Lützelflüh erhält eine neue Arbeitszone
Die beabsichtigte Umzonung einer landwirtschaftlich genutzten Fläche in eine Arbeitszone sorgte an der vergangenen Gemeindeversammlung für eine Rekordbeteiligung. 329 Stimmberechtigte fanden sich in der Mehrzweckhalle in Grünenmatt ein, was 10,2 Prozent aller Stimmberechtigten bedeutete. Zwei gestellte Gegenanträge hatten gegenüber dem Antrag des Gemeinderates jedoch keine Chance.
Lützelflüh · Seit Jahren ist der Gemeinderat Lützelflüh bemüht, zusätzliche Gewerbegebiete für bestehende und neue Betriebe zu schaffen. Deshalb wurde bereits im Jahr 2016 ein Gebiet an der Emmentalstrasse im regionalen Richtplan «RGSK» als Arbeitsgebiet von regionaler Bedeutung vorgemerkt. Das Gebiet erfüllt alle Anforderungen, wie eine gute Anbindung an die Kantonsstrasse und den öffentlichen Verkehr. Die Firma Wüthrich AG führt seit vielen Jahren angrenzend an dieses Gebiet eine Baustofffirma und möchte nun expandieren. Die dringliche Betriebserweiterung führte dazu, dass die Umzonung im Rahmen der Ortsplanungsrevision vorgezogen wurde. Beim vorliegenden Fall handelt es sich um eine Fruchtfolgefläche (FFF) von knapp 1,6 Hektaren, welche nach den Vorgaben des Kantons kompensiert wird. Neben der Wüthrich AG gibt es bereits weitere Interessenten für die neue Arbeitszone. Erschlossen werden soll das Areal über die Emmentalstrasse mit einer konzentrierten Ein- und Ausfahrt. Die geplante Einzonung grenzt im Norden an die Wohn- und Gewerbezone. Während der Mitwirkung sind neun Einsprachen eingegangen, wovon eine bereits wieder zurückgezogen wurde. Sie kamen alle von Eigentümerinnen und Eigentümern sowie Anwohnenden der angrenzenden Mehrfamilienhäuser, welche Bedenken zu den Auswirkungen der geplanten Arbeitszone auf die Wohnqualität haben. Da es dem Gemeinderat wichtig war, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner des neuen Quartiers wohl fühlen, hat er entschieden, der Gemeindeversammlung einen angepassten Vorschlag zu unterbreiten, der sowohl die Anliegen der Anwohnenden stärker berücksichtigt und dennoch die Ziele für die Arbeitszone weiterhin erreicht werden können. Somit verringert sich mit der Anpassung die Gesamthöhe der Gebäude gegenüber dem Stand der öffentlichen Auflage von ursprünglich 16 Meter auf 13 Meter. Zudem wird auf die Festlegung einer Fassadenhöhe traufseitig verzichtet. Die Mindestdichte wurde mit GFZo 0,5 (vorher 0,8) festgelegt, was der Mindestvorgabe der kantonalen Baugesetzgebung entspricht (die Geschossflächenziffer GFZ ist das Verhältnis der Summe aller Geschossflächen zur anrechenbaren Grundstücksfläche). «Das Gewerbe soll sich in Lützelflüh weiterentwickeln können, was aber zurzeit kaum möglich ist», hielt Gemeindepräsident Kurt Baumann fest.
Zwei Gegenanträge
Mit dem Vorhaben nicht ganz einverstanden war Friedrich Dähler. Er erklärte den Anwesenden, dass in der Schweiz in den letzten 30 Jahren 30 Prozent vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Flächen verbaut wurden, was in etwa zehn Fussballfelder pro Tag bedeute. Das Landwirtschaftsland müsse für die heimische Nahrungsmittelproduktion besser geschützt und gefördert werden. Er denke dabei auch an die nächste und übernächste Generation, erklärte Dähler. Zudem wisse man nicht, was ausser der Wüthrich AG sonst noch dahin kommen würde. «Vielleicht kommt ja ein Lidl oder ein Tankstellenshop dorthin, der dann lange Öffnungszeiten hat», befürchtete Dähler. Er sei deshalb dafür, dass man stattdessen das Bauland bei der Kentaur AG nutze und schlug der Gemeindeversammlung mit einem Gegenantrag einen Kompromiss vor. Für die Betriebserweiterung der Wüthrich AG solle eine definierte Fläche eingezont werden, der Rest des Landes hingegen solle weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden können. Benedikt Roessler, Ortsplaner der georegio ag relativierte die Angst gegenüber Lidl und sagte, dass der Platz zu klein sei für Lidl oder Landi. Ausreichend wäre er hingegen für einen Tankstellenshop. Der Gegenantrag von Friedlich Dähler fand unter den Anwesenden einiges an Unterstützung. Zustimmung fand aber auch der Antrag des Gemeinderates zum Beispiel durch den Architekten Reto Gsell, der seit 35 Jahren in Lützelflüh wohnt. Es sei nicht sinnvoll, sich gegen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu wehren, dort könnten die Kinder von Lützelflüh vielleicht mal ihre Ausbildung machen. Denn eine Gemeinde lebe auch mit ihrem Gewerbe. Wenn man vieles in der Nähe habe, habe das auch mit Nachhaltigkeit zu tun. Weitere Votanten nannten wiederholt die Erschliessung über die Emmentalstrasse als Argument für den Antrag des Gemeinderates. Dominic Wüthrich, Inhaber der Wüthrich AG, meldete sich ebenfalls an der Versammlung zu Wort. Der Kompromiss-Gegenantrag «Dähler» sei nicht ganz das, was die Firma Wüthrich brauche, sagte er. Das Stück Land, welches eingezont werden solle, sei zu klein, um die Pläne der Firmenerweiterung umsetzen zu können. Deswegen stellte Dominic Wüthrich ebenfalls einen Antrag als weiteren Kompromiss und beantragte die «Reduktion der Einzonung auf die nötige Fläche der Wüthrich AG gemäss Richtprojekt», was einer Erweiterung der definierten Fläche des Antrages «Dähler» entsprach.
