«Mann» hat es heute nicht einfach
Die Klinik SGM (Stiftung für Ganzheitliche Medizin) in Langenthal nimmt sich der Männer an. Sie schafft ein neues Angebot für Männer, die sich in einer Lebenskrise befinden oder sich eine Auszeit nehmen wollen. Dafür baut sie an ihrem Standort an der Weissensteinstrasse eines ihrer zwei Gebäude um und realisiert im dritten Stock Zimmer für Patienten, Therapie- und Aufenthaltsräume für stationäre Behandlungen. Lanciert wurde das neue Angebot mit der Fachtagung Mann 2.0.
Es war ein komisches, aber auch ein befreiendes Gefühl nach einer langen Zeit der Abstinenz: 50 Personen durften im Parkhotel in Langenthal endlich wieder einmal physisch an einem Anlass teilnehmen. Eingeladen hatte die Klinik SGM in Langenthal, die ein neues Angebot für Männer präsentierte und dieses mit einer Fachtagung lancierte: «Mann 2.0: Wenn das Superman-Image zur Lebenskrise führt». Das Interesse an diesem männerspezifischen Thema war riesig, denn nebst den 50 Personen vor Ort verfolgte noch eine grosse Anzahl zu Hause vor dem Computer die Fachtagung, die aus mehreren Referaten und Gesprächsrunden mit Experten und Persönlichkeiten bestand.
Die Lebensmitte bringt Frauen und Männer ins Grübeln. War das alles? Habe ich die richtigen Entscheidungen getroffen? Welche Sehnsüchte unterdrücke ich schon länger? Lebe ich meinen Traum? Das sind Fragen, die man sich plötzlich zu stellen beginnt, aber keine Antworten findet. Während sich Frauen schneller Hilfe holen, tragen Männer das «Problem» erst mal mit sich selbst aus oder sie verdrängen es so lange wie möglich. Viele klinische Angebote sind vor allem auf Frauen ausgerichtet. Hier wird nun die Klinik SGM in Langenthal aktiv, die erkannt hat, dass Männer meist komplett andere Bedürfnisse haben. Mit einem geschlechterspezifischen Therapieangebot will die Klinik diesem Umstand Rechnung tragen. Dafür schuf sie ein neues Angebot für Männer in einer Lebenskrise. «Aus zahlreichen Diskussionen mit Experten, Fachleuten und Patienten haben wir gemerkt, dass ein Bedürfnis für ein solches Angebot vorhanden ist», erläuterte Michael Eichenberger, CFO und Leiter der Zentralen Dienste bei der Klinik SGM. Dazu wurde auch eines der beiden Gebäude an der Weissensteinstrasse 30 in Langenthal umgebaut. So wurden im 3. Stock Therapieräume und Zimmer für einen stationären Aufenthalt realisiert.
SGM leistet Pionierarbeit
Mit der eingangs erwähnten Fachtagung wurde das neue Angebot lanciert. Moderiert wurde der Anlass vom bekannten Radio- und TV-Moderator Ruedi Josuran. Nathan Keiser, CEO der Klinik, zeigte sich erfreut über das grosse Interesse an der Fachtagung. Er wertete dies als Zeichen dafür, dass dieses Angebot einem Bedürfnis entspricht. Keiser wies darauf hin, dass die Klinik SGM in diesem Bereich Pionierarbeit leistet. Männer wüssten in der Regel ganz genau, was ihr Chef oder ihre Frau möchten, aber über die eigenen Sehnsüchte und Wünsche würden sie nicht sprechen. «Wir wollen deshalb einen Ort schaffen, an dem Männer wieder lernen, sich zu spüren und auszudrücken», bemerkte der SGM-CEO.
Markus Theunert, Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen, nahm sich anschliessend dem Thema der Fachtagung an. Er wies darauf hin, dass Männer nach wie vor das privilegierte Geschlecht seien. «Deshalb ist es nicht einfach, über Männeremanzipation zu reden.» Er erwähnte, dass sich Männer mit typischen Männlichkeitsnormen konfrontiert sehen würden, wie beispielsweise, dass Jungs nicht weinen oder Männer keinen Schmerz kennen würden. Gleichzeitig sei es aber nach wie vor auch eine Tatsache, dass Männer überproportional zum Familieneinkommen beisteuern und dass ganz viele Familien in einem traditionellen Familienmodell leben würden, bei dem Hausarbeit und Kinderbetreuung grossmehrheitlich von den Frauen erledigt werde. In einem Herausforderungsfeld von Beruf, Familie und der Eigenwelt/Freunde sei es für viele Männer schwer, eine gesunde Balance zu finden. Das mache etwas mit den Männern, werde aber kaum angesprochen. «Die Männlichkeitsanforderungen sind hoch, aber auch widersprüchlich. Diese Widersprüchlichkeit wird gesellschaftlich aber nicht anerkannt, das heisst weder sichtbar gemacht noch thematisiert. Männer würden auf dieses Orientierungsvakuum mit Lähmung, Ohnmacht, Widerstand und Aggression reagieren.
