Mit Babyschritten zurück ins Leben finden
Bekannt waren sie als «Pizzi»-Wirte, Sommerkino-Veranstalter und beliebte Stadtoriginale. Einschneidende Ereignisse während der Corona-Pandemie haben die Welt von Rita Soom und Marcel «Masi» Marti jedoch komplett auf den Kopf gestellt. Über viele Monate hinweg schien es so, als wären die beiden total in der Versenkung verschwunden. Doch langsam, aber sicher kämpft sich das unkonventionelle Paar wieder zurück an die Öffentlichkeit. Ein Gespräch über Lust und Frust sowie alte und neue Routinen.
Was macht eugentlich... · «Wir sind beide gesund und munter, haben keine Depression durchlebt und sind auch von keiner zwielichtigen Substanz abhängig geworden», sagt Masi Marti humorvoll, aber bestimmt. Der 50-Jährige packt die Gelegenheit, um gleich mit ein paar wilden Gerüchten aufzuräumen. Gerüchte, die mitunter kursieren, weil Rita Soom und Marcel Marti im Vergleich zu früher viel, viel weniger in der Öffentlichkeit präsent sind und man deshalb kaum noch etwas von ihnen mitkriegt – ausser, man folgt den beiden auf Social Media.
Zwar wurde über das lokalprominente Paar schon immer recht viel geredet – in einer Kleinstadt wie Langenthal sticht ein kurioses, leicht exzentrisches Duo wie Rita und Masi halt schnell einmal aus der ausnivellierten Masse hervor. Und überhaupt: Mit dem Restaurant La Piazzetta und dem Sommerkino hatten die beiden in der Vergangenheit zwei hervorragende Plattformen, wo sie ihren Leidenschaften nachgehen konnten und diesen teils unkonventionellen Lifestyle mit den Menschen, die es sehen wollten, auch gern teilten.
Doch gerade deshalb, weil den beiden in den letzten Jahren sowohl das «Pizzi» als auch das Sommerkino weggebrochen sind, macht es nun umso mehr den Anschein, als wären Rita und Masi mit und nach Corona regelrecht in der Versenkung verschwunden.
War es früher vor allem ihr ungewöhnlicher Lebensstil, der an Stammtischen und in Freundeskreisen mit viel Hingabe diskutiert wurde, so ist es inzwischen zusätzlich auch ihr Fernbleiben von der öffentlichen Bildfläche, das zu Gesprächen und – eben – sogar zu bizarren Gerüchten Anlass gibt. Über die Gesundheit von Rita und Masi wurde letzthin ebenso wild spekuliert wie über etwaige Finanzprobleme, die ans Existenzielle gehen könnten – um nur zwei Beispiele aus der lokalen Gerüchteküche zu nennen.
Masis Fotoausstellung im Parkhotel
Wer würde sich also für die Serie des «UE» (siehe Box) besser eignen als Rita Soom und Marcel Marti? Die Frage, «Was machen die beiden eigentlich die ganze Zeit?», drängt sich in ihrem Fall besonders auf. Um Klärung herbeizuführen, wird ein Treffen vereinbart – eingefädelt via Rita, ganz unkompliziert und zackig per Instagram-Chat, ist ja klar. Man trifft sich in der Lobby-Bar des Parkhotels. Die beiden rücken mit den E-Bikes an. Leicht verspätet. Aber wer damit rechnet, dass Rita und Masi auf die Minute genau an einem Treffpunkt erscheinen, ist selbstverständlich selber schuld. Das Servicepersonal bringt Getränke. Für Rita und Masi je eine Coca-Cola mit Eis. Nicht Zero, nicht Light – das Originale soll es sein.
Dass das Treffen hier stattfindet, ist kein Zufall. Seit März konnte Masi im Foyer und im Restaurant einen Teil seiner Schwarz-Weiss-Fotografien ausstellen. Er ist vom Parkhotel dafür angefragt worden – und hat dankend angenommen. «Es sind Anfänge», sagt Masi bescheiden. Während der Ausstellung, die bis Ende Juli gedauert hat, konnte er jedoch immerhin vier Bilder verkaufen.
