Beim Abendessen mit meiner Freundin in Langenthal haben sich alle Leute nach uns umgedreht. Es kam aber niemand zu unserem Tisch.
Lässt sich mit Olympiasilber auch Geld machen?
Ich erhoffe mir dies schon, ja.
Dann planen Sie, Ihre sportlichen Grosserfolge zu vermarkten?
Ich bin eigentlich schon daran. Mit den anhaltenden Erfolgen legte ich die Basis. Was folgte war das höhere Medieninteresse. Dies wiederum steigerte meinen Bekanntheitsgrad – und somit das Interesse von Sponsoren. Mein Marktwert ist gestiegen. Da diese Sponsoren-Arbeit aber sehr zeitintensiv ist, möchte ich eigentlich nicht neue Sponsoren akquirieren, sondern die Unterstützung der Bestehenden ausbauen – plus ein paar wenige «Big Players» dazugewinnen. Denn auch hier gilt: Das Training steht im Fokus und darf wegen solchen Aufgaben nicht leiden.
Was schaut in Ihrer Erfolgssaison 2021 finanziell ungefähr raus?
Es ist zweifelsohne meine bisher lukrativste Saison. Ich werde Ende Jahr einen schönen Batzen auf die Seite legen können. Zahlen möchte ich aber keine nennen.
Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Bereits morgen Samstag steht mit dem WM-Rennen in Val di Sole der zweite grosse Höhepunkt in diesem Jahr an. Haben Sie sich genügend vom Olympiastress erholen können?
Physisch befinde ich mich nach wie vor in Topform. Es war die mentale Müdigkeit, von der ich mich vor allem erholen musste. Nun bin ich bereit.
Liegt Ihnen die stark coupierte 4 km lange WM-Rundstrecke in den italienischen Alpen?
Vergleichen wir die Olympia- mit der WM-Strecke muss ich ganz klar sagen, dass mir jene in Val di Sole viel mehr entgegenkommt. Mittlerweile ist es aber so, dass ich mich auf allen Strecken wohlfühle und mithalten kann, was ein Teil meines Erfolges ausmacht. Ich habe auch gute Erinnerungen. 2019 habe ich in Val di Sole zum ersten Mal Nino Schurter geschlagen.
Sie nennen den Namen eines Dauerrivalen. Wen bezeichnen Sie als Ihren grössten Widersacher im Kampf um WM-Gold?
Pidcock fährt die Vuelta und wird nicht am Start sein. Ob van der Pool antritt, ist noch unklar. Es gibt aber viele andere Titelkandidaten wie Cink oder Schurter. Es ist mir aber egal, wer antritt. Wenn ich meine Leistung abrufen kann, muss ich nicht auf die Gegner schauen.
Sie haben an der WM gleich eine doppelte Medaillenchance. Es wird auch im Short Race ein Medaillensatz vergeben. Auf was fokussieren Sie sich?
Weil ich mit der Qualifikation und dem anschliessenden Short Race zuviel Energie verpuffen würde, konzentriere ich mich ganz auf das Cross Country-Rennen und fahre das Short Race nicht. Im Rennen vom Samstag strebe ich den WM-Titel an.
Auch nach der WM gibt es keine Möglichkeit, durchzuatmen. Werden Sie im September an beiden verbleibenden Weltcuprennen in Lenzerheide und Snowshoe in den USA starten?
Auf jeden Fall.
Sie haben 2021 gute Chancen, den Gesamtweltcup zu gewinnen. Was würde Ihnen dieser Erfolg bedeuten?
Sehr viel. Es ist ein Leistungsausweis über eine gesamte Saison. Dieser Titel wäre für mich die Krönung einer wunderbaren Saison. Ich würde den Gesamtweltcup-Sieg dem Gewinn einer WM-Medaille gleichstellen.
Gönnen Sie sich nach dem Weltcupende eine längere Pause?
Oh ja, die ist dann dringend notwendig. Ich werde auch kein einziges Radquer-Rennen fahren, um mich wirklich zu erholen – und dann mit Elan und einem gezielten Trainingsaufbau die Bike-Saison 2022 vorzubereiten.
Auf was freuen Sie sich besonders, wenn die vor allem auch mental intensive Saison 2021 zu Ende ist?
Ferien. Ich werde mit meiner Partnerin nach Sardinien reisen. Dort werden wir das Rad nur als Fortbewegungsmittel brauchen und einfach die gemeinsame Zeit ohne Trainings- und Rennstress geniessen.
Haben Sie sich schon Gedanken über die fernere Zukunft gemacht? Wird Mathias Flückiger auch an den Olympischen Spielen 2024 an den Start gehen?
Da werde ich auf jeden Fall am Start stehen. Und, ich habe noch eine Rechnung offen.
Und die familiäre Zukunft? Haben Sie mit Lisa bereits über Nachwuchs gesprochen?
Wir sind jetzt gut ein Jahr zusammen. Natürlich sprechen wir darüber. Für beide wäre der Zeitpunkt dazu aber noch etwas zu früh. Wir wollen vorerst die gemeinsame Zeit geniessen. Später ist Nachwuchs denkbar. Ich möchte dann aber auch genügend Zeit für diesen haben.