Kurt Eggimann schreibt ein Märchen
Im Schiessstand der Feldschützen Häbernbad hat sich am Feldschiessen 2022 ein Märchen abgespielt. Der 68-jährige Kurt Eggimann von der SG Wyssachen hat trotz seiner Lähmung nach einem schweren Jagdunfall den Schützenkönig-Ausstich gewonnen.
«Ich war 141 Tage lang in Nottwil. Schon nur am Feldschiessen teilnehmen zu können, ist für mich eine wunderbare Sache», sagt Kurt Eggimann. Und mit dem Gewinn des Schützenkönig-Ausstichs schrieb der 68-jährige Wyssacher sogar ein Märchen. Mit 69 Punkten am Feldschiessen und überragenden 71 Punkten am Ausstich holte sich Eggimann mit 140 Punkten den Königstitel im Häbernbad-Schiess-stand, in dem am Feldschiessen immer ganz vielen starke Resultate erzielt werden.
10 m tief über eine Fluh gestürzt
«Keiner hat es mehr verdient als Kurt, eine unglaubliche Geschichte», sagt die Häbernbad-Seele Peter Brand, der seit über 30 Jahren als Munitionsverwalter für die «Bedler» im Einsatz steht und das Patronat des Schützenkönig-Ausstichs übernahm. Rückblick: Am 30. Oktober 2021 war der passionierte Jäger Kurt Eggimann auf der Pirsch. Erfolgreich schoss er einen Bock und wollte ihn bergen. Da passierte es. Eggimann rutsche auf dem Laub aus und rutschte rund 50 Meter den Hang hinunter. «Ich konnte mich nirgends erfolgreich festhalten», erzählt Eggimann vom schicksalhaften Tag. In der Folge stürzte der Wyssacher über die Fuchsloch-Fluh bei Mussachen rund 10 Meter in die Tiefe. Dabei hatte der Pensionär Glück im Unglück. «Ich drehte mich in der Luft nicht und prallte mit den Füssen voran auf.» Ausserdem erfolgte der Aufprall in einer Ansammlung von Laub und Ästen, was die Wucht etwas dämpfte. «Ich bin dankbar, dass ich noch lebe.»
Ferien in «Rio de Janottu»
Trotzdem war die folgende Zeit für den «Hansdampf in allen Gassen» schwierig. Es wurde eine inkomplette Querschnittlähmung festgestellt. Eine harte Zeit begann. In Nottwil war der Verunfallte schnell als «Silberfuchs» bekannt. Kein Wunder. Die urchige Art und der Humor von Eggimann und das Nottwiler System passten so gar nicht zusammen. «Ich habe ihnen gesagt, dass ich in meinem Leben noch nie so lange Ferien hatte, wie in «Rio de Janottu», wie ich den Ort nannte», schmunzelt Eggimann in seiner spitzbübischen Art und keine Sekunde mit seinem Schicksal hadernd. «Sie wollten mir alles verbieten und vorschreiben. Ich hingegen wollte möglichst schnell gesund werden. So hatte ich beispielsweise ein Verbot, Treppen zu laufen. Wenn es niemand sah, schleppte ich mich ins Parkhaus und übte dort «Stägeloufe», um ein bisschen den Alltag zu trainieren», lacht Eggimann. Seine Eigeninitiative, sein Wille und sein eigener Kopf haben bestimmt viel dazu beigetragen, dass er seine Beine zur Fortbewegung immer noch nutzen kann, wenn auch nur mit viel Geduld sowie Gehhilfen wie Krücken oder Rollator.