Dass er künstlerisch tätig ist und besondere Talente für die Musik und fürs Fotografieren hat, ist vielen bekannt. Aber einen riesigen Coup landen, oder nachhaltig erfolgreich sein, konnte Masi damit bislang noch nicht. Im Gespräch wird allerdings schnell klar, dass die Fotografie ein Themenfeld ist, das seit einiger Zeit verstärkt von ihm beackert wird, und zwar durchaus auch mit kommerzieller Absicht, über das Künstlerische hinaus. Man könnte beinahe schon von einem Geschäftszweig sprechen, den sich Masi da in den letzten Monaten und Jahren aufgebaut hat. «Es ist ein Projekt, das am Wachsen ist», gibt er zu verstehen. Fotoaufträge, die auch bezahlt sind, waren beispielsweise das Einfangen von Stimmungsbildern am Langenthaler Street Festival, das Porträtieren von Menschen oder auch die Gestaltung eines Album-Covers. Alles Aufträge, die zu ihm passen wie angegossen: «Der künstlerische und der kommerzielle Aspekt sollten sich miteinander verbinden lassen», sagt Masi, der sich lieber nicht verbiegen möchte.
Kürzlich hat er mit einem seiner Schwarz-Weiss-Bilder an einem renommierten Schweizer Fotowettbewerb in Zürich teilgenommen. Einen Preis gewonnen hat er dabei zwar nicht, aber immerhin wurden zwei Abzüge seiner Bilder an Drittpersonen verkauft. Ausserdem hat er es beim Wettbewerb in die vorderen Ränge geschafft. «Weitere kleine Erfolgserlebnisse für mich», so der 50-Jährige.
Dosiert Leute treffen
Wie ein Mosaiksteinchen fügt sich die Fotoverkauf-Anekdote in ein Gesamtbild, das Rita und Masi im Gespräch zu vermitteln versuchen. Das Gesamtbild lautet: Mit Babyschritten zurück ins Leben finden. Auch die Ausstellung im Parkhotel ist im Grunde ein solches Mini-Schrittchen. Oder vielmehr die zahlreichen Abende sind es, die Rita und Masi in den letzten Monaten hier verbracht haben: «Dank dieser Fotoausstellung konnten wir seit März schrittweise und dosiert wieder Leute treffen», klinkt sich eine bislang sehr still gebliebene Rita in das Gespräch mit ein.
Um die Aussage der 56-Jährigen im richtigen Kontext zu sehen, muss man wissen, dass Rita und Masi während Corona – und weit über die Pandemie hinaus – extrem zurückgezogen gelebt haben. «Aus Rücksicht auf die eigene Gesundheit und die des engsten Umfelds», wie sie sagen.
Die Ausstellung im Parkhotel ist somit die erste richtige Plattform, auf der sich die beiden seit Monaten, beziehungsweise seit Jahren, wieder öffentlich blicken lassen. Eben: Ein Babyschrittchen auf dem Weg, langsam wieder Kontakte zuzulassen und mit bekannten Gesichtern auf Tuchfühlung zu gehen. «Am Anfang war es für uns noch sehr ungewohnt, aber mittlerweile geniessen wir es sehr, unsere lieben Menschen wieder treffen zu dürfen», sagt Rita dankerfüllt.
Irgendwie skurril: Für viele Leute war die Pandemie spätestens im Frühling 2022 definitiv abgehakt – Rita und Masi hingegen verlassen erst allmählich wieder ihre persönliche «Corona-Insel» …
Unsichtbare Nachtschwärmer
Ihre Corona-Insel, wenn man dem so sagen will, ist und war ihr heimeliges Zuhause an der Wuhrgasse, ein Altbaugebäude direkt neben dem Pub «Feiss & Heimlich» in Langenthals Wuhrquartier. Wer nicht weiss, wo das ist, sollte nach den beiden Bücherfrigos Ausschau halten. In dem Haus, vor dem die Kühlschränke stehen und wo auch ein paar Masi-Bilder an der Fassade hängen, wohnen sie nach wie vor und fühlen sich sehr wohl darin.
Dass man den Eindruck hatte, die beiden seien während Corona und darüber hinaus wie vom Erdboden verschluckt gewesen, hängt natürlich auch mit der eher unorthodoxen Tages- beziehungsweise Nachtzeitgestaltung des Paares zusammen. Denn wie bereits zu «Pizzi»- und Sommerkino-Zeiten pflegen Rita und Masi nach wie vor ein sehr ausgeprägtes Nachtschwärmer-Dasein. Mit anderen Worten: Man hätte den beiden durchaus auch zu Corona-Zeiten ausserhalb ihrer vier Hauswände begegnen können, dies aber vorwiegend spätnachts oder in aller Herrgottsfrühe. «Wir waren eigentlich immer ab und zu unterwegs, aber die meisten Leute haben uns verpasst, weil sie einen ganz anderen Ablauf haben als wir», gibt Masi zu verstehen.
