• Bei einem Podiumsgespräch stellte sich der mobile Palliativdienst Emmental-Oberaargau dem Publikum vor. Von links: Birgit Nägeli, Dominique Hügli, Barbara Affolter und Fred Palm. Rechts der Moderator Jürg W. Krebs. · Bild: Marion Heiniger

  • Komiker «Baldrian» mit seiner Luftschlange Gisela. · Bild: Marion Heiniger

16.09.2022
Emmental

Lebensqualität zu Hause bis zuletzt

Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ein Höchstmass an Lebensqualität zu bieten, das steht für die Mitarbeitenden des mobilen Palliativdienst Emmental-Oberaargau (mpdEO) im Mittelpunkt. Sie behandeln mit hoher Sensibilität und sind stets bemüht, Betroffene und Angehörige in die Betreuungsplanung mit einzubeziehen – auf Wunsch auch zu Hause. Seit Oktober 2019 unterstützt der Kanton Bern in einem dreijährigen ­Modellversuch den Aufbau von mobilen Palliativdiensten wie den mpdEO.

Oberaargau/Emmental · Wenn ein Mensch seine letzte Lebenszeit zu Hause verbringen möchte, sollte ihm dieser Wunsch erfüllt werden. Gleichzeitig muss seine Lebensqualität bestmöglich gewährleistet sein und seine Pflege darf die Angehörigen nicht überlasten. Bei einer instabilen Krankheitssituation, einer komplexen Behandlung oder wenn spezielle Bedürfnisse vorliegen, denen mit den Mitteln der Grundversorgung nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann, dann kommt der mobile Palliativdienst Emmental-Oberaargau (mpdEO) zum Einsatz. Die spezialisierte Palliative Care gilt als Ergänzung zur Grundversorgung wie der Spitex, Hausärzten oder Institutionen. Zwei Pflegeteams und ein ärztlicher Hintergrunddienst unterstützt dabei die Grundversorger bei der Betreuung von schwerkranken Menschen in der letzten Lebensphase. Das mpdEO-Team steht beratend zur Seite, begleitet, unterstützt durch regelmässige Klienteneinsätze und bietet Weiterbildung von Fachpersonal an.
Seit Oktober 2019 unterstützt der Kanton Bern einen dreijährigen Modellversuch zum Aufbau von mobilen Palliativdiensten, so auch den mobilen Palliativdienst Emmental-Oberaargau. Dieser setzt sich aus einer Kooperation der fünf öffentlichen Spitex-Organisationen in der Region Emmental, der SPITEX Oberaargau AG und dem Spital Emmental zusammen. Die beiden Pflegeteams bestehen aus diplomierten Pflegefachpersonen mit einer spezialisierten Weiterbildung in Palliative Care sowie Onkologie.
Der ärztliche Hintergrunddienst kann im Notfall durch die Mitarbeitenden der Pflegeteams hinzugezogen werden und besteht aus Palliativärzten, Onkologen und Ärzten mit einer Grundausbildung in Palliative Care. «Das Ziel des Modellversuchs der palliativen Pflege ist, sie in der Gesellschaft zu verankern», erklärt die Betriebsleiterin Dominique Hügli am vergangenen Publikumsanlass des mobilen Palliativdienstes. Moderiert wurde der Abend von Jürg W. Krebs, diplomierter Supervisor und Organisationsberater aus Münsingen.

Schmerzlos, selbstbestimmt, schnell
Als Gastredner eingeladen war der Theologe Pascal Mösli. Als Verantwortlicher für die Spitalseelsorge und Palliative Care der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn unterstützt er Gemeinden und Fachleute in der Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der spirituellen Dimension in Krisen und beim Sterben. «Wenn man die Menschen fragt, wie sie sterben möchten, ist die Antwort immer dieselbe: schmerzlos, selbstbestimmt und schnell», weiss Pascal Mösli. Doch die Realität sehe anders aus, denn nur gerade einmal fünf Prozent sterben schnell. Bei der Frage, wo man sterben wolle, ist die Antwort ebenfalls einheitlich: Zu Hause. Aber in der Wirklichkeit sterben die Menschen häufig im Spital oder in den Langzeitpflegeinstitutionen. Dieses «Wo» möchte der mobile Palliativdienst unterstützen und es möglich machen, zu Hause sterben zu können. Dabei dürfe aber die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen nicht in Vergessenheit geraten, mahnt Pascal Mösli. Denn die Lebensqualität sei für jeden etwas anderes. Auch darauf werde im mobilen Palliativdienst Rücksicht genommen.

