Mehr zuhören, weniger Druck ausüben
Wer sich im militärischen Dienst befindet, kommt weder in den Genuss von Ausgang noch von Urlaub. In Wangen an der Aare versucht man in der Rekrutenschule mit verschiedenen «Zückerlis» für Aufmunterung zu sorgen.
Oberaargau/Armee · Die Rettungsrekrutenschule 75 in Wangen an der Aare befindet sich als Gesamtschule quasi in Selbstisolation. Seit drei Wochen sind sämtliche Urlaube – inklusive Wochenenden – gestrichen, schon seit fünf Wochen gibt es keinen Ausgang an den Abenden mehr. Der Grund dafür ist einfach: Keiner soll die Möglichkeit haben, das Virus in die Kaserne zu tragen. Denn: Die Armee will für den Notfall gemäss ihrem Grundauftrag einsatzbereit sein. Wenn das Gesundheitssystem zum Erliegen kommt oder Katastrophensituationen eintreten, muss der Bund auf intakte Truppen zurückgreifen können.
Diese Einsatzbereitschaft zu garantieren ist aber einfacher gesagt als getan, das weiss auch Schulkommandant Roland Hämmerli. «Wir müssen gesundheitlich und auch moralisch bereit sein, im Ernstfall unseren Dienst zu leisten. Und dafür versuchen wir mit gewissen Anpassungen zu sorgen», erklärt der Oberst im Generalstab. Mit anderen Worten: Ein Tag pro Woche steht den Rekruten zur freien Verfügung und abends steht nicht mehr weiter Ausbildung, sondern ebenfalls Freizeit auf dem Programm. «Diese kann man nutzen, um Sport zu treiben, zu telefonieren oder auch zu singen. Ein Kader hat nämlich einen Chor ins Leben gerufen», erzählt Roland Hämmerli. Daneben wurde das Budget fürs Essen aufgestockt, so findet am Wochenende jeweils ein Brunch statt, auch sonst soll die Verpflegung die Moral der Truppe so gut es geht anheben.
422 Pakete für 363 Personen
Gänzlich gelingt das zwar nicht. Einzelne Rekruten geben durchaus zu, dass die Grundmotivation sinkt. Und dennoch zeigen Aussagen, dass auch Akzeptanz vorhanden ist. «Letztlich ist und bleibt es Militär. Ja, es wäre schöner, wenn wir nach Hause gehen könnten. Aber das gehört jetzt eben dazu», sagt beispielsweise der Bolliger Rekrut Noah Streit. Und zudem habe die Situation selbst jetzt einen Vorteil: «Wir haben viele Leute um uns und können Zeit mit den Kameraden verbringen.» Auch Oberst Hämmerli bestätigt, dass die Situation die Truppe zusammengeschweisst hat. Daneben berichten Rekruten auch, dass derzeit weniger Druck ausgeübt wird, als zuvor. Sanktionen seien bei Kleinigkeiten auch mal harmloser. Auch wenn weiterhin der gewohnte militärische Alltag herrsche, sei dieser weniger streng. Zusätzlich Druck auszuüben sei aktuell eher kontraproduktiv, findet auch der Schulkommandant, viel wichtiger sei es derzeit, gut zuzuhören. «Wir führen vermehrt Gespräche und fragen bei Kader und Rekruten nach, wie es ihnen geht. Zuhören ist sehr wichtig», sagt Roland Hämmerli. Ebenfalls auffallend sei, dass vermehrt Pakete versendet werden, am Mittwoch kamen 422 Lieferungen für die 303 Rekruten und 60 Kader am Standort Wangen an der Aare an.
Zusätzliche Ausbildung eingeführt
Verändert hat sich durch die Corona-Krise aber auch der Ausbildungsplan. Die Verlegung in Genf wurde quasi abgesagt, die Rekruten bleiben alle in Wangen an der Aare und werden dort für ihre militärischen Karrieren weiter vorbereitet. Zudem absolviert jede Rekrutenschule schweizweit eine besondere Sanitätsausbildung für die sogenannte «Low Level Care», damit die Rekruten auch im Gesundheitswesen eingesetzt werden könnten, sollte dieses unter der drohenden Last zusammenbrechen. Ausserdem wurden «Social-Distance-Manager» erkoren, diese sollen sicherstellen, dass ständig zwei Meter Abstand gehalten oder Masken getragen werden.
Immerhin von Krankheitsfällen ist die RS aktuell verschont, einen Fall gab es vor Ort in einem mittlerweile abgerückten WK-Trupp, ein erkrankter Rekrut hat das Virus bereits überstanden und ist zurück bei der Mannschaft. Geplant ist, dass am 15. Mai auch der Einsatz der Rekrutenschule enden wird, sollte sich die Lage nicht weiter verschlimmern. «Die am meisten gestellte Frage, wann die Rekruten wieder nach Hause können, kann ich leider jeweils nicht beantworten», sagt Roland Hämmerli. Klar ist nur, dass sich die aussergewöhnliche Situation vorerst weiter hinziehen wird.
Von Leroy Ryser