Licht am Horizont in der Lochmühle
In der Nacht auf den 6. Juni brannte das Bauernhaus von Fritz Herrmann in der Huttwiler Lochmühle bis auf die Grundmauern nieder. Seine Tochter, er und ein Wohnungsmieter konnten nur gerade retten, was sie auf dem Leib trugen. Aber im weitläufigen Haus waren auch andere Menschen hart betroffen. Vom Spendengeld aus dem Sammelkonto der Einwohnergemeinde Huttwil erhalten deshalb auch sie einen Zustupf an ihre teils immensen Schäden. Und heute schon steht fest: Sowohl der Wohnungsmieter als auch der Mieter der einstigen «Einfahrt» werden auch im neuen Haus von Fritz Herrmann und seiner Tochter Jessica wieder willkommen sein.
Treffpunkt in der Lochmühle. Alle stehen hier, die vom Brand direkt betroffen sind. Trotz dem schönen Septemberabend fröstelt es alle ein bisschen. Die richtige «Lochmühle»-Stimmung mag noch nicht aufkommen.
Aber dereinst, wenn das Haus wieder aufgebaut ist, wenn alle eingezogen sind, dann soll hier wieder das «alte» Leben einkehren. Knapp vier Monate sind es her, seit die Flammen vor den Augen der Bewohner alles zunichte gemacht haben.
«Jessica, use, use, aalege, sofort!», mit diesen Schreien des Vaters wurde die 14-jährige Jessica in der Nacht auf den 6. Juni aus dem Schlaf geholt. In ein Shirt und in ein paar Shorts schlüpfen und die Feuerwehr alarmieren, ging für Fritz Herrmann fast in einem, nachdem er durch lautes Knallen auf den Brand aufmerksam geworden war. Dann nichts wie hinaus. Schnell stand auch Jessica angezogen vor dem Haus. Der Wohnungsmieter Florian Hasler war vom Lärm ebenfalls aufgewacht. «Chumm, mir steue d’Outo abe», sagte er zu Fritz Herrmann. Gesagt, getan. Autos runter stellen, den Quad und Jessicas Fahrrad ebenso, dann konnten sie nur noch in der Hofstatt auf die Feuerwehr warten. Vom nach und nach sanierten, gut eingerichteten Haus in der Lochmühle, der liebevollen Ausstattung und überhaupt allem was drin war, konnte nichts mehr gerettet werden.
Heute, fast vier Monate später, sind die Brandruinen verschwunden; wo einst das Haus stand, ist eine Grube, darüber die Garage, welche die Regio-Feuerwehr Huttwil vor dem Raub der Flammen bewahren konnte. Hier, wo sie regelmässig gefüttert werden, wohnen nun die drei Katzen Garfield, Oskar und Tätzli. Sie sind die einzigen, die hiergeblieben sind.
Übergangszeit
Schon kurz nach der Tragödie konnten Fritz Herrmann und seine Tochter wie auch Florian Hasler in eine leerstehende Wohnung in der Nähe einziehen. Dafür seien sie dankbar, meinen die Drei. Aber alle vermissen den Betrieb, das Kommen und Gehen. Jung und Alt trafen sich bis zu jener schicksalshaften Nacht in der Lochmühle, waren hier ein bisschen zu Hause. Vor allem an Samstagen. Da drehten Motoren, da wurde an der Musikanlage gearbeitet, da lief die Kaffeemaschine; es wurde gegrillt und gemütlich zusammengesessen. «Mechanik und Emotionen», nennt Fritz Herrmann das. Es fehlt allen. Und jedes musste sich nach dem Brand auf seine Weise wiederfinden; die meisten der Betroffenen haben grosse Verluste erlitten.
Für Jessica ging der Alltag einigermassen normal weiter. Das Haus fehle, die Souvenirs, der geschäftige Betrieb, «aber ich wurde im Städtli kaum darauf angesprochen», erzählt sie im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». «Die Leute wussten es ja, was hätten sie denn noch sagen sollen ...». Von ihrer Freundin Laura erhielt sie Kleider. «Dafür war ich riesig dankbar, auch um ihre sonstige Hilfe.» Ihr Freund Etienne habe sie moralisch stark unterstützt.
Beim Aufbau des neuen Hauses wird sie mitreden dürfen; ebenso bei der Einrichtung. Sie sei auch schon mit dabei beim Architekten gewesen. Das ist ihrem Vater sehr wichtig. «Schliesslich ist sie die Zukunft», stellt er fest. Auf die Frage, was ihr am neuen Haus am wichtigsten erscheine, antwortet Jessica ohne zu überlegen: «Dachfenster!». Klar, welches Zimmer dereinst das Ihre sein wird ...
Material und Hunderte von Arbeitsstunden vernichtet
Leandro Aleixo, der junge Schreiner, hat es auch besonders hart getroffen. In der Brandnacht, als er benachrichtigt worden war, erfasste er allerdings noch nicht die ganze Tragödie. Er verbrachte den Rest der Nacht im Hotel Kleiner Prinz, wo die Hausbewohner unterkamen, um ihnen beizustehen. Allzuschnell aber wurde ihm tags darauf bewusst, in welch schwieriger Lage sich er und seine Mitstreiter befanden. Denn seit Jahren baut er zusammen mit Freunden an ihrem noch jungen Unternehmen. An seinem 19. Geburtstagsfest hatten sie die gleichen Interessen festgestellt. «Und weil es so gute Menschen wie ‹Fridu› gibt, der uns den Platz zur Verfügung gestellt hat, ist etwas daraus geworden.»