Antrag Gemeinderat gewinnt
Bevor die Anträge zur Abstimmung gelangten, fügte Gemeindepräsident Kurt Baumann an, dass es durch die Reduzierung der Einzonung nicht mehr sicher sei, dass das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) die Erschliessung über die Emmentalstrasse noch bewilligen würde. Abgestimmt wurde im Cup-System. Als erstes wurden die beiden Anträge «Dähler» und «Wüthrich» gegeneinander gestellt. Wobei der Antrag «Dähler» deutlich unterlag. Bei der zweiten Abstimmung wurden der Antrag «Wüthrich» dem Antrag des Gemeinderates gegenübergestellt. Hierbei unterlag der Antrag «Wüthrich». Zu guter Letzt wurde über den «Gewinner»-Antrag des Gemeinderates abgestimmt. Er wurde mit nur fünf Gegenstimmen grossmehrheitlich angenommen. Das weitere Vorgehen sieht durch die Änderungen gegenüber der öffentlichen Auflage nochmals eine öffentliche Auflage von 30 Tagen vor. Danach erfolgt die Genehmigungseingabe an das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR). Dieses entscheidet über die offenen Einsprachen. Die Gemeinde rechnet mit einer Genehmigung gegen Sommer 2024, ab dann könne mit der Planung begonnen werden, erklärte Kurt Baumann.
Fehlendes Erdbestattungs-Gemeinschaftsgrab
Nicht nur die Einzonung der Arbeitszone sorgte an der Gemeindeversammlung zu Diskussionen, sondern auch die Änderungen des Friedhofreglements, welches von der Versammlung grossmehrheitlich angenommen wurde. So kann nun beispielsweise eine Gebühr verlangt werden, wenn Personen in Lützelflüh aufgebahrt, aber nicht dort bestattet werden. Zu Diskussionen führte jedoch nicht das Reglement an sich, sondern etwas, was darin vergessen ging, argumentierte die Votantin Therese Iseli. Sie vermisse ein Erdbestattungs-Gemeinschaftsgrab. Kurt Baumann erklärte, dass der Gemeinderat bereits darüber diskutiert habe. Der Boden beim Friedhof sei teilweise lehmhaltig und Erdbestattungen deshalb nicht überall möglich, da das Wasser dort nicht versickern könne. Ausserdem sei dafür auf dem Friedhof zu wenig Platz. Dennoch verlangte die Votantin etwas später beim Traktandum «Verschiedenes», dass der Gemeinderat diese Bestattungsart im Friedhofreglement aufnehmen solle. Ihrem Antrag auf Erheblicherklärung wurde schlussendlich von der Versammlung zugestimmt. Nun ist der Gemeinderat in der Pflicht, dieses Geschäft an der Frühlings-Gemeindeversammlung 2024 zur Abstimmung zu bringen.
Budget im Minus
Zu keiner Diskussion führte das Budget 2024. Es rechnet im Gesamthaushalt mit einem Aufwandüberschuss von 473 807 Franken und im allgemeinen Haushalt mit einem Aufwandüberschuss von 454 397 Franken. Gerechnet wurde mit einem gleichbleibenden Steuersatz von 1,74 Einheiten. In den nächsten fünf Jahren will die Gemeinde je nach Jahr zwischen 1,8 und 2,6 Millionen Franken investieren. Der Selbstfinanzierungsgrad beträgt dabei durchschnittlich 40 Prozent, was bedeutet, dass voraussichtlich ab dem Jahr 2025 erstmals seit langem Fremdkapital ausgewiesen werden muss, welches bis ins Jahr 2028 auf rund 6 Millionen Franken anwachsen kann. Trotz dieser Prognose sind die Finanzen der Gemeinde gesund und die Investitionen tragbar.
Von Marion Heiniger