Lernen und Generationen verbinden
Tablet Heroes bilden Senioren zu Tablet Heroes aus – das ist die Idee von einem generationenübergreifenden Projekt, welches letztes Wochenende in der Regionalbibliothek Langenthal gestartet ist. Vorteile stellen sich dabei auf mehreren Ebenen ein, schwärmen Teilnehmer und Organisatoren.
In der Bibliothek herrscht am Samstagmorgen viel Betrieb. Jugendliche und Senioren sitzen verstreut an Pulten, gelehnt über iPads und Samsung-Tablets, diskutieren und gestikulieren. «Nein, nein. Diese Apps sind nicht sortiert. Und dieses Chaos gefällt mir gar nicht», sagt die Langenthalerin Heidi Knobel (70). Lara Sommerhalder (17) aus Rohrbach reagiert prompt und zeigt, was zu tun ist. «Wenn du lange drauf klickst, dann kannst du die Apps hin und her ziehen, wenn du sie übereinanderlegst entstehen Ordner.» Mit Geduld zeigt sie ihrer «Schülerin» was passieren muss, manchmal braucht es auch einen zweiten Anlauf, bis es dann wirklich klappt. Fehler sind unter der Anleitung der jungen Rohrbacherin aber rasch und verständlich beseitigt. «Das schreibe ich gleich auf. Dann kann ich zu Hause Ordnung in diese Unordnung bringen», sagt Heidi Knobel zufrieden, blickt über ihren analogen Schreibblock und greift sich den Kugelschreiber. Lara Sommerhalder blickt kurz auf Ihre Unterlagen und erwähnt dann das nächste Kapitel: Die Mitteilungszentrale. Nach kurzem Beschrieb sagt die Seniorin: «Ja, ich glaube das brauche ich dann weniger.» Die Tablet Heroe reagiert und wechselt zum nächsten Thema.
Die andere Generation kennenlernen
Tablet Heroes, die Helden der digitalen Welt, sind insbesondere Jugendliche, die damit aufgewachsen sind. Senioren hingegen bekunden mit den neuwertigen Möglichkeiten der digitalen Welt oftmals Mühe, weil sie sich ebendies nicht gewohnt sind. Die Langenthaler Bibliothek hat sich deshalb entschieden, ein generationenübergreifendes Projekt anzubieten, wobei Tablet Heroes, Senioren zu Tablet Heroes ausbilden sollen. Dahinter steht «infoklick.ch», die Kinder- und Jugendförderung Schweiz, die Kinder und Jugendliche die etwas bewegen möchten, unterstützt. «Mit diesem Projekt entstehen spezielle Begegnungen und Gespräche. Man lernt nicht nur vieles über das Tablet, sondern auch über die jeweils andere Generation», erklärt Anina Peter von «infoklick.ch». Über die vier Samstage, an denen jeweils während drei Stunden gelernt wird, entstehen spezielle Beziehungen, ja gar Freundschaften, weiss Anina Peter. Schliesslich werden Zweier- oder maximal Dreiergruppen gebildet, damit jeder Tablet Heroe auf seinen «Schüler» bestmöglichst eingehen kann. Ausserdem erhalten die Senioren für die Dauer des Kurses ein Tablet, welches sie auch zu Hause zum Üben nutzen können.
Um einen idealen Kurs anzubieten, werden die Jugendlichen an einem vorgängigen Samstag geschult. «Vor allem was Zwischenmenschliches betrifft. Das Tablet kennen sie heutzutage ja schon bestens», sagt Anina Peter. Dabei geht es vor allem darum, wie man auf die Senioren eingeht und um Fremdwörter zu vermeiden. «Wörter wie Screen, App und Icon sind für die jüngste Generation völlig normal, für Senioren sind sie aber fremd.» Daneben erhalten die sogenannten Kursleiter noch einen Wegweiser, in denen Lernthemen stehen, zugleich sollen sie aber auch auf die Senioren eingehen, wird ihnen nahegelegt. «Der erste Tag ist immer speziell. Die Senioren sind oft noch etwas skeptisch. Danach findet aber eine Entwicklung statt, die ich sehr schön finde. Bis zum Schluss gibt es sogar Insiderwitze bei den jeweiligen Gruppen», sagt Anina Peter. Die Jugendlichen, die ihre Zeit investieren, erhalten immerhin ein Zertifikat und 100 Franken als Sackgeld.
Was ist «Facetime»?
