• Auf köstlichste Art weist Massimo Rocchi mit kabarettistischem Körpereinsatz auf Schwächen, Marotten und Macken der Menschen hin. · Bild: Hans Mathys

21.01.2022
Langenthal

Massimo Rocchi: «Es isch eso u fertig»

Der 64-jährige italienisch-schweizerische Komiker Massimo Rocchi beeindruckt das Publikum im vollbesetzten Stadttheater Langenthal mit Sprache und Körpersprache. Der «Poet des Lachens» nimmt Schweizer Klischees auf die Schippe und sorgt von A bis Z für beste Unterhaltung.

Langenthal · Welch ein Unterschied: Am einen Abend verzeichnet das Stadttheater bei der starken Vorstellung des Theaters Pforzheim mit der Verdi-Oper «Falstaff» einen Saison-Minusrekord (100 Interessierte), am nächsten Abend mit Komiker Massimo Rocchi einen Saison-Rekord (alle 400 Plätze sind besetzt). Dass bei Verdis 1893 in der Mailänder Scala uraufgeführten letzten Oper «Falstaff» die musikalischen Perlen im Vergleich zu «Nabucco», «Rigoletto», «La Traviata» und «Aida» fehlen, mag ein Grund für die bescheidene Resonanz beim Oberaar­gauer Publikum gewesen sein. Möglich ist jedoch auch, dass dieses in Zeiten von Corona wieder mal etwas Lustiges bevorzugt – etwas zum Lachen. Dafür ist Massimo Rocchi seit Jahren ein Garant. In Langenthal bestätigt der die Pantomime ebenso wie die Sprachakrobatik beherrschende Komiker, Autor, Regisseur und Schauspieler seinen Ruf, das Publikum mit sprachlichen Eigenheiten auf Deutsch, Schweizerdeutsch, Französisch und Italienisch vorzüglich zu unterhalten.
 
Massimo Rocchi kennt Langenthal
Massimo Rocchi sorgt bereits beim «Einmarsch» ins randvolle Stadttheater für Stimmung. Dabei betritt er den Saal von hinten, schlendert auf der rechten Seite nach vorne, animiert das Publikum erfolgreich zum rhythmischen Klatschen und besprüht sich auf der Bühne mehrfach: Desinfektion im Kampf gegen Corona oder Bekenntnis zum Lieblingsparfüm? Das hiesige Stadttheater sei nicht wiederzuerkennen, lobt er den Musentempel, den er noch von Zeiten vor der Sanierung in Erinnerung hat. «Ich habe die Geschichte von Langenthal gelesen», sagt er. Einen ersten Beweis liefert er mit dem Wissen, dass Langenthal offiziell seit 1997 eine Stadt ist. «Die Römer sind da gewesen – und vielleicht auch andere», schiebt er nach. Ebenso weiss  er um den Stolz der Langenthaler Bevölkerung auf die ehemalige Porzellanfabrik und ums obligate Umdrehen einer Porzellantasse bei der Kontrolle des Stempels, der darauf hinweist, dass es sich hier um ein Qualitätsprodukt aus Langenthal handelt. Nachdem Massimo Rocchi die Oberaargauer Metropole in seiner Kurz-Version vorgestellt hat, erklärt er den berndeutschen Ausdruck «Mürgu» und schweift dann ab zum Kastrieren, das früher ohne Narkose geschah, «weil man nicht wusste, was in einer Spritze drin ist». Dieser offensichtliche Pfeil Richtung Corona-Impfgegner sitzt. Es gibt Szenenapplaus. Massimo Rocchi schildert sich selber als belesen. Zurzeit lese er die Gebrauchsanweisungen von Waschmaschinen und Tumblern.

Der Pass in Italien und der Schweiz
Der mit zahlreichen Auszeichnungen ausgestattete Komiker – Salzburger Stier in Salzburg, Prix Walo in Zürich, deutscher Kleinkunstpreis in Mainz und so weiter – weist darauf hin, dass die Schweiz mit ihren 26 Kantonen der Bauchnabel Europas sei – «von vorne betrachtet». Weil Massimo Rocchi bereits seit Jahren in Basel lebt, macht er auf die Gefahr aufmerksam, dass, wer hier unterwegs sei, plötzlich nicht mehr in der Schweiz, sondern in Europa sein könne. Die Basler Fasnacht sei «unvergesslich», daure drei Tage, und die Leute würden dabei nicht Masken, sondern Larven tragen. Einen Unterschied hat Massimo Rocchi zwischen dem Schweizer Pass und dem italienischen Pass ausgemacht. Der Schweizer Pass garantiere den Besitzern, dass sie jederzeit zurück in die Schweiz reisen können. In Italien sei dies anders. Dort garantiere der Pass, jederzeit aus Italien ausreisen zu dürfen. Der 64-Jährige lässt das Publikum auch teilhaben an seinen Erfahrungen an einem Kashmir-Yoga-Kurs – also an einem ruhigen Yoga-Stil mit gezielten Atemübungen. Devise: «Der Kopf denkt, also werde ich gedacht.» Die Empfehlung, sich bequem zu kleiden, habe er missverstanden, denn niemand sonst sei wie er im Calida-Pyjama erschienen. Massimo Rocchi bringt Yoga auch gleich mit «Meditieren» in Verbindung, seziert dieses Wort und stellt fest, dass dieses mit «Tieren» endet. Sogleich imitiert er zur kollektiven Belustigung des Publikums gekonnt den Passgang eines Kamels «aus der Sahara-Wüste». Kein Wunder, gelingt ihm dies vorzüglich, hatte er doch im Jahr 2003 als Gastkomiker das Jubiläumsprogramm «200 Jahre Circus Knie» geprägt.

