«Mir gefällt, was ich tue, so sehr»
Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Géraldine Ruckstuhl, Altbüron – Die 20-jährige Géraldine Ruckstuhl aus Altbüron ist der Shootingstar in der Schweizer Leichtathletik. Die Gewinnerin des Club 88-Sportpreises im «UE»-Interview.
Leichtathletik · Sie haben erstmals den Club 88-Sportpreis in der Einzelsportler-Kategorie gewonnen. Mit ingesamt sechs Podestplätzen lösen Sie Töfffahrer Dominique Aegerter als erfolgreichsten Sportler beim Club 88-Sportpreis ab. Was bedeutet Ihnen eine solche Auszeichnung?
Es gibt im Sportpreis-Gebiet so viele starke Einzelsportler. Darum bin ich stolz, dass ich diesen Titel geholt habe. Sogar die erfolgreichste Sportpreis-Sportlerin sein zu dürfen, zeigt mir, dass ich mich sportlich positiv entwickelt habe.
2018 verzeichneten Sie einen starken Siebenkampf an der EM in Berlin, erzielten Schweizerrekorde und holten insgesamt sechs Schweizermeister-Titel. Was war Ihr persönliches Highlight?
Emotional die EM. Wegen einer Verletzung war es mein erster Siebenkampf des Jahres. Die Klassierung in der Weltspitze trotz Trainingsrückstand freute mich sehr. Sportlich war der Höhepunkt natürlich der Siebenkampf in Talence zum Ende der Saison. Die Form war nun voll da, womit ich bei meinem zweiten Siebenkampf der Saison einen neuen Schweizerrekord aufstellen konnte. Speziell an diesem Wettkampf war auch die Ambiance, weil Kévin Mayer einen neuen Zehnkampf-Weltrekord aufstellte.
Sie sind in kurzer Zeit von einem gewöhnlichen Jugendriege-Mädchen zu einer der meistbeachtetsten Schweizer Sportlerinnen aufgestiegen. Und dies während dem Teenager-Alter. Wie gehen Sie mit dem ganzen Rummel um?
Ich habe mich daran gewöhnt. Am Anfang war es schon speziell, Interviews geben zu müssen. Doch es gehört halt einfach dazu.
Wird es Ihnen nie zuviel?
Wenn viele Sachen zusammenkommen, habe ich mir schon gewünscht, einfach auch so zu sein wie meine Gleichaltrigen. Aber dies sind kurze Phasen, denn der Sport ist meine gros-se Leidenschaft und bereitet mir
grossen Spass. Und so bin ich gerne bereit, auch das Drumherum zu bewältigen.
Mit Ihren Erfolgen sind Sie in die Öffentlichkeit gerückt. Fühlen Sie sich in dieser Welt wohl?
Wohl fühle ich mich nicht, nein. Es müsste von mir aus nicht sein. Ich mache den Sport für mich. Am liebsten würde ich einfach nur Trainieren und Wettkämpfe bestreiten. Dies ist es, was mir Freude bereitet.
Sie bewegen sich leistungstechnisch auf absolutem Topniveau. Sind Sie auf diesem Level noch nie mit leistungsfördernden Mitteln in Berührung gekommen?
Nein, bis jetzt nicht. Und darüber bin ich auch sehr glücklich.
Die Zahl der jungen Spitzensport-Aussteiger steigt. Es gibt Talente, die dem Spitzensport vor allem darum den Rücken kehren, weil sie nicht mit Doping in Berührung kommen wollen.
Mein grosses Ziel ist es, aus meinem Körper das Bestmögliche herauszuholen. Gelingt mir dies, spielt es mir keine Rolle, welchen Rang ich belege. Hauptsache, ich habe mein Potenzial voll ausgeschöpft. Niemals werde ich versuchen, mein allerhöchstes Leistungsniveau mit unterstützenden Mitteln zu erreichen. Ich kann die Leute, die dies tun, überhaupt nicht verstehen und will auch nichts mit ihnen zu tun haben. Mit fairem Sport, der mir so wichtig ist, hat dies nichts zu tun.
Wie behalten Sie Ihre Unbekümmertheit, Ihre so erfrischende Lockerheit?
Ach, ganz einfach: Ich bin einfach, wie ich bin. Ganz bestimmt verstelle ich mich nie.
Bei Ihnen dreht sich alles um den Sport. Können Sie auch mal abschalten?
Oh ja, doch. Jeder Sonntag ist Ruhetag. Da geniesse ich es in vollen Zügen, keinen Sport auszuüben.
Was tun Sie dann gerne?
Am liebsten faulenze ich mit meinem Freund.
Der Winter ist da. Gehen Sie Skifahren?
Das mache ich sehr gerne. Wegen der Verletzungsgefahr bin ich aber derzeit mit dem Snowboard unterwegs. Über Weihnachten war ich in Sölden.
Sie unternehmen gerne Reisen. Wo möchten Sie unbedingt einmal hin?
Ganz klar auf die Malediven. Ich habe in Ägypten mein Tauchbrevet gemacht. Und auf den Malediven muss das Tauchen traumhaft sein.
