• «Ich wünsche mir, dass wir bei Lantal dieses Jahr das Licht am Ende des Tunnels erblicken.» · Bild: Thomas Peter

  • «Das war eine unglaublich emotionale Angelegenheit, bei der auch Tränen flossen.» · Bild: Thomas Peter

  • «Wir spüren, dass sich der Markt langsam wieder erholt.» · Bild: Thomas Peter

  • «Das Gros der Mitarbeitenden steht zu uns und geht mit uns durch diese schwierige Phase.» · Bild: Thomas Peter

04.02.2022
Oberaargau

Lantal-CEO Urs Rickenbacher: «Wir spüren, dass sich der Markt langsam wieder erholt.»

Kaum ein anderes Unternehmen in unserer Region wurde von den Auswirkungen der Corona-Pandemie so stark getroffen wie die Lantal Textiles AG. Das Unternehmen, spezialisiert auf fertig-konfektionierte Produkte für die weltweite Transportindustrie, vorwiegend für die Flugbranche, verzeichnete im Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von 85 Prozent und musste zahlreiche Entlassungen aussprechen. Im Monatsinterview blickt Lantal-CEO Urs Rickenbacher auf seine «schwierigste berufliche Zeit» zurück und versprüht zugleich Optimismus, was die unmittelbare Zukunft des Unternehmens anbelangt.

Langenthal/Melchnau · Urs Rickenbacher, die Corona-Pandemie dauert weiter an. Blicken wir doch vorerst auf Ihre persönliche Corona-Bilanz, wie haben Sie diese zwei Jahre erlebt und überstanden?
So etwas hat unsere Generation noch nie erlebt. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von grosser Unsicherheit. Wir befanden uns ständig in einem Wechselbad der Gefühle, weil man nie wusste, was als nächstes kommt. Ich habe mir in dieser Zeit auch Sorgen um meine Familie, so auch um unsere 97-jährige Mutter gemacht, die nach wie vor alleine lebt. Doch sie hat die Pandemie und ihre Begleitumstände gut gemeistert. Als Familie sind wir während der Pandemie näher zusammengerückt. Unsere beiden Söhne waren oft zu Hause, denn sie absolvierten ihr Studium im Home-Office. Das hatte zur Folge, dass der familiäre Zusammenhalt gestärkt wurde. Eine wichtige Erkenntnis war für mich aber auch, dass wir Menschen wieder einmal feststellen mussten, dass wir nicht alles im Griff haben und wir plötzlich den Boden unter den Füssen verlieren können.

Richtig gefordert waren Sie während der Corona-Pandemie aber nicht in erster Linie als Privatmann, sondern als CEO der Lantal Textiles AG, mussten Sie doch in dieser schwierigen Phase zahlreiche Entlassungen aussprechen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Was hat das mit Ihnen als CEO, aber auch als Privatperson gemacht?
Das war zweifellos die schwierigste Zeit meines gesamten bisherigen Berufslebens. Das hat mich richtig durchgeschüttelt. Es war zugleich aber auch die schwierigste Phase in der Geschichte der Lantal. Wir haben uns von Leuten trennen müssen, die uns zum Teil über 20 Jahre lang begleitet haben. Nach einer so langen Zeit kennt man von diesen Leuten mehr als nur die Personalien, man kennt ihre Familien und das private Umfeld. Eine solche Trennung war enorm schmerzhaft. Ich konnte zum Teil nicht mehr schlafen. Ich habe mich bei den Leuten und der ganzen Belegschaft mehrfach entschuldigt und ihnen klar zu verstehen gegeben, dass sie nichts falsch gemacht hätten.

Wie haben Sie selber diese schwierige Phase mental verarbeitet, was hat Ihnen dabei geholfen?
Ich bin als CEO in der glücklichen Lage, dass ich in der Geschäftsleitung sowie im Verwaltungsrat über ausgezeichnete Leute verfüge, mit denen über all die Jahre ein riesiges Vertrauensverhältnis entstanden ist. Mit ihnen kann ich über alles reden. Aber auch mit meiner Frau, unserer Familie, den Kindern und nicht zuletzt mit meinem Bruder konnte ich mich austauschen, das hat mir sehr geholfen. Vor allem zu meinem Bruder pflege ich ein inniges Verhältnis, wir telefonieren jeden Morgen kurz miteinander. Solche Beziehungen waren für mich in dieser Phase von grösster Wichtigkeit.