Zunge raus bei der Arie des Figaro
Mit Applaus wird Massimo Rocchi in die Pause verabschiedet, mit Applaus begrüsst ihn das Publikum danach, als er stimmgewaltig den Figaro mit dessen Arie aus der Oper «Der Barbier von Sevilla» von Gioachino Rossini gibt. Natürlich kommt diese bekannte Arie aus dem Lautsprecher und nicht aus der Kehle des Komikers, der sich als Starsänger ausgibt und dabei öfters demonstrativ seine Zunge präsentiert – zum allgemeinen Gaudi seiner Bewunderer. Mit der Figaro-Arie schafft Massimo Rocchi sogleich den Übergang zu seinen italienischen Wurzeln. Seine Grossmutter sei ein grosser Opern-Fan und eine leidenschaftliche Köchin gewesen. «Sie kannte alle Arien.» Sogar das Essen sei der Musik angepasst gewesen. Eine Arie von Giacomo Puccini habe darauf hingedeutet, dass es einen Truthahn zu verspeisen gab. Zwei- bis dreimal wöchentlich habe er mit seiner Nonna (Grossmutter) die Kirche und den Friedhof besucht. Zu seinen Grosseltern in Cesena hat Klein Massimo eine besondere Beziehung gehabt, weil er hier aufgewachsen ist, während seine Eltern und die beiden Schwestern in Süditalien lebten und arbeiteten. 1976, nach seinem Abitur am Gymnasium in Cesena, studierte Massimo Rocchi Theaterwissensschafen an der Universität Bologna. Anschliessend liess er sich in Paris an den weltberühmten Schulen von Etienne Decroux und Marcel Marceau zum Pantomimen und Schauspieler ausbilden. Der Liebe wegen liess er sich in den 1980er-Jahren in Bern nieder. Nach der Trennung von seiner Ehefrau zog er nach Basel, wo er mit seiner Partnerin und Managerin Dagmar Klauer lebt. Menschenbeobachter Massimo Rocchi ist Vater eines inzwischen knapp 40-jährigen Sohnes.

Abschluss als Torhüter Oliver Kahn
Der ausgebildete Pantomime und Verwandlungskünstler weist darauf hin, dass die Lebensweise der Menschen zur Altsteinzeit das Jagen und das Sammeln gewesen sei – und vergleicht Letzteres mit dem heutigen Sammeln von Cumulus-Punkten. Eine Kernaussage von Massimo Rocchi, die er öfters wiederholt: «Es isch eso u fertig.» Auch im Repertoire des Protagonisten: «Mir wei nid grüble.» Auf köstlichste Art weist er mit kabarettistischem Körpereinsatz auf Schwächen, Marotten und Macken der Menschen hin. So ist ihm aufgefallen, dass der Berner nicht nein sagen könne. «Er ist einfach nicht dafür.» Der Berner bringe auf den Punkt, wofür andere 20 Minuten benötigen würden. Er sage einfach: «Hesch es?» Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Schweiz sei ein spezielles Land. «Ich gehe in die Schweiz», heisse es sehr bestimmt, während man andererseits nach Deutschland oder nach Frankreich gehe. Als Zugabe zeigt Massimo Rocchi, was Oliver als Torhüter alles kann. Gemeint ist der legendäre Fussball-Goalie Oliver Kahn, der bis zum Karriereende im Jahr 2008 bei Bayern München und in der deutschen Nationalmannschaft spielte. Mit der pointierten Mimik und Gestik des Oliver Kahn inklusive Kaugummi «chätsche» und dem Hechten nach dem Ball verabschiedet sich der Komiker. Massimo Rocchis Welt ist das Theater. Diesen Beweis ist er dem Langenthaler Publikum zu keiner Zeit schuldig geblieben.

Von Hans Mathys