Kunstwerke eines Nicht-Künstlers
Kurt Mosimann fertigt ungewöhnliche Bilder an. Künstler will er deswegen aber nicht sein. «Dafür braucht es noch mehr. Heute gilt zu vieles zu schnell als Kunst», sagt er. Und dennoch sind seine Bilder etwas Spezielles und fesseln den Blick des Betrachters. Der Aufwand dahinter ist gross, Zeitdruck hat der Pensionär aber keinen.
Wasen · Wahrheit hinter den Bildern von Kurt Mosimann. Wer von einer gewissen Entfernung schaut, der sieht einen simplen Vogel, eine Geige oder zwei Pferde. Wer aber näher herangeht, sieht die Feinarbeit und die spezielle Anordnung. Der sieht die ausgefallene Idee, die dahintersteckt. Und er sieht auch den grossen Aufwand. «Für ein solches Bild brauche ich rund drei Monate», sagt Kurt Mosimann und blickt auf seine beiden Pferde. Er sei zwar nicht täglich beim «Rüeblirüschte», wie er seine Tätigkeit nennt, aber dennoch könne er sich problemlos den ganzen Nachmittag oder einen Abend damit beschäftigen. Ein Fernseh-Freund oder Krimi-Fan sei er nicht. Schon vielmehr ein Holzliebhaber. Das zeigt sich in seiner Wohnung. Auf Ablageflächen stehen Tannzapfen oder Holzskulpturen. Und eben seine Bilder. Die macht er mit Baumrinde.
15 Minuten – manchmal für die Katz
Ein Blick aus der Nähe lohnt sich. Kurt Mosimann legt die Baumrinde auf die vermeintlich verkehrte Seite hin. Jene innen habe viel spannendere Strukturen, erklärt er. Der Wurmfrass habe das Holz gezeichnet. Das sei spannend und schön – und eigne sich für seine Werke deshalb besser. Die Baumrinde präpariert er jeweils zu kleinen Stücken, die er aneinanderlegt. Exakt, auf den Millimeter genau. Lücken gibt es nicht. Gelingt es ihm nicht, das neue Teil genau an das vorherige zu legen, so beginnt er mit einer neuen Ecke Baumrinde und präpariert diese, bis sie passt. «Für ein einzelnes Stückchen habe ich gut 15 Minuten», erklärt er. Wenn dieses mürbe und brüchig ist, kann es passieren, dass es plötzlich in 100 Stücke zerfällt und nicht mehr brauchbar ist. «Das ist mein grösstes Problem», sagt der 73-Jährige, hängt dann aber ganz locker an: «Aber ich habe ja Zeit.» Verärgern lässt er sich von Rückschlägen offenbar nicht. Während er seinem Hobby frönt, findet er Ruhe und Entspannung. Zeitlicher Stress sei ebenso wie Ärger oder Anstrengung kein Thema.
Kurt Mosimann hat mit seinem Hobby vor mehreren Jahren begonnen. «Irgendwann nach der Pension», sagt er. Weil er ein Holzcheminée hat, befindet sich im Keller Holz, dessen Rinde sich hin und wieder ablöste. Die Innenseite der Rinde hat ihn fasziniert, weshalb er sich dachte: «Da könnte man irgendetwas draus machen.» Irgendwann hat er dann mit dem Tüfteln begonnen. «Mit einem Käfer», erinnert er sich. Ein scheinbar kleineres Kunstwerk, welches aber endgültig sein Interesse geweckt hat. Seither werkelt und bastelt er. Einmal hat er seine Werke mit regionalen Kollegen in einer Art Galerie ausgestellt, verkaufen wolle er sie aber nicht. «Meine Töchter und Enkel dürfen hin und wieder eines haben», sagt Mosimann. Die meisten könne er aber nicht einfach so abgeben. Schliesslich hängt er emotional an seinen Resultaten, war der Aufwand bis dahin doch entsprechend gross.