Im Erfolgsfall hat man viele Freunde und Schulterklopfer, aber wenn es einmal nicht so gut läuft, stehen einem nur wenige zur Seite und bieten ihre Hilfe oder Unterstützung an. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe in dieser schwierigen Phase viel Verständnis gespürt, auch von unseren Mitarbeitenden. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich in dieser Krise alleine auf weiter Flur unterwegs bin. Ich erhielt aber auch viele Anrufe von Kollegen, die mir versicherten, dass sie mit mir mitfühlen würden, nicht zuletzt, weil wir völlig unverschuldet in diese Lage gerieten. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle aber auch, dass wir in dieser schwierigen Lage – insbesondere in der Schweiz – von Seiten des Staates sowie der Banken eine grossartige Unterstützung erfahren haben. Sie haben uns sehr partnerschaftlich geholfen, damit wir die nötige Liquidität sicherstellen konnten.

Eine Lage, die dramatisch war?
Das kann man so sagen. Das Ausmass der Krise war gewaltig. Im Jahr 2020 verzeichneten wir einen Umsatzrückgang von 85 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und im Folgejahr 2021 notierten wir noch immer 60 Prozent Umsatzrückgang im Vergleich zu 2019.

Eine Entlassungswelle mit 55 und 35 Kündigungen hinterlässt bei den Betroffenen Spuren?
In dieser Beziehung haben wir enorm viel gemacht. Wir haben externe Hilfe beansprucht und eine für solche Situationen spezialisierte Firma hinzugezogen. Diese bot den entlassenen Mitarbeitenden Einzel- und Gruppencoachings an und begleitete diese auf ihrem weiteren Weg. Wir haben sofort eine interne Stellenbörse eingerichtet und kurzfristig bis zu 62 neue Stellen geschaffen. Unsere Linienvorgesetzten sowie die Personalabteilung unterstützten, wo immer sie konnten. Viele befreundete Firmen haben Hand geboten und sich nach Mitarbeitenden erkundigt. Entsprechend unseren finanziellen Möglichkeiten haben wir auch Abfindungen bezahlt und Frühpensionierungen vorgenommen. Uns wurde auch von aussen attestiert, dass wir ein umfassendes Sicherheitsnetz installiert hatten.

Aber auch an jenen Mitarbeitenden, die im Unternehmen blieben, dürfte diese Phase nicht spurlos vorübergegangen sein?
Natürlich, auch für die bestehenden Mitarbeitenden haben wir diverse Unterstützungsprogramme angeboten. Wir haben ihnen zudem aufgezeigt, dass wir an die Zukunft glauben, wie wir diese einschätzen und wie wir die Zukunft angehen wollen. Die Nähe und Kommunikation ist in einer solchen Krise entscheidend, darauf haben wir grossen Wert gelegt. Die Information floss pyramidenmässig von oben nach unten durch das gesamte Unternehmen. Innert wenigen Minuten war jeweils die gesamte Belegschaft informiert. Dabei wurden die Infos über die verschiedensten Kanäle verbreitet, soweit möglich mündlich, aber auch per E-Mail, über das Handy, als Videobotschaften sowie an Mitarbeiterversammlungen, damit die Informationen alle Mitarbeitenden zeitgleich erreichten, egal, ob diese nun vor Ort, auswärts oder im Homeoffice waren. Das war nicht selten eine unglaublich herausfordernde und emotionale Angelegenheit, bei der auch immer wieder Tränen flossen.

Welche langfristigen Auswirkungen hat dieser tiefe Einschnitt für Lantal, können überhaupt neue Fachkräfte rekrutiert werden, wenn man derart negativ in den Schlagzeilen stand?
Es ist erstaunlich, aber uns wurde und wird sehr viel Goodwill entgegengebracht, weil man erkannt hat, dass wir unverschuldet in diese Lage gerieten. Das wäre sicher anders gewesen, wenn ein solcher Einbruch auf Management-Fehler oder Fehlentscheide der Geschäftsleitung zurückzuführen gewesen wäre. Wenn wir heute eine Stelle zur Neu- beziehungsweise Wiederbesetzung ausschreiben, haben wir darauf eine erfreuliche Resonanz, weil die Bewerber das Gefühl haben, dass es bei Lantal wieder aufwärts geht.

