Lebt Langenthal auf zu grossem Fuss?
Das Budget 2023 der Stadt Langenthal ist eine harte Knacknuss. Der Stadtrat hat dieses in einer ersten Lesung zurück an den Gemeinderat gesandt, weil der bürgerliche Block zwar einverstanden ist mit der vorgeschlagenen Steuererhöhung von 1,38 auf 1,44 Einheiten, aber gleichzeitig weitere Sparmassnahmen fordert. «Langenthal lebt auf zu grossem Fuss», begründete beispielsweise SVP-Stadtrat Patrick Freudiger die Haltung der bürgerlichen Seite im Stadtrat.
Bereits vor der jüngsten Stadtratssitzung war klar, dass es an diesem Abend bei der Budgetdebatte zu einem harten Ringen zwischen dem linken und dem bürgerlichen Lager im Stadtrat kommen wird. Und so kam es dann auch, bei einem knapp vierstündigen Schlagabtausch, der vorerst kein Ergebnis brachte, weil die bürgerliche Seite erfolgreich eine zweite Lesung des Budgets 2023 beantragte, mit dem Ziel, dass der Gemeinderat nebst der Steuererhöhung von 1,38 auf 1,44 Einheiten zusätzliche Sparmassnahmen prüfen muss.
Doch alles schön der Reihe nach. «Quo vadis», oder wohin gehst Du? Diese Frage stellte Gemeinderat Roberto Nino (Ressort Finanzen) zu Beginn der Stadtratssitzung an die anwesenden Stadträtinnen und Stadträte. Damit meinte er, wohin die Reise mit dem Langenthaler Finanzhaushalt künftig gehen soll. «Wir stehen vor einer Weichenstellung und wir, nein, ihr müsst euch entscheiden, wie Langenthal mit einer zunehmend schwierigeren Finanzlage umgehen will», nahm er die Stadträtinnen und Stadträte in die Pflicht. Di Nino erinnerte an die strategischen Leitsätze des Gemeinderates im Bereich der Finanzen, die beispielsweise vorsehen, dass die Stadt trotz des hohen Bilanzüberschusses ein abnehmendes Defizit anstrebt, mit dem Ziel, die finanzielle Handlungsfähigkeit auch langfristig zu erhalten.
Defizit um 1,6 Mio. Franken gesenkt
Roberto Di Nino machte in der Folge unmissverständlich klar, dass dieses Ziel nicht ohne schmerzhaften Eingriff erreicht werden kann. «Eine Anpassung der Steueranlage auf 1,44 Einheiten trägt zur Stabilisierung der Fiskalerträge und gesamthaft zur Stabilisierung des Finanzhaushaltes bei», plädierte er für eine moderate Steuererhöhung auf das nächste Jahr hin. Di Nino wies darauf hin, dass trotz dieser Erhöhung das Budget ein Defizit von 4,39 Millionen Franken aufweisen wird. Auch gab er zu verstehen, dass dieses in einer ersten Version, trotz Steuererhöhung, ein Defizit von 6 Millionen Franken aufgewiesen habe und anschliessend in diversen Sitzungen mit der Finanzkommission auf 4,39 Millionen Franken reduziert wurde.
Trotz dieser Massnahme werde die Stadt Langenthal in den folgenden Jahren weitere Defizite in ähnlicher Dimension zu verkraften haben. Bis zum Jahr 2027 rechnet der Gemeinderat mit einem kumulierten Defizit von rund 25,44 Millionen Franken, was zur Folge hat, dass der Bilanzüberschuss von aktuell rund 71 Millionen Franken auf 45,5 Millionen Franken sinken wird. Ohne Steuererhöhung sieht das Ganze noch viel düsterer aus, würden nämlich die Budget-Defizite pro Jahr um rund 1,5 Millionen Franken höher ausfallen und würde der Bilanzüberschuss 2027 noch rund 38,343 Millionen Franken betragen.
Freudiger fordert Kulturwechsel
«Die Anpassung der Steueranlage auf 1,44 Einheiten ist notwendig, weil die Fiskalertragslage nach der Corona-Pandemie hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleibt und die Aufwandseite gleichzeitig ansteigt. Die Inflationserwartung führt zu einer Teuerungsentwicklung, von der indirekt alle Aufwandspositionen betroffen sind und die Investitionsausgaben führen zu stetig steigenden Abschreibungsaufwendungen», schloss Roberto Di Nino seine Ausführungen zur städtischen Finanzlage.
Damit war die Debatte im Stadtrat lanciert. Rasch war klar, wie sich die beiden politischen Lager im Stadtrat positioniert hatten. Während sich die linke Seite im Stadtrat geschlossen hinter das Vorgehen des Gemeinderates stellte, war im bürgerlichen Block von Anfang an viel Skepsis gegenüber dem vorgelegten Budget und dem Finanzplan spürbar. Diego Clavadetscher (FDP) mahnte beispielsweise die Ratsmitglieder, dass es darum gehe, in Langenthal einen finanzpolitischen «Brand» zu verhindern. Diesbezüglich erwarte die Bevölkerung, dass sich die Behörden intensiv mit dieser Thematik beschäftige. Dies brauche Zeit, weshalb die Beratung des Budgets 2023 eine zweite Lesung erfordere. «Der Bürger erwartet von uns, dass wir kritische Fragen stellen», betonte er. Zudem gelte es zu verhindern, dass die Bevölkerung den Eindruck erhalte, dass in den folgenden Jahren weitere Steuererhöhung folgen würden. Deshalb gilt es laut Clavadetscher, das vorliegende Budget auf weitere Sparmassnahmen hin zu überprüfen.