Wandern geht anders
Der Prozess der entstehenden Bilder beginnt derweil in Magazinen. Kurt Mosimann findet dort meistens seine Bilder, schneidet sie aus und lässt sie auf die gewünschte Fläche vergrössern. Danach sucht er sich sein Holz zusammen, von welchem er mittlerweile vorrätig hat. «Wir wandern gerne», sagt er und bittet seine Frau Marianne um die nächsten Worte. «Wenn wir unterwegs sind, hält er vor jedem Haufen Holz an und sucht besondere Rinde heraus», erklärt sie mit einem Lachen. Wandern mit Herr Mosimann, das sei etwas für sich, meint sie mit einem liebevollen Seitenhieb, während auch Kurt Mosimann schmunzeln muss. Einzig im Engadin sucht auch Marianne Mosimann mit, vor allem, weil ihr Lärchenrinde besonders gefällt.
Durch die jahrelange Suche hat sich längst ein Lager angehäuft. Einerseits findet er dort alles. Jede Farbe, sämtliche Strukturen, ja selbst ganz dunkle Rinden finden sich im Lager des Hobby-Bildmachers. Andererseits wird sein Lager wohl selbst in 100 Jahren noch nicht aufgebraucht sein. «Danach präpariere ich die Rinde und klebe sie mit Leim auf das vergrösserte Papierbild», so der ehemalige Mechaniker weiter, der schon in seinem Beruf auf den Millimeter genau arbeiten musste. Ist das Mosaikbild fertig, schneidet er es vom übrigen Teil des Papiers ab und sucht sich einen Rahmen aus. Nachdem er die Glasplatte entfernt hat, trägt er zuerst Lack als Haftmittel auf und danach Gips. In einzelnen Fällen bemalt er diesen, in anderen Fällen bleibt die Grundierung weiss. Darauf legt er schliesslich seine zusammengesetzte und auf Papier aufgeklebte Holzrinde. Ist der Gips hart, ist das Bild bereit, um aufgehängt zu werden.
Nägel und Fingerkuppen leiden
Geschnitzt wird derweil mit unterschiedlichen Werkzeugen. Die kleinsten Teile der Bilder – beispielsweise Tieraugen – schleift er meist solange mit Feile oder Papier, bis auch seine Nägel und Fingerkuppen leiden müssen. Was grösser ist, schneidet er mit Schnitzerli oder sogar mit einer Laubsäge. «Ich habe meinem Enkel einen Laubsägekasten geschenkt und als er ihn nicht mehr brauchte, habe ich ihn zurückgekauft», erinnert sich Kurt Mosimann. Zu seinem Arbeitsmaterial gehört zudem auch ein Kochhemd, an welchem er den überschüssigen Leim abstreicht. Gearbeitet wird derweil in einem speziellen Zimmer. Dort ist auch das passende Holz in allen Variationen und Grössen gelagert, ein bisschen chaotisch scheint es auf den ersten Blick, auf den zweiten bemerkt man, dass die Rinde bereits vorsortiert und passend abgelegt wurde.
Das kleine, helle Zimmerchen mutet an wie ein Künstler-Atelier, wo die Werke erarbeitet werden, die später in die weite Welt hinausgehen. Das Haus verlassen aber nur die wenigsten Bilder von Kurt Mosimann. Er mache diese für sich. Verkaufen will er sie auch bei der zweiten Nachfrage nicht. Einzelnen Bekannten hat er zwar schon Bilder geschenkt, aber, so Mosimann, «ich wüsste ja gar nicht, was ich verlangen sollte.» Zudem ist der Verkauf nicht das Ziel, sondern vielmehr der Weg zum Resultat. Die ganze Arbeit bereitet Kurt Mosimann Spass und bringt ihm selbst an stressigen Tagen Ruhe und Beruhigung. Auch wenn der Abschluss eines jeden Werkes ein Highlight sei, erfreut er sich auch unterwegs an seiner Arbeit oder den Zwischenresultaten.
Deshalb ist die Wahrheit der Bilder eine ganz andere, als sich ein flüchtiger Betrachter denken könnte. Sie ist ein kleines Kunstwerk eines Bildmachers, der nicht als Künstler gelten will. «Heute wird vieles zu schnell als Kunst bezeichnet», sagt Mosimann und begründet seine Distanz zum Titel «Künstler» damit, dass seine Arbeit diesem Begriff nicht würdig ist. Da brauche es mehr. Es müsse etwas sein, dass nicht jeder «einfach so» erstellen kann. Wer aber genau hinsieht, der erkennt vielleicht dennoch ein etwas anderes Resultat. Ein Kunstwerk eines Nicht-Künstlers.
Von Leroy Ryser