Heidi Knobel und Lara Sommerhalder diskutieren mittlerweile über «Facetime». Die 70-Jährige, die ihr eigenes Apple-Tablet mitgebracht hat, möchte gerne wissen, was dieses grün-weisse App ist. Die 17-Jährige erklärt: «Das ist Telefonieren mit Video. Man filmt sich selbst und sieht dann auch die andere Person auf dem Bildschirm.» Heidi Knobel weiss sofort worum es geht: «Ah, das ist wie im Zug. Da halten sich Leute oftmals das Handy vors Gesicht.» Rasch wird klar, dass Heidi Knobel zu jenen Senioren gehört, die sich schon öfters mit dem Tablet auseinandergesetzt haben. Während andere bereits mit dem Tippen Mühe bekunden, reagiert die Langenthalerin sehr rasch auf die Tipps und Anweisungen von der Rohrbacherin. Als es um das Karten- und Navigationsapp geht, fragt sie, ob man nicht «Via Michelin» anschauen könne. Damit plane sie am Computer die Ferien, nur zu gerne würde sie das aber künftig am Tablet tun. «Ja, klar», sagt Lara Sommerhalder. Auf nächstes Mal will sie sich das App genauer anschauen, um es besser erklären zu können. «Ich finde die Idee grossartig», ist Heidi Knobel nach etwa einer Stunde bereits überzeugt. Gerade generationenübergreifende Projekte finde sie schön, «so lerne ich auch ein bisschen eine andere Welt kennen», sagt sie begeistert. Auch angemeldet habe sie sich, weil sie viele Fragen habe. «Die habe ich mir aufgeschrieben. Plötzlich bin ich irgendwo gelandet und verstehe nicht, wie ich es rückgängig machen kann oder wie ich zurück muss. Solche Sachen will ich noch ansprechen.» Lara Sommerhalder reagiert gerne darauf, sie selbst sagt, sie engagiere sich gerne bei solchen Projekten. «Als wir an der FMS die Anfrage erhalten haben, haben ich und meine Klassenkollegin uns sofort gemeldet. Es ist schön, wenn man nicht nur von der älteren Generation lernt, sondern ihnen auch etwas beibringen kann.» Das Sackgeld ein wenig aufbessern sei derweil ebenfalls reizvoll.
Medienwelt ist in Bewegung
Seinen Reiz hat dieser Event auch für die Regionalbibliothek Langenthal. Schon im Leitbild steht geschrieben: «Wir nehmen Entwicklungen und Trends in der Medienwelt und im Bibliothekswesen auf», weshalb ein solcher Event für die Leiterin Monika Hirsbrunner ideal ist. «Wir stellen immer wieder fest, dass unsere ältere Kundschaft Nachholbedarf in der digitalen Welt hat. Dabei haben auch wir als Bibliothek digitale Angebote. Mit Touchscreens kann man Bücher eigenständig ausleihen und Online kann man spezielle Leih-Angebote nutzen», erklärt Monika Hirsbrunner. Als sie dann von diesem Projekt Tablet Heroes gehört hat, habe sie sich gemeldet und Hilfe angeboten. «Generationen zu verbinden finde ich eine sehr tolle Sache. Ausserdem haben wir hier auch die Möglichkeit, Menschen, die noch nicht Kunden sind, die Bibliothek näher zu bringen.» Das Interesse rechtfertigte das Angebot mehr als nur. Es hätte gar genügend Teilnehmer gehabt, einen weiteren Kurs durchzuführen, einzelne Interessenten mussten gar abgewiesen werden.
Heidi Knobel und Lara Sommerhalder haben mittlerweile ihre Handynummern ausgetauscht und Hausaufgaben für beide Seiten aufgeschrieben. «Falls ich einmal Hilfe brauche, würde ich schreiben oder anrufen», sagt Heidi Knobel, Lara Sommerhalder verspricht, ihr gerne weiterzuhelfen.
Nach rund drei Stunden lernen verabschieden sie sich auf nächste Woche. Das letzte Zusammentreffen am 2. März soll dann ein spezieller Abschluss sein. Dann werden die Teilnehmer auf eine Schnitzeljagd quer durch die Bibliothek entsendet. Wenn alle Posten gefunden und gelöst sind, ist der Kurs abgeschlossen. Oder anders gesagt: Der Tablet Heroe hat bis dann einen neuen Senior zum Tablet Heroe ausgebildet.
Von Leroy Ryser