Weg ins Spital ist manchmal sinnvoll
Die diplomierte Pflegefachfrau und Teamleiterin des mpdEO, Birgit Nägeli erzählte dem zahlreich erschienenen Publikum die Geschichte einer Frau, die an Krebs erkrankte. Der Krebs war bereits austherapiert und ihre Leber gab nach und nach ihre Funktionen auf. Die Frau wollte so lange wie möglich zu Hause bleiben und erst, wenn es nicht mehr ginge, ins Spital gebracht werden. Sie setzte sich mit der Spitex in Verbindung, welche mit dem mpdEO zusammenarbeitet. Als nächstes wurde im Spital ein Palliativbett für sie reserviert und mit den Angehörigen besprochen, welche Medikation sie bei starken Schmerzen verabreichen könnten. Sie wurde rund um die Uhr betreut. Als es ihr immer schlechter ging, wurde sie ins Spital eingeliefert. «Kurze Zeit darauf ist sie verstorben – selbstbestimmt, so wie sie es wollte», berichtete Birgit Nägeli. «Um Schmerzen zu lindern, ist der Weg ins Spital sinnvoll», fügte Barbara Affolter an. Sie ist leitende Ärztin Innere Medizin und Palliativmedizin im Spital Emmental und ist für fünf Betten in der Palliativabteilung verantwortlich. Ein speziell ausgebildetes Team betreut die Patientinnen und Patienten und ermöglicht ihnen so, eine ihrer Situation angepasste optimale Lebensqualität bis zum Tod zu gewährleisten und die nahestehenden Bezugspersonen angemessen zu unterstützen. Das Ziel ist, Leiden und Komplikationen vorzubeugen. Die Behandlung schliesst medizinische Behandlungen, pflegerische Interventionen sowie psychologische, soziale und spirituelle Unter­stützung mit ein. «Doch manchmal geht es auch darum, das Leben mit der Krankheit bestmöglich zu gestalten. Es kommt durchaus vor, dass wir Patientinnen auch wieder nach Hause schicken können, wenn es ihnen besser geht», hält Barbara Affolter fest. Fred Palm, Pfarrer und Ökumenischer Seelsorger, leistet als Teil des mpdEO-Teams Hilfestellung bei schwierigen Fragen. «Wie geht es nun weiter? oder: Wie sagt man es den Kindern? sind hier mögliche Fragen, bei denen ich helfend zur Seite stehe. Alles, was geklärt ist, hilft, mit der Situation besser umzugehen», weiss Fred Palm aus Erfahrung.

Entschleunigung mit «Baldrian»
Die Diagnose Krebs erhielt auch der Berner Komiker «Baldrian» (Thomas Leuenberger, vormals «FlügZüg»). Mit einer grossen Portion Humor erzählte er beeindruckend von dem Moment, als er die Diagnose akute Leukämie erhielt, von seinem Weg der Genesung bis hin zu seiner Heilung. Nach seiner Genesung brachte er als «Baldrian» ein Entschleunigungs-Programm auf die Bühne. Denn auch privat mag der Berner Solist es langsam und gemütlich. Viele Lacher aber auch Bewunderung erntete er an diesem Abend bei seinem Programm. Besonders durch seine Figuren, wie die ferngesteuerte Luftschlange Gisela, welche über den Köpfen des Publikums hinwegschwebte, oder die Schnecke Botox (wegen ihrer dicken Lippen). Von Moderator Jürg W. Krebs wurde er zuvor als langsamster Clown der Welt vorgestellt.

Von Marion Heiniger