Unterstützung erhielt er diesbezüglich von SVP-Stadtrat Patrick Freudiger, der ebenfalls besorgt zur Kenntnis nahm, dass trotz Steuererhöhung in den nächsten Jahren beträchtliche Defizite drohen. «Langenthal lebt eindeutig auf zu grossem Fuss, wir investieren zu viel, da müssen wir genauer hinschauen», appellierte er an den Stadtrat, den er zu einem finanzpolitischen Kulturwechsel aufforderte.
Stadttheater im Visier
Damit fand er auf der linken Ratsseite kein Gehör, wie Saima Sägesser (SP) klar zu verstehen gab. Sie plädierte für eine Stadt mit einer hohen Lebensqualität, mit einem qualitativ erstklassigen und breiten Kultur-, Sport- und Dienstleistungs-Angebot. Hier dürfe man keine Abstriche machen, weshalb man jetzt die Steuern erhöhen müsse, forderte sie. Zudem ist sie der Meinung, dass kein Sparpotenzial mehr vorhanden ist, weil die «Zitrone» ausgepresst sei. Man dürfe nicht so weit kommen, dass die Stadt nur noch obligatorische Leistungen anbiete, weil dies zu einer Abwanderung der Bevölkerung führen könnte. Ihr Partei- und Stadtratskollege Roland Loser machte darauf aufmerksam, dass man sich nicht zuletzt deshalb in dieser Lage befinde, weil man seinerzeit, nach dem Erhalt der onyx-Millionen, auf Drängen der Bürgerlichen die Steuern gesenkt habe.
Die bürgerliche Seite machte der SP-Stadträtin Saima Sägesser klar, dass die «Zitrone» bei weitem noch nicht ausgepresst sei und wies auf zwei Budgetpositionen hin, die es im Hinblick auf eine mögliche, zweite Lesung genau anzuschauen gelte. So forderte der bürgerliche Block bei den Ausgaben für das Stadttheater, die im Budget mit 1,25 Millionen Franken veranschlagt sind, eine massive Korrektur, weil man dem Bürger seinerzeit bei der Sanierung versprochen habe, dass die Kosten für den Unterhalt nicht ansteigen werden und sich in etwa im gleichen Umfang von rund 800 000 Franken bewegen würden. Sparpotenzial sehen die Bürgerlichen zudem bei der Besoldungsreserve von 650 000 Franken (für Teuerungsausgleich und Lohnerhöhungen) für die städtischen Angestellten.
Bürgerliche setzen sich durch
SVP-Stadtrat Martin Lerch wies darauf hin, dass man sich seit Jahrzehnten nicht mehr in einer vergleichbaren Situation befunden habe, bei der die Bürger dermassen belastet würden, mit hohen Energiepreisen und stetig steigenden Krankenkassenprämien. Zudem drohe bei Annahme der AHV-Reform zusätzlich eine Mehrwert-Steuererhöhung. «Und was machen wir», fragte er den Stadtrat provokativ und entgegnete: «Wir wollen die Steuern erhöhen, während in andern Ländern die Regierungen den Bürgern finanziell entgegenkommen.»
SVP-Gemeinderätin Helen Morgenthaler erläuterte, dass nach der Sanierung des Stadttheaters das Haus über 45 Prozent mehr Volumen verfüge, das zusätzlich bespielt werde, geheizt, mit Strom versorgt und gewartet werden müsse. Auch wies sie darauf hin, dass ein Leistungsauftrag mit dem Kanton bestehe, der für das Stadttheater Beiträge entrichte. «Wir können jetzt nicht einfach Leistungsverträge brechen», mahnte sie den Stadtrat. Zudem wies sie darauf hin, dass die Programmierung für die neue Spielzeit abgeschlossen sei und hier keine Korrekturen mehr erfolgen könnten.
Doch das alles half nichts, die bürgerliche Stadtratsseite setzte sich dank der Unterstützung einzelner EVP-Mitglieder mit ihren Anträgen jeweils knapp durch. So wurde eine zweite Lesung beschlossen und der Gemeinderat aufgefordert, das Budget auf weitere Sparmassnahmen hin zu überprüfen, in erster Linie beim Stadttheater sowie bei der Besoldungsreserve für das städtische Personal. Angenommen wurde zudem ein Antrag der FDP, die den Gemeinderat auffordert, in der Abstimmungsbotschaft die beschlossenen Massnahmen zur Stabilisierung der künftigen Jahresrechnungen klar und prominent darzustellen. Fortsetzung folgt …
Von Walter Ryser