«Lehrer müssen wohl auch Polizist spielen»
Zum Schritt zurück zur Normalität gehört auch, dass am Montag die Schulen schrittweise öffnen. Das bringt die Schulen je nach Grösse vor unterschiedliche Herausforderungen. Unsere Nachfrage bei Martin Kästli, Gesamtschulleiter in Sumiswald, und Barbara Rentsch, Schulleiterin von Eriswil, zeugen aber von Zuversicht
Eriswil/Sumiswald · Die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern hat entschieden, die Schulen schrittweise zu öffnen und während zwei Tagen mit Halbklassen zu starten. In Sumiswald sieht dies so aus, dass die eine Hälfte der Klasse am Montag zum Unterricht erscheint und am Dienstag die zweite. Ab Mittwoch folgt dann Unterricht nach Stundenplan. Jene Schüler, die am Montag oder Dienstag noch nicht zur Schule müssen, bereiten zu Hause weitere Arbeiten für den Wiedereintritt in die Schule vor. «In diesen beiden Tagen wird quasi eine Lernstandserfassung gemacht», erklärt Martin Kästli, Gesamtschulleiter von Sumiswald. Die Lehrpersonen überprüfen während diesen beiden Tagen, wie gut der Fernunterricht geklappt hat und wo in den einzelnen Fächer gestartet werden kann. «Die Vorgaben des Kantons sind klar: Wir starten keine Aufholübung. Wir akzeptieren bis zu einem gewissen Teil, dass in dieser Zeit nicht alles wie geplant erlernt werden konnte.» Das hat letztlich auch Folgen für die Lernkontrollen. Diese werden nur gewertet, wenn es den Schülern weiterhilft. Noten, die unter den persönlichen Schnitt fallen, werden nicht angerechnet. «Damit verhindern wir, dass Schüler heruntergezogen werden, die fürs Homeschooling ein weniger gutes Umfeld hatten als andere», weiss Martin Kästli. Immerhin seien die Übertrittsverfahren für die Sekundarstufe bereits abgeschlossen, die seien deshalb gültig.
Die Krux mit dem Abstand
Der Alltag der Lehrpersonen wird aber nicht nur in der Notengebung beeinflusst, trotz gut gefüllten Klassenzimmern soll man sich nämlich weiterhin so gut wie möglich an die Vorschriften des Bundesamtes für Gesundheit halten. «Hier sind die Möglichkeiten durch die Grössen der Klassenzimmer eingeschränkt. Lehrer sind aber aufgefordert, den geforderten Abstand einzuhalten.» Auf solche Situationen sensibilisiere man sich im Voraus gegenseitig, entsprechend hätten auch Vorbereitungssitzungen bereits stattgefunden. «Früher war es kein Problem, an ein Pult zu treten, um etwas zu erklären. Nun werden wir versuchen, solche Situationen zu vermeiden und anders zu lösen», so der Gesamtschulleiter weiter.
Auch sollen in jedem Schulzimmer Desinfektionsmittel bereitstehen, kleine Pausen werden vorwiegend im eigenen Zimmer abgehalten und das Unterrichtsende soll wegen dem sonst gleichzeitigen Verlassen des Schulhauses gestaffelt stattfinden. Eltern ist der Zutritt auf das Schulgelände derweil untersagt, auch Turnhallen sollen vorerst ausschliesslich für den schulischen Gebrauch geöffnet werden. «Ausserdem haben wir für die grosse Pause Räume vorgesehen, die einzelne Klassen für sich nutzen können, ohne dass eine Durchmischung der Kinder stattfindet.» Auch im Unterricht soll diese verhindert werden, so würde man eine allfällige Ansteckungskette klein halten.
Zusätzliches Engagement nötig
Dies sind alles Massnahmen, die aus einem 16-seitigen Leitfaden hervorgehen, der für die Schulen des Kantons Bern gelten soll. Martin Kästli findet: Für die Schulen in Sumiswald ist das umsetzbar. Grundsätzlich gilt Gleiches auch in Eriswil. Schulleiterin Barbara Rentsch weiss aber: «Ohne zusätzlichen Einsatz wird uns das nicht gelingen.» Bereits in den letzten Wochen hätte ihre Lehrerschaft ein grosses Engagement geleistet, dieses sei auch weiterhin nötig. Erst gestern wurden noch letzte Absprachen getroffen, wie nun wirklich unterrichtet wird, in diesen Tagen sollen die letzten Entscheide auch in Eriswil fallen. «Bei uns war die Durchmischung der Klassen stets Teil des Unterrichtens. Für einzelne Fächer haben wir die beiden Oberstufenklassen zusammengenommen oder auf eine andere Art und Weise geteilt. Das sollten wir wegen den Vorgaben aber nicht mehr tun.» Sie selbst stelle sich vor, die insgesamt 26 Oberstufenschüler in drei Gruppen zu teilen und diese vorerst nicht mehr zu durchmischen. Dies soll eine gewisse Konstanz schaffen, die erstrebenswert sei. Weniger Mühe würden indes die Unterstufen bereiten, weil dort die Durchmischung weitaus kleiner ist. Ziel ist es auch, dass auf allen Stufen höchstens noch die Lehrpersonen die Klassenzimmer wechseln, die Schüler aber ständig am selben Ort bleiben.
Personalmangel könnte drohen
Klar ist aber sowieso bereits jetzt: Der Personalbestand ist für diese neue Organisation knapp. Während in Sumiswald 75 Lehrer unterrichten und Martin Kästli weiss, dass einzelne Lehrer in Risikogruppen nicht unterrichten werden und dies sogar verkraftbar ist, hat Barbara Rentsch grossen Respekt vor solchen Ausfällen. «Wir sind bereits am Limit. Im Falle eines Krankheitsfalls hätten wir ein Problem», weiss sie. Bisher hätten sich auch noch keine Lehrkräfte gemeldet, die nicht unterrichten wollen, weil sie einer Risikogruppe angehören, auch dies würde eine grosse Herausforderung darstellen, weil es schwierig wäre, eine solche Vakanz zu kompensieren. «Grundsätzlich soll niemand mit Angst unterrichten müssen», sagt sie dennoch im Wissen, dass sie jede Lehrperson dringend braucht.
Genauso wie Martin Kästli sei aber auch sie zuversichtlich, diesen Organisationsaufwand stemmen zu können und entsprechende Lösungen für die spezielle Situation zu finden. «Vor Wochen hätten noch viele gesagt, dass es schier unmöglich sei, innert so kurzer Zeit das Homeschooling auf die Beine zu stellen. Dennoch hat es geklappt», sagt die Eriswiler Schulleiterin. Ausserdem, so sind beide überzeugt, freuen sich auch die Lehrpersonen auf die Rückkehr zur Normalität und die Möglichkeit, wieder wie gewohnt zu unterrichten. Dass dazu wegen der jetzigen Situation auch Veränderungen dazugehören, sei den Lehrpersonen bewusst, sagt Martin Kästli: «Beispielsweise sind sie angewiesen, dafür zu sorgen, dass Hygienevorschriften auch von Kindern eingehalten werden. Lehrer müssen in dieser Zeit wahrscheinlich auch ein wenig Polizist spielen.» Die Vorbereitungen seien bisher aber gut gelaufen, sodass er überzeugt sei: «Bis am kommenden Montag sind wir bereit, wieder frisch zu starten.» Der erste Schritt zurück in die Normalität scheint damit bestens vorbereitet.
Von Leroy Ryser