«Jetzt überwiegt definitiv die Freude»
Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Mathias Flückiger, Mountainbiker aus Leimiswil – Die erste Enttäuschung über das angestrebte und knapp verpasste Olympia-Gold im Mountainbiken ist vorbei. Der 32-jährige Mathias Flückiger aus Leimiswil lässt im Interview klar erkennen, dass er sich über die gewonnene Silbermedaille freut.
Radsport · Ist die Enttäuschung über das verpasste Gold etwas durch die Freude über das gewonnene Silber verdrängt worden?
Jetzt überwiegt definitiv die Freude. Ich bin aus dem totalen Rennfokus raus. Wenn ich sehe, wieviele mit mir mitgefiebert haben, macht mich dies stolz. Ich habe abgeliefert. Ich freue mich über die Silbermedaille.
Wie gross war der Druck, als aktuelle Nummer 1 der Welt im Mountainbiken das Olympiarennen zu bestreiten?
Ich habe immer erklärt, dass mein Ziel der Olympiasieg ist. Ich habe mir damit keinen Druck aufgesetzt. Es war einfach meine Zielsetzung. Damit habe ich aber natürlich die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit erhöht. Ich habe mein Ziel nicht erreicht. Aber gemessen daran, dass der Gewinn einer olympischen Medaille nicht ein Selbstläufer ist, bin ich trotzdem zufrieden. Andere Favoriten wie van der Poel oder Cink sind wegen einem Sturz (van der Poel) oder einem Defekt (Cink) leer ausgegangen.
Die rennentscheidende Situation spielte sich in der vierten Runde ab. Sie lagen hinter Titelverteidiger Nino Schurter auf Position drei, fielen dann hinter den Neuseeländer Cooper auf die vierte Position zurück. Just in diesem Moment griff der Brite Thomas Pidcock vorne an.
Nach einer kurzen Unachtsamkeit bin ich ausgerutscht und musste zu Boden, was am Fernsehen nicht zu sehen war. Darum konnte Cooper vorbeiziehen. Nach diesem Fehler wusste ich, dass ich Gas geben musste, um nicht den Kontakt zu Pidcock zu verlieren. Ich hatte dann auf der vierten Runde auch einen guten Flow und konnte die Lücke bis auf wenige Sekunden schliessen. Gerade als ich schon fast wieder an Pidcock dran war, musste ich im steilen Aufstieg aus den Pedalen ausklicken. Daraufhin musste ich einige Meter zu Fuss zurücklegen, womit ich mir wieder einen Rückstand einhandelte, welcher dann konstant gleich blieb, weil Pidcock vorne keine Schwäche zeigte.
Trotz diesen Zwischenfällen reichte es Ihnen zum Medaillengewinn. Der Weg zu diesem Grosserfolg war lang.
Am wichtigsten war, dass ich über die Jahre hinweg immer dran geblieben bin. Ich habe immer gewusst, dass ich noch besser werden kann. Daran glaube ich auch jetzt noch. Ich bin noch nicht am Ende des Weges. Dieser Wille hat mich angetrieben. Es hat lange gedauert, bis ich meinen ersten Weltcupsieg gefeiert habe. Es hat auch lange gedauert, bis ich auf dem gleichen Level wie Nino Schurter meinen Sport ausüben konnte. Dafür konnte ich dann schnell viele Siege in Serie feiern und dadurch in relativ kurzer Zeit die Nummer 1 der Weltrangliste erklimmen. Ein weiterer Erfolgsgarant ist mein Umfeld, welches ich mir in den letzten Jahren aufgebaut habe. Die wichtigsten Leute haben mit ihrer dauerhaften Unterstütztung viel zu diesem Erfolg beigetragen. Ihnen widme ich diese Silbermedaille.
Sie haben über viele Monate hinweg minutiös auf dieses Olympiarennen hingearbeitet. Nun ist das Rennen vorbei. Was empfinden Sie?
Ich bin froh, dass etwas Anspannung abfällt. Ich wollte noch die restlichen Momente in Japan geniessen und mich mit dem Team über meine Silbermedaille freuen. Feines Essen und eine gute Erholung gehörten natürlich auch dazu.
Wie haben Sie den historischen Dreifach-Triumph der Schweizer Mountainbikerinnen miterlebt?
Ich habe das Rennen vor Ort mitverfolgt und damit den Schweizer Triumph live miterlebt. Eine tolle Sache für den Schweizer Mountainbikesport.
Gab es in Japan vor Ihrer Rückkehr in die Schweiz eine gemeinsame Feier anlässlich der Schweizer Mountainbike-Grosserfolge?
Es gab ein gemeinsames Essen. Für eine gemeinsame Feier reichte es nicht, weil bereits die Heimreise bevorstand. Die gesamte Männerequipe mit Betreuern hat am Abend nach dem Rennen aber ausgiebig gefeiert.
Apropos Feierlichkeiten: Vor fünf Jahren hat Ihre Gemeinde den Diplomgewinn in Rio verpasst. 2021 ist dies anders. Es wird am 31. Juli in der Heimatgemeinde Madiswil, zu welcher Ihr Wohnort Leimiswil gehört, anlässlich der Bundesfeier einen Empfang stattfinden.
Ich weiss, dass irgend etwas organisiert wird. Das freut mich natürlich. Auf solche Aktivitäten habe ich aber keinen Einfluss. Ich lasse mich überraschen. Schön, wenn mein Erfolg in der Heimat geschätzt wird.
Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf. Selbst nach Olympischen Spielen geht es im Sport Schlag auf Schlag weiter. Was steht bei Ihnen bevor?
Ich hatte noch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Es war einfach zuviel los. Vor allem die Medientermine haben sich nach meinen letzten Erfolgen vervielfacht, was zusätzlichen Aufwand und Energie kostete. Aber natürlich will ich die kommenden Aufgaben erfolgreich meistern. In meiner aktuellen Topverfassung habe ich die Möglichkeit, die Rennen zu gewinnen. Und dies will ich tun. Der Fokus liegt sicher auf dem WM-Rennen in Val di Sole und dem Gesamtweltcup. Gross ist natürlich die Vorfreude auf den Heimweltcup in der Lenzerheide.