Sie nennen das Essen als eines Ihrer Hobbys. Erklären Sie bitte.
Ich esse gerne und viel, probiere auch liebend gerne Neues. Ausserdem mag ich beim Essen das Zusammensitzen und Plaudern mit den Mitmenschen.
Wenn es zu einem gemütlichen Fernsehabend kommt, was schauen Sie sich gerne an?
Das Sportpanorama am Sonntag ist gesetzt. Vor allem schaue ich Sportsendungen. Aber auch Dokumentationen oder einen guten Film mag ich.
Kommt es auch gelegentlich zu einem Spieleabend?
Auf jeden Fall, mit Kolleginnen, dem Freund oder der Familie. Brändi-Dog finde ich mega lässig. Aber auch Uno oder Rummikub. Wir probieren auch neue Spiele aus.
Hatten Sie schon einmal den Gedanken, die ganze Sportlaufbahn hinzuschmeissen?
Mir gefällt, was ich tue, so sehr. Darum: nein.
Was treibt Sie an, irgendwann eine, wenn nicht die weltbeste Siebenkämpferin zu sein?
Ich will das Maximum aus mir herausholen. Wir sehen dann, zu was es reicht.
Das Jahr 2018 brachte nicht nur Erfolge, sondern auch eine einschneidende Veränderung. Sie haben die Zusammenarbeit mit Ihrem langjährigen Trainer und Mentor Rolf Bättig beendet.
Rolf hat mich zu jener Athletin gemacht, die ich heute bin. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken. Gerade in der Spitzensportler-RS habe ich aber gesehen, dass ich neue Inputs brauche, um noch einen Schritt weiter zu kommen. So haben wir die lange und erfolgreiche Zusammenarbeit im November beendet.
Wer betreut Sie 2019?
Mein restlicher Trainerstab bleibt bestehen. Mein Speer-Coach Terry McHugh hat die Koordination übernommen. Ich bin aber auf der Suche nach weiteren Trainern, gerade im disziplinspezifischen Bereich.
In diesem Jahr gibt es zwei Siebenkampf-Eckdaten. Die U23-EM in Schweden im Juli – Ihre letzten Titelkämpfe beim Nachwuchs – sowie die WM in Katar im September.
An der U23-EM strebe ich einen Podestplatz an. An der WM möchte ich mich einen weiteren Schritt der Weltspitze nähern.
Die beiden genannten Saisonhöhepunkte gelten allerdings bloss als Zwischenstationen.
Ganz genau. Die Olympischen Spiele 2020 und 2024 überragen alles.
Wie sieht Ihre Zielsetzung für Olympia 2020 in Tokio aktuell aus?
An meinen ersten Olympischen Spielen möchte ich wertvolle Erfahrungen sammeln und einen guten Rang erzielen. 2024 möchte ich dann vorne mitmischen.
Sie haben am Hallenmeeting in Magglingen die Wettkampfsaison eröffnet. Wie sind Sie mit Ihrem Formstand zufrieden?
Ich bin sehr zufrieden. Es läuft ausgezeichnet. Was mich noch leicht hinderte, war eine Erkältung in der Vorwoche des Wettkampfs.
Wie sieht Ihr Trainingspensum mittlerweile aus?
Ich trainiere an sechs Tagen. Wöchentlich gibt dies neun bis zehn Trainings. Den grössten Teil davon absolviere ich in Magglingen.
In welcher Siebenkampf-Disziplin wollen Sie sich 2019 unbedingt verbessern?
Eindeutig im Weitsprung. Dort habe ich noch gewaltige Steigerungsmöglichkeiten.
Am Wochenende findet die Mehrkampf-SM in der Halle statt. Sie treten als Titelverteidigerin zu diesem Fünfkampf an.
Ich gebe mein Bestes und möchte meinen Disziplinenbestwerten nahe kommen. Natürlich würde es mich freuen, wenn ich den Titel verteidigen könnte.
Am 24. Februar feiern Sie Ihren Geburtstag. Was ist geplant?
Es ist noch nichts geplant. Wir werden aber ganz sicher etwas Feines essen gehen.
Geschenke dürften Sie sich keine wünschen. Aber Geld. Ihre Leicht-athletik-Tätigkeit ist nicht billig. Wie finanzieren Sie sich?
Ich habe mittlerweile einige Sponsoren, bin aber immer auf der Suche nach neuen Geldgebern. Von der Leichtathletik leben kann ich definitiv nicht, darum gehe ich ja auch arbeiten. Einen unglaublichen Support in jeder Hinsicht erhalte ich seit Jahren von meinen Eltern. Auch die Armee hilft mir. Ich habe ja die Spitzensportler-RS gemacht. In mehrwöchigen Wiederholungskursen erhalte ich nun ausgezeichnete Trainingsmöglichkeiten – und Sold.
Ihre Verbindung zur Familie ist innig. Sie wohnen immer noch daheim.
Auch dadurch kann ich Kosten verhindern. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar dafür.
Wenn Sie für 2019 einen Wunsch frei hätten – wie würde dieser lauten?
Ich wünsche mir eine erfolgreiche und verletzungsfreie Saison.