Routinen haben sich verändert
Ihre Vorliebe für die nächtlichen Stunden ist also geblieben. Andere Routinen hingegen haben sich seit oder gerade mit Corona total verändert. Man könnte sagen, dass in dieser Zeit gleich mehrere Ereignisse die Welt von Rita und Masi komplett auf den Kopf gestellt haben. Ein privates, sehr einschneidendes Ereignis war der Tod von Ritas Vater, «Papa Soom». Und mehrere Monate davor hatte sich ja auch noch die Geschichte mit dem La Piazzetta ereignet …
Wir erinnern uns: Wegen Eigenbedarf-Anmeldung der Liegenschaftsbesitzer mussten Rita und Masi im schnuckligen Restaurant, das sie als Wirtepaar während 12 Jahren geführt hatten, auf einmal den Platz freigeben. Es ging um Geld und um Bedingungen, «die wir zu dieser Zeit, in den ersten Monaten der Pandemie, aus wirtschaftlichen Gründen schlichtweg nicht erfüllen konnten», erklärt Masi. Viel mehr können und wollen er und Rita dazu aber nicht sagen – juristisch gesehen wurde in dieser Angelegenheit zwischen den Parteien eine Vereinbarung getroffen.
Welche Hintergründe auch immer dahinterstecken mögen: Schwerwiegend war die Aufgabe des Restaurants allemal. Beide blicken gleichermassen wehmütig auf die Piazzetta-Zeit zurück: «Das Pizzi war für uns wie eine Stube. Du machst etwas und bist zu 100 Prozent überzeugt von dem, was du mit den Menschen teilst. Und dann fällt diese Stube plötzlich weg – und du fragst dich: Was mache ich jetzt?!».
Erst kürzlich ist bekannt geworden, dass die neusten Betreiber des La Piazzetta das Restaurant wegen des Fachkräftemangels nicht mehr in klassischer Weise weiterführen können – sie wollen es vorderhand «nur» noch bei Bedarf und als Eventlokal betreiben. Eine Nachricht, die Rita und Masi – weil sie eine eigene Pizzi-Vergangenheit haben – selbstredend erneut etwas aufgewühlt hat.
Die unschöne Geschichte mit dem Sommerkino
Mit einem Knall endete während Corona auch die andere öffentliche Plattform, auf der Rita und Masi während vieler Jahre – zwanzig, um genau zu sein – präsent waren: Das Sommerkino. Hier sind im Gegensatz zum «Pizzi» etwas mehr Details bekannt geworden: Einige Leute, darunter ehemalige Partner von Rita und Masi, hatten die Nase unter anderem voll davon, dass die beiden wegen Corona bei der Organisation des Sommerkinos 2022 auf die Bremse traten – ein neuer Verein wurde gegründet, ohne Rita und Masi. Dieser Verein hat sich bei den Bewilligungsbehörden letztlich durchgesetzt; er organisierte dieses Jahr, nach 2022, zum zweiten Mal die Langenthaler Kinonächte – mehr oder weniger mit dem gleichen Konzept, das Rita und Masi einst aufgebaut und optimiert hatten. Im Gespräch merkt man, dass die beiden das Thema Sommerkino noch nicht ganz verdaut haben.
Reduzierter und bewusster leben
Mit «Pizzi» und Sommerkino bestritten Rita und Masi als Selbständigerwerbende ihren Lebensunterhalt. Nach den Eklats an beiden Fronten müssen sie den Gürtel heute jedoch enger schnallen. Rita geht aktuell keiner Arbeit im klassischen Sinne nach, unterstützt jedoch Masi bei seinen Projekten, wo sie nur kann. «Wir können glücklicherweise nach wie vor auf sehr viel Unterstützung und Solidarität aus dem Freundes- und Bekanntenkreis zählen», berichtet das Paar, das inzwischen seit über 20 Jahren liiert, aber nicht verheiratet ist. Es kommt nicht selten vor, dass die beiden auf ihren nächtlichen E-Bike-Touren durch den Oberaargau mit Lebensmitteln beschenkt werden – oder, dass ihnen Dinge des tägliche Bedarfs zuhause vor die Tür gelegt werden. «Wir können es kaum fassen, wie gut es die Leute mit uns meinen», schwärmt Rita.
Weiter hätten sie inzwischen einen reduzierten, sehr bewussten Lebensstil kultiviert. Keine Städtereisen und Kurztrips mehr wie früher – Ausflüge werden jetzt in der näheren Umgebung gemacht. Und in Sachen Internetverbindung ist für Rita und Masi neuerdings WLAN Trumpf – von einem fixen Datenvertrag eines Handyanbieters wollen die beiden vorläufig nichts mehr wissen. Weitere Beispiele eines wesentlichen Lebensstils liessen sich ohne weiteres anführen. «Wir beschränken uns inzwischen auf das Nötigste – und es ist uns sehr wohl dabei», sagt Masi, und schenkt sich noch ein bisschen Original-Coca-Cola nach.
Von Patrick Jordi