Für den technischen Dienst zuständig
Daheim im Stöckli in «Heimige» musste er den Lebensalltag neu lernen. Seine Partnerin Katharina Leyvraz stand ihm zur Seite. «Dafür bin ich ihr sehr dankbar», sagt der seit dem Jungschützenalter im Schiesssport tätige Eggimann. «Katharina ist die Köchin und ich bin für den technischen Dienst zuständig», witzelt der Wyssacher. Tatsächlich liess sich der Spitzenschütze von seinem tragischen Unfall nicht aus dem Tritt bringen. Mit Hilfe seiner Krücken versucht er alles, um seine gewohnten Tätigkeiten weiter ausüben zu können. Der pensionierte Landwirt «grübelt» gerne an Maschinen, geht Kartoffeln säen – trotz Lähmung. «Alles dauert viel länger. Ausserdem musste ich viele Sachen umbauen, um es noch nutzen und ausüben zu können», erklärt Eggimann. Bereits neunmal hätte der urchige Wyssacher nach Nottwil in die Therapie reisen sollen. Mit der Begründung «ich habe keine Zeit dafür» hat er sie allesamt ausgelassen. «Ich habe bei mir daheim rund ums Haus die beste Therapie. Es gibt genug zu tun», scherzt Eggimann.
Was für ein Auftritt
Das Sportschiessen kann Kurt Eggimann wegen seiner Behinderung nicht mehr wie vor dem Unfall ausüben. Am Feldschiessen wollte er aber unbedingt teilnehmen. «Mir fehlte noch die zehnte Karte zur Veteranen-Feldmeisterschaft. Die habe ich nun geschafft.» Kurt Eggimann schaffte viel mehr – nämlich ein Märchen. Nur mit Hilfe der Schiesskollegen konnte er im Schiessstand überhaupt abliegen und nach dem Wettkampf wieder aufstehen. Dies hinderte den jahrelangen Spitzenschützen aber nicht daran, genau zu treffen. Der 69-Jährige schoss das Feldschiessen am Sonntagvormittag. Mit 69 Punkten erzielte er ein absolutes Topresultat und belegte im Häbernbad-Schiessstand, in dem 176 Schützinnen und Schützen das 18-Schuss-Programm auf die B-Scheibe absolvierten, den 4. Rang. Nur wenige Minuten später stand er damit im Schützenkönig-Ausstich der zehn Stand-Besten erneut im Einsatz. Und zeigte, weshalb er einer der erfolgreichsten regionalen Schützen aller Zeiten ist und dessen Palmarès neben unzähligen SM- und Kantonal-Medaillen auch über 70 Zweistellungsmeisterschafts-Medaillen an Kantonalen Schützenfesten umfasst. Mit 71 Punkten verpasste er das Maximum bloss um einen Punkt. Mit 140 Punkten holte er sich damit den Königstitel.
Nach dem Schiessen noch Heuen
Erzielt hat er die Meisterleistung mit dem Sturmgewehr 57. «Ich verwende bereits den dritten Lauf. 65 000 Schuss habe ich mit meiner Waffe bereits abgefeuert», berichtet der am 29. Juli 1953 geborene Präzisionsschütze. An der Schützenkönig-Rangverkündigung war der Applaus für «Kürtu» gewaltig. Die Schützengemeinde gönnte es dem liebenswerten Kauz aus Wyss-achen von ganzem Herzen, egal, welchem Schützenverein angehörend. Kaum zurück zu Hause ruhte sich Kurt Eggimann nicht auf seinen Lorbeeren aus: Er ging Heuen ... Und für den Herbst hat Kurt Eggimann ebenfalls Pläne. «Ich würde gerne am Ausschiessen teilnehmen. Und anschliessend freue ich mich auf die Jagdsaison.»
Feldschiessen-Schützenkönig-Ausstich im Schiessstand Häbernbad: 1. Kurt Eggimann, SG Wyssachen, 140 Punkte (69 Punkte Feldschiessen/71 Punkte Königs-Ausstich); 2. Roland Roth, SG Wyssachen, 139 (70/69); 3. Bruno Güdel, Feldschützen Häbernbad, 136 (69/67); 4. Beat Muster, Sportschützen Huttwil, 135 (69/66); 5. Stefan Sommer, Feldschützen Häbernbad, 134 (68/65, 24); 6. Marcel Fiechter, Feldschützen Häbernbad, 134 (68/6, 22); 7. Marcel Sommer, Feldschützen Häbernbad, 133 (70/63); 8. Benedikt Bieri, Feldschützen Häbernbad, 132 (68/64); 9. Philipp Fiechter, Feldschützen Häbernbad, 132 (69/63, 23); 10. Fritz Baumgartner, SG Wyssachen, 132 (69/63, 21).
Von Stefan Leuenberger