«Mit dem Flugzeug hätte ich viel verpasst»
Daniel Jenni hat sein Alltagsvelo umgebaut und mit einer Dachkonstruktion und Solarpanels ausgestattet. Mit diesem insgesamt 60 Kilogramm schweren Gefährt hat er am «Suntrip» teilgenommen, einem Rennen, das in Lyon (Frankreich) beginnt und in
Guangzhou (China) endet. Ausgerüstet nur mit dem Nötigsten, darunter einem Zelt zum Schlafen, hat er spannende Begegnungen gemacht und schöne Landschaften kennengelernt.
Heimisbach · 13 500 Kilometer innerhalb von 77 Tagen mit einem elektrisch unterstützten Velo zurücklegen – ein solch ungewohnter Trip bewältigt wohl nur ein ungewöhnlicher Radfahrer. Daniel Jenni ist so einer. Damit konfrontiert lacht er freundlich und, so scheint es, auch ein bisschen verständnisvoll. «Ich bin schon oft gefragt worden, wieso ich mir das angetan habe.» Dabei sei die Antwort einfach zu geben. Er liebt das Velofahren und wollte schon längst einmal das Schwarze Meer umfahren. Als er dann vom sogenannten «Suntrip» gehört hatte, nahm er die Gelegenheit wahr, als er einen Berufswechsel in Erwägung zog. Innerhalb von maximal 100 Tagen sollten die Fahrer die Reise bewältigen, unterstützt werden die Velos einzig mit Akkus, die durch mitgeführte Solarpanels aufgeladen werden. «Ich bereue eigentlich nur etwas: Durch das 100-tägige Zeitlimit hatte ich nicht immer gleich viel Zeit. Oft hätte ich gerne einen anderen Weg genommen, um etwas anzuschauen. Wirklich Zeit hatte ich dafür meist aber nur wenig.» Die Reise selbst habe ihm aber wirklich viel Freude bereitet. Zwar würde er sie kein zweites Mal absolvieren wollen, das erste Mal möchte er aber keinesfalls missen.
Begeistert von Lviv
Am Velo hat Daniel Jenni selbst herumgewerkelt. Sein Alltagsvelo, ein Speedped, besteht komplett aus wiederverwertetem Material, darauf hat er bei seinem letzten Arbeitgeber, der Swiss Urban Bikes in Häusernmoos, einen Dachträger konstruiert, der Solarpanels trägt, die den Akku laden können. Mitgenommen hat er auf seine Reise nur das Nötigste. Einen kleinen Stoffsack mit Werkzeugen und Ersatzteilen, ein Zelt, einen Gaskocher und einen Regenschutz sowie einen zweiten Kleidungssatz – Epoxi, Bindfaden, eine Säge und Aluprofile hat der 30-Jährige dann unterwegs noch eingekauft. Die Reise führte ihn zuerst durch die Schweiz, wo er nach dem Start einen Zwischenhalt einlegte, um die Dachkonstruktion mit einer zweiten Stütze zu verstärken, ehe er via Österreich, wo er ehemalige Studienkollegen traf, nach Ungarn kam und dann in die Ukraine weiterfuhr. Diese hat ihm indes besonders gefallen, vor allem die Stadt Lviv (Lemberg), wo er einen eintägigen Halt einlegte, um die schöne Altstadt zu erkunden. «Es ist gut möglich, dass ich mit meiner Freundin noch einmal dorthin gehe», sagt er heute, weil ihn die Atmosphäre und die sehr offenen Einwohner begeistert haben.
Die Reise ging dann weiter nach Russland, wo er im Nachhinein gerne etwas länger geblieben wäre. Bereits in kurzer Zeit habe er dort viele sehr schöne Plätze gesehen und besucht. Via Kasachstan ging es dann ständig weiter in den Osten, bis die Reise nach rund 10 000 Kilometern in China gipfelte. «Dort habe ich das erste Mal gedacht, dass das Rennen jetzt auch enden dürfte», erinnert sich Daniel Jenni. Es blieben aber noch gut zwei Wochen und hartnäckige 3500 Kilometer im tropischen Südchina. Schwierig war es vor allem auch, weil der Monsun noch nicht vorüber war. Bei bedecktem Himmel und Regenschauern gaben die Panels nicht genügend Energie ab, weshalb der Motor nur noch bei Steigungen im Einsatz war. Ebenfalls nicht besser war es wenige Zeit zuvor in Kasachstan, wo er sogar Temperaturen von über 40 Grad Celsius erlebte und selbst das Berühren von einzelnen Metallteilen am Velo wegen der Hitze Mühe bereitete. Immerhin war dann die Zieleinfahrt in China angenehm, zeigte sich doch dort die Sonne von einer angenehmen Seite, sodass er die letzten 85 Kilometer geniessen konnte.