Gegensätze treffen aufeinander
Theunert glaubt: «Mann sein» bedeute heute, an unerreichbaren Männlichkeitsidealen zu scheitern. «So wie ich bin, genüge ich nicht.» Mit diesem Satz würden sich heute viele Männer konfrontiert sehen. Der Referent betonte, dass Männer nicht weniger Gefühle hätten als Frauen, «aber sie haben einen weniger geübten Zugang zu ihnen.» Männlichkeitsnormen und -anforderungen seien nicht per se schlecht, hielt der Experte fest, dennoch plädierte er dafür, dass die Männer beginnen sollten, sich zu emanzipieren. «Ein selbstbewusster Mann sagt ‹Ja› zu sich, lernt verletzlich zu sein, ermächtigt sich selbst, sich um sich zu kümmern, umsichtig zu sein und sich zu begrenzen.»
Im zweiten Teil trafen mit dem Coach und Unternehmensberater Hans-Jürgen Lenz und dem ehemaligen Fussballtrainer und heutigen Naturliebhaber Hanspeter Latour zwei ganz gegensätzliche Persönlichkeiten auf-
einander. Lenz plädierte für einen neuen, achtsameren Umgang miteinander, sowohl im Berufs- wie auch im Privatleben. «Wer kooperiert gewinnt. Wer Menschen nicht liebt, hat im Management nichts verloren. Respekt, Freundlichkeit, Achtsamkeit und Liebe sind die Süsse des Lebens. Begegnung auf Augenhöhe schafft Nähe und Zuversicht. Zugehörigkeit und Verbundenheit lassen uns wachsen. Menschlichkeit braucht Empathie, gegenseitige Unterstützung und die Transformation des Egos», erklärte der Deutsche den Anwesenden. Diesbezüglich sei er sehr erstaunt, wie freundlich die Schweizer im Umgang mit Fremden seien, aber wie rücksichtslos und brutal sie zum Teil in den Firmen miteinander umgingen.
Vom Trainer zum Gärtner der Nation
Latour sagte, dass er Lenz’ Ansätze für lobenswert halte, aber seine Erfahrung zeige ihm, dass die Realität eine ganz andere sei. «Als Fussballtrainer geht es dir nur gut, wenn es den anderen schlecht geht», machte er klar, dass er sich in einem knallharten und von Ehrgeiz, Erfolg und Macht getriebenen Business bewegte. «Ich weiss noch, wie ich mich fühlte, als ich zum ersten Mal als Trainer freigestellt wurde. Ich fühlte mich als totaler Versager und zu allem Elend konnte man das auch noch überall lesen und hören.» Dennoch akzeptierte Latour die Spielregeln in diesem Geschäft. «Ich wollte es unbedingt und ich wollte ganz oben Trainer sein», sagte er und machte klar, dass er den Trainerjob beim Bundesligisten Köln aus Überzeugung angenommen hatte. «Wenn du das unbedingt willst, dann musst du gewisse Dinge auch aushalten können.» Der Fussball bewirke Grossartiges, berge aber auch die Gefahr, dass man abhebe oder sich vereinnahmen lasse. Lenz entgegnete ihm, dass es noch ganz andere Dinge gebe als Titel und Triumphe. «Die Fragen, wer bist du tatsächlich, was macht dich wirklich satt, sollten wir uns stellen.»
Hanspeter Latour hat diesen Prozess spielend gemeistert. Er habe sich immer vorgenommen, nach der Pensionierung noch einmal etwas ganz Anderes zu machen. Gesagt, getan, heute ist der ehemalige Fussballtrainer mit gleicher Leidenschaft wie früher an der Seitenlinie in der Natur unterwegs. Der Blick in die Natur sei beruhigend und zugleich faszinierend, weil man erstaunt feststelle, was es bei uns noch alles gebe. Deshalb lasse er in seinem Garten eine Blumenwiese gedeihen als Lebensraum für Schmetterlinge und andere Lebewesen. Die Streifzüge durch die Natur haben ihn dazu animiert, ein Buch zu verfassen («Natur mit Latour»).
Die Ratschläge von Hans-Jürgen Lenz oder den Weg von Hanspeter Latour können nicht alle Männer beherzigen und bewältigen, aber dafür können sie in Zukunft entsprechende Unterstützung auf ihrem Weg in Anspruch nehmen, in der Klinik SGM in Langenthal, die sich dem «stillen Leiden der Männer» annimmt.
Von Walter Ryser