«Mein Leben ist auf der Rennstrecke»
Interview: Soraya Leuenberger im Gespräch mit Dominique Aegerter, Töffpilot aus Rohrbach – Der 27-jährige Töfffahrer Dominique Aegerter blickt auf eine turbulente Zeit zurück. Der Rohrbacher hat durchzogene Leistungen, einen aberkannten Sieg und den Todesfall seines Teamchefs zu verarbeiten. Er äusserst sich im «UE»-Interview aber auch zur nächsten Saison.
Sie sind wieder dort, wo es Ihnen am wohlsten ist: auf der Rennstrecke.
Wenn ich den Helm aufsetze und das Visier herunter mache, bin ich im Element. Mein Leben ist auf der Rennstrecke.
Sie blicken auf eine turbulente Zeit zurück. Wie weit ist die Verarbeitung fortgeschritten?
Die letzten Wochen waren wirklich heftig. Wenn ich allerdings auf der Töffstrecke bin, blende ich alles aus. Dies ist auch notwendig, weil das Töfffahren die volle Konzentration benötigt. Vor und nachher sind meine Gedanken aber bei meinem verstorbenen Teamchef Stefan.
Sie feierten auf dem Sachsenring im Juli 2014 ihren ersten Sieg. Der zweite Sieg in San Marino wurde Ihnen wegen Verwendung von falschem Motorenöl aberkannt. Sie waren entsetzt. Seither sind genau zwei Monate vestrichen. Genug Zeit, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Wir sind immer noch ratlos. Wir haben alle Möglichkeiten geprüft – ohne Erkenntnisse. Dies macht mich auch ein bisschen nervös, weil es sich wiederholen könnte.
Mussten Sie den Siegerpokal zurückgeben?
Bedauerlicherweise ja. In Valencia musste ich den Siegerpokal von San Marino der MotoGP-Organisation übergeben.
Wie sehen die Konsequenzen aus diesem unfassbaren Zwischenfall aus?
Wir haben uns sehr viele Überlegungen gemacht. Sabotage ist nicht auszuschliessen. An diesem Rennwochenende wurde mir ja auch ein Helm aus der Box gestohlen. Ab jetzt wird immer ein Teammitglied in der Box anwesend sein. Ausserdem werden wir in der nächsten Saison eine Kamera-
überwachung einführen.
Kaum hatten Sie den Schock dieser Disqualifikation verdaut, folgte der nächste Nackenschlag: Völlig unerwartet verstarb Ihr Teamchef Stefan Kiefer kurz vor dem Grand-Prix von Malaysia. Ein riesiger Schock.
Es war ein harter Schlag für das gesamte Team und das Umfeld. Man will es gar nicht wahr haben. Wir behalten Stefan in bester Erinnerung.
Niemand rechnete damit, keiner konnte es sich erklären.
Genau. Leider ist die Todesursache noch immer unklar. Wir gehen allerdings von einem Herzversagen aus.
Handelte es sich eventuell um einen Freitod? Könnte es nicht sein, dass Ihr Teamchef mit den Zwischenfällen – vor allem der Motorenöl-Geschichte – nicht mehr klar kam?
Ich hoffe es nicht. Weil zu diesem Zeitpunkt die zuvor noch unklare Teamzukunft praktisch geregelt war, kann ich dies eigentlich ausschliessen.
The show must go on… Wie organisiert sich Kiefer Racing denn neu?
Stefans Bruder Jochen springt am letzten Saison-GP in die Bresche und übernimmt bestmöglich die Aufgaben von Stefan. Alle Teammitglieder werden über sich hinauswachsen – für Stefan.
Sie haben für die nächste Moto2-WM-Saison bei Kiefer unterschrieben. Ist diese Saison überhaupt gesichert?
Auch wenn noch nicht alles spruchreif ist: Es gibt einen englischen Geldgeber, der das Team kauft. Die Kiefer-Strukturen bleiben, über den Teamnamen ist noch nichts bekannt. Der Wechsel auf KTM wird vollzogen. Und Sandro Cortese wird mein Teamkollege.
