Marius Zollet: «Kein Krisendorf!»
Affolterns heisseste Tage mitten im Winter: Der Gemeindeschreiber wurde Knall auf Fall freigestellt, sämtliche Mitarbeiter der Verwaltung suchten beruflich das Weite. Knapp drei Jahre ist es her, seit dem der Zoff im Gemeindehaus für Schlagzeilen sorgte. «Alles war halb so wild», findet Gemeindepräsident Marius Zollet. Das reinigende Gewitter habe einen kompletten Neuanfang ermöglicht. «Die Chemie stimmt jetzt wieder.»
Affoltern · Affoltern ein Krisendorf? «Mit Bestimmtheit nicht», entgegnet der Ende 2016 neugewählte parteilose Gemeindepräsident Marius Zollet mit Nachdruck. Er will die damalige Situation nicht schönreden. «Da hat einiges wirklich nicht gestimmt», gibt der 63-Jährige unumwunden zu. Aber das habe nichts mit dem Dorf oder seinen Bewohnern zu tun. Ein Zusammenspiel unvereinbarer Faktoren habe zu diesem Eklat geführt. Ein Einzelfall in der ganzen Geschichte von Affoltern. «Deshalb darf man die Gemeinde nicht gleich als Krisendorf betiteln», sagt er bestimmt. Zudem: «Es war nie so schlimm, wie das zum Teil von den Medien herbeigeschrieben wurde» (siehe Kasten).
Gemeindeschreiber kamen und gingen
Natürlich gab es einen Scherbenhaufen in der Verwaltung. Doch dies allein dem Anfang 2016 freigestellten deutschen Gemeindeschreiber in die Schuhe zu schieben, entspreche nicht den wirklichen Verhältnissen.
«Die Probleme haben schon viel früher begonnen. Wir hatten innert sieben Jahren sechs verschiedene Gemeindeschreiber.» Diese ständigen Wechsel machen deutlich: Phasen der Kontinuität und wirklichen Ruhe gab es in der Verwaltung und unter deren Mitarbeitern nicht.
Wachsender Pendenzenberg
Kam hinzu, dass die Verwaltung bei gleichbleibendem Personalbestand mit immer neuen Projektaufgaben belastungsmässig überfordert wurde, gibt sich Marius Zollet selbstkritisch. Durch den Verkauf der Onyx-Aktien hatte die Gemeinde plötzlich vier Millionen Franken in der Kasse. Im Gemeinderat sassen ab 2013 neben ihm noch drei weitere neue Mitglieder. «Wir waren alle so ambitioniert und wollten etwas bewirken für die Gemeinde.» Bis zu ihrem Amtsantritt waren im Dorf während Jahren keine Investitionen mehr getätigt worden.
Das wollten sie ändern. Mit dem Onyx-Geld wurden Strassen gebaut, das Schulhaus saniert, eine neue EDV-Anlage angeschafft, der generelle Entwässerungsplan realisiert und, und, und … «Die Verwaltung hat zwar super gearbeitet, doch konnte sie die zusätzlichen Aufgaben mit dem vorhandenen Personalbestand gar nicht bewältigen.» So wurden laufend nur die wichtigsten Dossiers bearbeitet, andere blieben immer länger liegen, der Pendenzenberg wuchs und wuchs.
«Diese Entwicklung ist schleichend gekommen und wir haben sie durch unsere Unerfahrenheit erst nach und nach realisiert», nimmt Marius Zollet eine Mitschuld auf seine Schultern. «Diese Fehler nachträglich zu korrigieren ist sehr schwierig.» Letztlich habe dies auch dazu geführt, dass die Harmonie zwischen Gemeinderat und Verwaltung zunehmend litt. Und das angeschlagene Schiff kam mit dem neu gewählten deutschen Gemeindeschreiber endgültig ins Strudeln. «Er hatte einen so ganz anderen Führungsstill gelebt, wie wir ihn hier nicht gewohnt sind. Damit kamen die anderen Angestellten nicht zurecht.» Eins nach dem anderen habe gekündigt, bis niemand mehr vom ursprünglichen Team übrig blieb.
Trotz der unausweichlichen Entlassung attestiert Marius Zollet dem freigestellten Gemeindeschreiber auch Positives: «Eines muss ich klarstellen: Affoltern hat keinen finanziellen Schaden davongetragen. Im Gegenteil. Zum Beispiel hat er für die Photovoltaikanlage auf dem Schulhaus einen Preis ausgehandelt, den wir sonst wohl nie erhalten hätten.» Zwar habe man nachträglich ein paar nicht abgeschlossene Dossiers in der Baukommission entdeckt, doch das sei eigentlich schon alles gewesen.
Totaler Neuanfang
Durch den Weggang sämtlicher bisherigen Angestellten ergab sich die Chance für einen totalen Neuanfang, gewinnt Marius Zolltet der Entwicklung Positives ab.
Mit Jürg Blum wurde ein Gemeindeverwalter gefunden, der ab Herbst 2016 sein Mitarbeiterteam mit einem leicht erhöhten Stellenetat komplett neu zusammenstellen konnte.
«Er ist sehr kompetent und unglaublich exakt, klärt alles bis ins kleinste Detail ab», schätzt der Gemeindepräsident die fachlichen Qualitäten von Jürg Blum.
«Er argumentiert sehr differenziert und dezidiert. Wir ergänzen uns hervorragend. Während ich derjenige bin, der die Projekte mit den Beteiligten im Dialog auszuhandeln versucht, liefert er die entsprechenden Fakten dazu und zeigt auf, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen die Projekte überhaupt realisiert werden können.» Mit diesem neuen Verwaltungsteam funktioniere die Zusam-
menarbeit hervorragend. Zudem habe man die Revisionsstelle ausgetauscht und zur Firma Fankhauser und Partner in Huttwil gewechselt.
Attraktive Arbeitsplätze
«Ab Ende 2017 hat sich bei uns alles weitestgehend normalisiert», zeigt sich Marius Zollet überzeugt. Und er blickt auch sehr zuversichtlich in die Zukunft. «Unser erstes Ziel, Ruhe in die Verwaltung und den Gemeinderat zu bringen, haben wir erreicht.» Zweite Priorität habe das Aufarbeiten aller noch liegengebliebenen Dossiers. «Wichtig ist dabei, dass wir jedes Formular und jede Tätigkeit genau hinterfragen, um nicht die Fehler der Vorjahre ungeprüft zu übernehmen.»
Zentraler Punkt ist aber auch das Schaffen von Weiterbildungsmöglichkeiten und attraktiven Arbeitsbedingungen. «Die Arbeitspensen müssen angepasst und eingehalten werden, damit nicht Überstunden angehäuftwerden oder Dossiers liegen bleiben. Denn das ist der Anfang vom Ende», macht der Gemeindepräsident klar. «Unser Ziel ist es, die Angestellten so lange wie möglich bei uns zu behalten. Denn jeder Wechsel kostet nicht nur Geld, sondern bringt wieder Unruhe.»
Von Thomas Peter