Erfreuliche Begegnungen
Unterwegs hat Daniel Jenni meist im Zelt übernachtet, nur an einzelnen Orten war er auf die Gastfreundschaft von der Bevölkerung angewiesen. Diese verblüffte ihn aber nicht selten. «Einmal konnten wir zu viert bei einem sehr gläubigen muslimischen Bauern übernachten. Er hat uns bekocht und uns richtig freundlich behandelt.» In Russland habe er einst, wenige Momente nachdem er sein Zelt aufgebaut hat, von einer fremden Frau mit einer Tochter eine warme Mahlzeit serviert erhalten. In Hotels hat er nur einzelne Male in China übernachtet, weil dies nicht anders möglich war. Unterwegs habe er deshalb viele Bekanntschaften geschlossen, einzelne wolle er auch aus der Schweiz weiterhin aufrechterhalten.
Schnelligkeit war kein Thema
Erfahrungen hat er aber nicht nur mit der zwischenmenschlichen Natur gemacht. Gerade zu Beginn seien in China die Kontrollen immens gewesen, phasenweise wurden er und sein holländischer Kollege Dirk richtiggehend eskortiert. «Die meisten Polizisten liessen aber mit sich reden. Dirk hat mir als ehemaliger Polizist mit seiner Lebenserfahrung sehr viel geholfen, ich wiederum half ihm, weil er weder eine Karte noch eine Handy-Navigationsapp bei sich hatte.» Diese Fahrgemeinschaft kam dann letztlich auf dem neunten Platz ins Ziel – die Schnelligkeit sei für ihn aber nie ein Thema gewesen, sagte Daniel Jenni. Zwar wollte er die 100-Tage-Limite einhalten, vielmehr habe er aber zur Freude teilgenommen, während andere Teilnehmer weit mehr Stunden pro Tag unterwegs waren als er. «Alleine waren es meist so zwischen acht und zehn Stunden, gemeinsam mit Dirk waren es dann nur noch deren sechs Stunden Fahrzeit im Schnitt», erinnert sich der in Oberburg aufgewachsene Heimisbacher. Hin und wieder sei dies auch wetterabhängig gewesen, phasenweise sei es wegen dem Wind gar gefährlich geworden, konnte er doch das Velo mitsamt Konstruktion manchmal kaum mehr gerade halten.
Die Teilnahme ist das Highlight
Gerade sein spezielles Velo hat ihm unterwegs immer wieder Türen geöffnet oder lustige Situationen beschert. Vor allem in China sei er sehr beliebt gewesen, täglich mussten er und sein Kollege Dirk mehrmals für Selfies hinhalten. Auch wenn die meisten Einwohner Chinas der englischen Sprache nicht mächtig waren, seien interessante und lustige Gespräche entstanden. Unterwegs habe er für den Organisator dann auch noch einen Zwischenhalt eingelegt, um der örtlichen Presse ein Interview zu geben. Und gerade weil jeder Fahrer getrackt wurde und die Standorte öffentlich einsehbar waren, habe er immer mal wieder auch Sun-Trip-Teilnehmer getroffen. «Ich habe unterwegs enorm viel sehen können. Wäre ich mit dem Flugzeug nach Guanghzou geflogen, hätte ich sehr viel verpasst», sagt Daniel Jenni heute. Die ganze Reise in wenigen Worten zusammenzufassen sei sehr schwierig. Die komplette Teilnahme sei ein wirklich tolles Erlebnis gewesen. «Und nicht zuletzt habe ich den kompletten Weg absolviert und das ist an sich ebenfalls ein ganz spezielles Highlight.» Wieso er sich diese Reise angetan hat, liegt deshalb nach seinen begeisterten Erzählungen immer mehr auf der Hand. Es ist nur verständlich, dass er diese speziellen Erfahrungen auf 13 500 Kilometern in 77 Tagen nicht missen möchte.
Von Leroy Ryser