Nach zwei fünften WM-Rängen 2013 und 2014 folgten mit den Rängen 17 (2015), 12 (2016) und nun wohl wieder 12 (2017) grosse Enttäuschungen. 2018 ist eine Steigerung zwingend.
Die letzten Saisons verliefen alles andere als erhofft. Sie waren allerdings mit Zwischenfällen gespickt, für welche ich nichts dafür konnte: Unfälle, technische Ausfälle, Teamsperre oder tragische Todesfälle. Nächste Saison möchte ich das Glück auf meine Seite zwingen und im WM-Ranking in die Top-5 fahren.
Noch ist es aber nicht soweit. Es steht morgen Sonntag noch das 18. und letzte Rennen der Saison in Valencia auf dem Programm. Ein Spitzenrang für den verstorbenen Teamchef wäre eine spezielle Freude.
Das ganze Team ist gewillt, für Stefan einen Spitzenrang herauszufahren.
Die nervliche Belastung nach der Sieganullierung und dem Todesfall war imens. Gleichwohl hatten Sie einen wahren Medienmarathon – unter anderem ausführliche Berichte im Sportpanorama, auf Telebärn, auf Nau-TV und eine doppelseitige Story im SonntagsBlick – zu absolvieren. War dies nicht eine Tortur.
Die Medien gehören zum Business. Natürlich ist mir der Rummel nach einem Spitzenresultat lieber. Ich hatte nach den schwierigen Erlebnissen aber Zuhause in Rohrbach ein paar Tage Zeit, zum herunterfahren. So war ich auch etwas vorbereitet, um den Medienansturm zu bewältigen. Zwischen den vielen Terminen nutzte ich immer wieder das Training, um abzuschalten und mich auszupowern.
Am Sonntag geht die Saison zu Ende. Trotz allen Schicksalsschlägen wird gefeiert. Am 25. November findet im Campus Perspektiven die «Domi Fighter’s Racing Party» statt. Wozu dient sie?
Es handelt sich um eine legendäre Party, die vor acht Jahren in kleinem Rahmen begann. Mittlerweile besuchen jedes Jahr 1000 Leute die Racing Party. Eine Liveband, DJ’s, ein Formel-1-Simulator und ein Fanshop gehören dieses Jahr zum Angebot. Ziel der Veranstaltung ist es, meinen Fans etwas zu bieten, ihnen für die andauernde Unterstützung Dankeschön zu sagen. Ich werde an der Party mit den Fans das Gespräch suchen und Autogrammwünsche erfüllen.
Ihnen kommt dabei eine Ehre zuteil. Sie eröffnen mit Ihrer Party die neue Campus-Eventhalle.
Dies ist natürlich cool, obwohl die Halle erst Ende November ganz fertig wird.
Gab es bei der Organisation Probleme?
Wir müssen unbedingt darauf achten, dass die Lärmemission möglichst gering bleibt, damit die Anwohner eine zufriedene Nacht haben.
Wenn diese Saisonabschluss-Party vobei ist, dürfte etwas Ruhe einkehren. Wo wird Dominique Aegerter einmal so richtig abschalten können?
Leider sind keine Ferien geplant. Im Dezember habe ich noch zwei Wochen Militärdienst zu leisten. Anschliessend wird der Januar und Februar geplant, wo ich oft in Spanien für Testfahrten im Einsatz stehen werde. Wenigstens kann ich auch einige Tage Zuhause in Rohrbach sein. Dort ist meine Wohlfühloase. Dort kann ich herunter fahren.
Infos: www.domi77.com
Zukunftstag: Jungschreiberin am Werk
Anlässlich des Nationalen Zukunftstages besuchte die 10-jährige Huttwiler Schülerin Soraya Leuenberger die «UE»-Sportredaktion. Aus aktuellem Anlass führte sie ein Interview mit dem von Schicksalsschlägen gebeutelten Rohrbacher Töffpiloten Dominique Aegerter. slh