Wie sah es bei den bestehenden Mitarbeitenden aus? War hier nie ein Klima der Angst spürbar, eine Angst vor dem baldigen Verlust des Arbeitsplatzes?
Wir waren sensibilisiert auf diese Situation und haben unsere Leute genau beobachtet. Es gab einige wenige Personen, die die Situation bei Lantal als zu unsicher einstuften und deshalb eine andere berufliche Herausforderung bevorzugten. Aber das Gros der Mitarbeitenden steht zu uns und geht mit uns durch diese schwierige Phase. Das hat nicht zuletzt auch mit Identifikation mit dem Unternehmen zu tun – das freut mich persönlich riesig. Und diese Identifikation entsteht nur, weil in unserem Unternehmen Werte wie Offenheit, Vertrauen, Respekt, Vorsorge und Ehrlichkeit gelebt werden. Wäre dies nicht der Fall, würde in einer solchen Krise im Unternehmen alles zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Wie geht es Lantal heute?
Wir spüren, dass sich der Markt langsam wieder erholt, bei den Airlines kommt wieder Bewegung rein. Diese erfreuliche Tendenz und natürlich die Tatsache, dass wir unsere Kosten drastisch reduziert haben und wir zudem bei jeglichen Ausgaben und Investitionen zurückhaltend agieren, führen dazu, dass wir mittlerweile wieder das Licht am Ende des Tunnels sehen. Die Leute wollen wieder reisen, das haben wir beispielsweise letzten Sommer als auch im Dezember gespürt, verzeichneten wir doch in diesem Monat den höchsten Auftrags-Eingang des gesamten Jahres 2021 und dies ausgerechnet in einem Monat, der normalerweise bei uns zu den schwächsten zählt.

Welche Lehren ziehen Sie als CEO aus der Corona-Pandemie und deren Folgen?
Wir sind froh, dass wir nicht bloss über ein Standbein verfügen, das hat uns in den letzten zwei Jahren sehr geholfen. Trotzdem haben wir unser Geschäftsmodell sehr kritisch hinterfragt und alles auf den Prüfstand gestellt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir an unserer grundsätzlichen Strategie festhalten und diese konsequent umsetzen, weil wir überzeugt sind, dass der Markt wieder zurückkommt. Gleichzeitig ist uns in dieser Krise bewusst geworden, dass die Kommunikation ungemein wichtig ist und auch in Zukunft auf allen Kanälen intensiv geführt werden muss.

Laut Experten nähern wir uns dem Ende der Corona-Pandemie. Die Leute werden wieder Lust verspüren, in die Ferien zu verreisen – Lantal dürfte im wahrsten Sinne des Wortes schon bald wieder zum Höhenflug ansetzen. Stehen Sie mit Ihren Produkten bereits wieder auf den Landebahnen dieser Welt?
Wir sind auf dieses Szenario absolut vorbereitet. Wir unternehmen alles, um bestmöglich bereit zu sein. Wir gehen davon aus, dass ein gewisser Nachholbedarf besteht. Wir sind überzeugt, dass der Flugverkehr wieder zunehmen wird, wir aber auch beim Bodenverkehr sowie im ÖV-Bereich weiter zulegen können, zwei Bereiche, die in der Corona-Pandemie keine so grossen Dellen zu verzeichnen hatten. Wir nutzten diese Phase aber auch dazu, technologisch einen Schritt vorwärts zu machen, mit dem Ziel, möglichst gestärkt aus der Krise zu kommen. Mehr kann ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Aber auch im Bereich der Produkte und Dienstleistungen warten wir mit Neuerungen auf. Zwar sind wir jetzt etwas kleiner, dafür noch schneller und effizienter. Sie sehen, wir wollen bestens aufgestellt sein, sobald der Markt wieder anzieht.