Bis zum Brandfall war es ein Verein, «Galactic Tree Tribe». Dekorationen für Feste und Partys sowie das zur Verfügungstellen und Installieren von Musik- und Lichtanlagen sind die Tätigkeiten. Sehr erfolgreich – an Wochenenden ist die Gruppe in der Schweiz und nicht selten auch im Ausland unterwegs. Die ganze Deko wird in Tausenden von Abend-, Nacht- und Wochenendstunden selbst hergestellt. Nur die Stützen müssen von der Kundschaft selbst aufgestellt werden, um die Tücher zu spannen. «Diese Verantwortung können wir nicht übernehmen», sagt Leandro Aleixo. Denn leider komme es immer wieder vor, dass der Alkohol an den Festen Überhand nehme und Deko, die eigentlich Freude bereiten solle, zerstört werde. So sei es wichtig, dass wenigstens nicht er und seine Freunde haftbar gemacht würden, sollte etwas umgestossen werden.
Der Brand hat Leandro und seine Freunde von allem beraubt. Sündhaft teure Spezial-Stoffe, Farbe, fertige Tücher und damit Hunderte von Arbeitsstunden sowie eine neue 20 000-fränkige Musikanlage waren in der Lochmühle – wo die Deko auch hergestellt wurde – eingelagert und wurden innert Minuten zu Glut und Asche. Zum Verlust kam die Tatsache, dass dem Verein teilweise mit Konventionalstrafen gedroht wurde, weil die Aufträge nicht erfüllt werden konnten.
«Wir fragten uns, ob wir nochmals ganz von vorne beginnen oder das Ganze aufgeben sollen», erzählt er. Aber die Freude am Projekt überwog. Leandro Aleixo darf nun bei seinen Eltern zu Hause an den Aufträgen arbeiten. Das freut ihn sehr.
Wenn aber einst das Haus in der Lochmühle neu aufgebaut ist, dürfen er und sein Kollege Marc Steger mit ihrem Dekoprojekt «Vision of Ghost» wieder einziehen. Laszlo Bach und Lydia Schölzke, die hauptsächlich Zuständigen für die Musik- und Lichtanlagen, haben in der Zwischenzeit die Lylava GmbH gegründet. Lylava GmbH und «Vision of Ghost» arbeiten eng zusammen. Ansprüche an die Infrastruktur im neuen Haus habe Leandro Aleixo keine. «Wir sind dankbar, wenn wir dereinst wieder bei Fritz Herrmann wirken dürfen.» Bloss ein kleiner Wunsch hätte er. «Ä grade Bode», meint er lachend. Früher auf der Einfahrt sei es schon ein bisschen holperig und uneben gewesen.
Zu Hause gefühlt
Zuerst habe er nicht so recht gewusst, wie es nach dem Brand weitergehen solle, sagt der Wohnungsmieter Florian Hasler auf Anfrage des «UE». «Ich habe im Feuer alles verloren, das ist nicht so einfach.» Trotzdem sei es nicht soviel gewesen wie bei Fritz Herrmann und Jessica. Florian Hasler war anfangs von vielen Menschen auf den Brand angesprochen worden, wurde gefragt, wohin er nun wolle. Sogar von solchen, die sich längere Zeit nicht bei ihm gemeldet hatten. Doch der junge Betriebsmechaniker durfte in dieselbe Wohnung wie Fritz Herrmann und Jessica ziehen. So konnte auch er seinen Alltag wieder strukturieren, und schnell war für ihn klar, dass er diese Bleibe nicht mehr wechseln wird bis das neue Haus steht. Denn Florian Hasler wird dort wieder eine Wohnung mieten dürfen. Darauf freut er sich sehr. Obwohl er bis zum Brand hin kaum ein halbes Jahr lang in der Lochmühle gewohnt hatte, «fühle ich mich hier daheim und werde gerne wieder einziehen, wenn es soweit ist». Florian Hasler hält an dieser Stelle seinen Dank an die Gemeinde fest «für die Topreaktion, wie wir in den Tagen nach dem Brand versorgt worden sind».
Weiter betroffen vom Brand war ein junger Mann, der Autos für sich selbst um- und ausbaut; jedes ein Unikum. Dieser hat inzwischen die Gelegenheit gepackt und an einem andern Ort neu mit seinem Hobby begonnen.
20 000 Franken Spenden sind auf dem Sammelkonto der Gemeinde Huttwil für die Betroffenen zusammengekommen (der «Unter-Emmentaler» berichtete). 80 Prozent davon kommen Fritz Herrmann zugute. Dies wird ihm helfen, hohe Unkosten zu decken.
Der Zins läuft weiter …
Denn der Hypothekarzins läuft weiter; parallel dazu muss er Miete bezahlen. Anderseits bleiben die Mietzinse seiner Mieter aus. Aber auch Fritz Herrmann mag nicht «jammern»: «Wir hatten grosses Glück, dass wir noch leben. Fünf, zehn Minuten später hätten wir keine Chance mehr gehabt. Und wir erfuhren tolle Hilfe.» Es werde jedoch jahrelang dauern, bis wieder alles sei wie zuvor, «aber es wird eine geniale Sache für Jessica werden».
Stilgerechter Wiederaufbau
Das neue Haus, etwas zurückgesetzt wegen dem vorgeschriebenen Abstand zum Gewässer, muss im selben Stil gebaut werden wie das alte, «was so oder so in Jessicas und meinem Sinn ist.» Der Huttwiler Architekt André Schärer hat die nötigen Gesuche gestellt; allerdings gibt es diverse behördlichen Hürden zu bewältigen. Wenn alles klappt, sollte im Februar 2018 mit den Wiederaufbau begonnen werden können.
Von Liselotte Jost-Zürcher