Misstöne nach der Hiobsbotschaft
90 von 120 Angestellten verlieren ihren Job: Letzten Donnerstag traf die Mitarbeitenden der Afag Automation AG in Zell mit dieser Nachricht ein harter Schlag. Auch für Zell selbst ist es ein grosser Schock, wie Gemeindepräsident Markus Tremp auf Anfrage ausführt. Für die Massenentlassung werden wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt. Vermutet wird jedoch, dass die Muttergesellschaft Emerson vor allem an der Technologie der kleinen Afag interessiert war.
Luzerner Hinterland · «Bei Emerson stehen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mittelpunkt», wurde den Angestellten der Afag Automation AG in Zell ab letztem Herbst nach der Übernahme durch das US-amerikanische Grossunternehmen versichert. «Let’s go together», konnte die Afag-Familie unter anderem auf Plakaten lesen, die zur Vermittlung interner Firmenslogans aufgestellt worden waren. Spätestens letzten Donnerstag jedoch entpuppte sich dieses Unternehmensmotto für die Mitarbeitenden der Afag als blosse Worthülse. Aus dem «together» wird für 90 von 120 Mitarbeitenden ein «Getrennt». Die Nachricht der Massenentlassung schockierte letzte Woche sowohl die Angestellten als auch deren Angehörige sowie die ganze Region. Die Belegschaft war letzten Donnerstagnachmittag über den einschneidenden Stellenabbau informiert worden. Auch Lernende sind offenbar betroffen. Geplant ist eine Verlagerung der Produktion ins Ausland. Die Zuführtechnik solle nach Amberg in Deutschland und die Handhabungstechnik nach Eger in Ungarn verlagert werden, heisst es aus internen Quellen. Die Frist für die Produktionsverlagerung betrage 18 bis 24 Monate. So lange haben die betroffenen Mitarbeitenden also offenbar noch einen Job. Wie es heisst, sollen etwa 30 Mitarbeitende noch über diese Frist hinaus weiterbeschäftigt werden können, und zwar im Engineering und im Vertrieb.
Konsultationsverfahren eingeleitet
Gegenüber dem «Unter-Emmentaler» äussert sich das Unternehmen nicht zur Hiobsbotschaft. Sämtliche Kontaktversuche bei der Afag beziehungsweise bei Emerson gingen ins Leere. Gegenüber anderen Medien bestätigte das Unternehmen, dass ein Konsultationsverfahren eingeleitet worden sei. Will heissen: Während eines solchen Verfahrens soll versucht werden, die Zahl der geplanten Entlassungen zu vermeiden oder zu minimieren – oder, was im vorliegenden Fall wohl eher wahrscheinlich ist, den Prozess der Entlassung möglichst sozialverträglich zu gestalten. Mit dem Verbleib von rund 30 Mitarbeitenden ist damit zu rechnen, dass der Standort Zell kurz- bis mittelfristig wenigstens nicht gleich ganz geschlossen wird. Nichtsdestotrotz ist die Nachricht der Massenentlassung natürlich auch für die Gemeinde selbst ein grosser Schock. Gemeindepräsident Markus Tremp (Die Mitte) spricht in diesem Zusammenhang ganz unverblümt von einem «Seich», der hier mit der Gemeinde widerfahre. Man habe sich vor ein paar Jahren sehr darum bemüht, die Afag nach Zell zu holen (zur Erinnerung: Erst 2021 zügelte das Unternehmen von Huttwil nach Zell). Es gelang. Ein Neubau wurde errichtet. Die Afag zügelte. So weit, so gut. Auch die Nachricht der Übernahme durch das amerikanische Grossunternehmen Emerson habe man in der Gemeinde zunächst als sehr positives Signal wahrgenommen. «Wir dachten, dadurch erhalte die Afag im Endeffekt mehr Gewicht auf dem Weltmarkt», berichtet Markus Tremp, der sein Amt als Präsident aufgrund der Wahlen soeben regulär niedergelegt hat. Die Nachricht der Massenentlassung traf das scheidende Gemeindeoberhaupt also ausgerechnet zum Abschluss seiner Amtszeit.
Weitreichende Auswirkungen
Der Neubau in Zell sei für 180 Personen konzipiert gewesen. «Wir sind alle davon ausgegangen, dass sich die Afag in Zell gut entwickeln wird; nun hoffen wir, dass wenigstens 30 Mitarbeitende am aktuellen Standort weiterbeschäftigt werden können», so Tremp. Die Nachricht des Stellenabbaus sei natürlich primär für die Mitarbeitenden und deren Angehörige ein harter Schlag. Doch auch darüber hinaus, für die ganze Region, sei es ein Schock, hätten doch zahlreiche Menschen aus der nahen und weiteren Umgebung bei der Afag Automation AG eine Beschäftigung gefunden, äussert sich Markus Tremp weiter. Die Steuereinnahmen, die der Gemeinde Zell vor diesem Hintergrund in Zukunft wegbrechen würden, seien ihm deshalb im Moment vollkommen egal. «Hier geht es um Einzelschicksale. Wir hoffen sehr, dass die betroffenen Mitarbeitenden eine gute Anschlusslösung finden werden und dass ihnen im Rahmen des angekündigten Konsultationsverfahrens auch wirklich geholfen wird», so der Ex-Gemeindepräsident. Die Afag ist nicht der grösste, aber definitiv einer der grösseren Arbeitgebenden in der Gemeinde: 2200 Einwohner stehen rund 1550 Arbeitsplätzen gegenüber. Das ist – beziehungsweise war – inklusive Afag gerechnet.
Technologie einverleibt
Von offizieller Seite war vor dem Wochenende zu vernehmen, dass der Stellenabbau vor allem vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und Herausforderungen geschehe. Die Aussage, es rentiere nicht mehr, sei aber im Grunde falsch, berichten interne Stimmen gegenüber dieser Zeitung. Viel eher sei wahr, dass sich die Muttergesellschaft Emerson von Anfang an für die Technologie der Afag interessiert habe. Ein Geheimnis ist dies in der Tat nicht: «Afag bringt eine spannende Technologie mit, die es Emerson ermöglicht, das Wachstum in unserem bestehenden Fabrikautomatisierungsgeschäft mit einem Wert von 900 Millionen US-Dollar zu beschleunigen», sagte ein Emerson-Top-Manager nach der Firmenübernahme letzten Herbst. «Afag und seine Arbeitskräfte werden eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Leistung und Innovationskraft von Emerson in der Fabrikautomatisierung spielen», liess sich der Manager weiter zitieren. Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hatte der Zitierte wenigstens mit einem gewissen Teil seiner Aussage recht. Die Montageautomatenbauerin Afag war 1956 unter dem Namen Apparatefabrik AG in Huttwil gegründet worden. 2001 wurde sie von der Feintool AG und 2011 von der Schaeff Group übernommen. 2021 wurde der Firmensitz von Huttwil nach Zell verlegt. Seit einigen Monaten gehört die Afag Automation AG zu Emerson Electric in Saint Louis, Missouri.
Von Patrick Jordi