Wie blicken Sie der mittel- und langfristigen Zukunft entgegen? Glauben Sie daran, dass der weltweite Flugverkehr wieder ähnliche Buchungszahlen schreiben wird wie vor der Corona-Pandemie?
Hier geht man davon aus, dass spätestens in den Jahren 2024/25 wieder Zahlen wie vor der Pandemie realisiert werden. Diese Zahlen dürften in erster Linie auf Ferien- und Städtereisen zurückzuführen sein, während der Bereich Geschäftsreisen vermutlich sogar eine leichte Reduktion verzeichnen wird, weil die Pandemie uns ge­lehrt hat, dass einiges auch digital erledigt werden kann. Auf der anderen Seite gibt es viele CEO’s, Kaderleute und Monteure, die nun ihre Kunden endlich wieder einmal von Angesicht zu Angesicht sehen wollen. Hinzu kommen Länder, in denen noch viele Leute leben, welche noch gar nie eine Reise antreten konnten und sich diesen Wunsch auch mal erfüllen wollen. Gewisse Prognosen gehen gar davon aus, dass ab 2025 in der Flugbranche wieder Wachstumszahlen von jährlich um die fünf Prozent verzeichnet werden.

Sie sind ja mit Ihrem Unternehmen nicht bloss in der Flugzeugausstattung tätig, sondern auch im Bodenverkehr. Wie sehen Sie hier die künftige Entwicklung?
Auch dieser Markt dürfte weiterwachsen. Hier spricht man gar von einem jährlichen Wachstum von fünf bis sieben Prozent. Gerade der Bodenverkehr dürfte in den kommenden Jahren zusätzlich von der Klimadebatte profitieren. So werden beispielsweise in den USA aber auch in China immense finanzielle Mittel in den Ausbau des ÖV investiert. Unser Ziel ist es hier, stärker zu wachsen als der Markt. Wir streben ein jährliches Wachstum von rund zehn Prozent an.

Ein anderes Thema, das wir noch anschneiden müssen, ist die Nachfolgeregelung bei Lantal, werden Sie doch dieses Jahr 65 Jahre alt. Wie lange bleiben Sie noch an der Spitze des Unternehmens, sind bereits entsprechende Schritte für Ihre Nachfolge eingeleitet worden?
Während den Wirren des aktuellen Marktes werde ich noch an Bord bleiben. Es wäre zweifellos kein gutes Zeichen, wenn ich in dieser Phase das Unternehmen verlassen würde. So etwas käme für mich nie in Frage. Ich hoffe aber, dass wir uns bis in zwei, drei Jahren wieder in ruhigeren Gewässern befinden werden. Ich werde aber auch nach meinem Abgang als CEO weiter als Verwaltungsrat für Lantal tätig bleiben, weil ich mit diesem Unternehmen stark verbunden bin und mir die Tätigkeit bei Lantal nach wie vor gefällt. So gesehen können wir die Nachfolgeregelung in Ruhe angehen, wobei wir natürlich eine mögliche interne Lösung einer externen gerne vorziehen würden.

Blicken wir noch kurz auf die private Seite von Urs Rickenbacher. Wo holen Sie Ihre Kraft für den anspruchsvollen Job bei Lantal?
Vor allem in der Familie, bei guten Gesprächen, aber auch in der Natur, wo ich oft joggen, walken oder Skifahren gehe. Daneben versuche ich, mir bewusst Zeit zu nehmen zur Erholung und zum Herunterfahren.

Wenn Sie bereits einen Blick Richtung «Ruhestand» werfen, welche unerfüllten Träume und Wünsche sehen Sie da, denen Sie unbedingt noch nachgehen möchten?
Ich möchte gerne mit meiner Frau zusammen wieder vermehrt reisen, das hat mir zuletzt gefehlt. Gerne würden wir auch einmal für ein oder zwei Monate an einem fremden Ort verweilen. Interessant fände ich auch, später einmal Startup-Unternehmen unterstützend zur Seite zu stehen, weil mir viel daran liegt, dass innovative Unternehmen und das Unternehmertum in der Schweiz unterstützt und gefördert werden.

Zum Schluss möchten wir noch wissen, welche Vorsätze Sie für 2022 gefasst haben und was Sie von diesem Jahr erwarten?
Gesunden ist mein Wort des Jahres. Ich wünsche mir, dass wir bei Lantal dieses Jahr das Licht am Ende des Tunnels erblicken und dass ich und meine Familie gesund bleiben.

Walter Ryser im Gespräch mit Urs Rickenbacher, CEO Lantal Textiles AG, Langenthal