• Die beiden Bauingenieur-Studenten Pascal Minder (rechts) und Roland Brunschweiler waren an der Betonkanu-Regatta zwar nicht die schnellsten, erhielten für ihr Kanu aber den ersten Nachhaltigkeitspreis. · Bilder: zvg

  • Pascal Minder (links) und Roland Brunschweiler stehen einem Jurymitglied Red und Antwort.

  • Die Testfahrt in einem Weiher auf dem ETH-Gelände.

  • Für das Grundgerüst wurden Stoffstreifen aus Jeans miteinander verwoben.

21.07.2022
Huttwil

Mit einem Kanu aus Altkleidern zum Sieg

Als Bachelorarbeit haben der Huttwiler Pascal Minder und sein Studienkollege Roland Brunschweiler ein Betonkanu aus Altkleidern gebaut und damit an der 18. Betonkanu-Regatta in Brandenburg (D) den ersten Nachhaltigkeitspreis gewonnen.

Pascal Minder sitzt am Esstisch in der Wohnung seiner Eltern. Auf der Tischplatte steht ein kleines Kanu aus Beton. «Das ist das Miniaturmodell unserer Bachelorarbeit im Massstab 1:10», erklärt er stolz. Ein Semester lang hatten die beiden angehenden Bauingenieure Pascal Minder und Roland Brunschweiler Zeit, im Zuge ihrer Bachelorarbeit ein Betonkanu zu bauen. Den Anstoss, ein Betonkanu aus Altkleidern zu entwerfen, brachte letztlich eine Reportage des Schweizer Fernsehens, welche die Problematik der enormen Altkleidermengen, die in guter Absicht als Spende an die Entwicklungsländer geschickt werden, dokumentierte.
So werden beispielsweise in Ghana täglich 70 Tonnen Textilien angeliefert. Doch die Mengen sind zu gross und landen vielfach im Meer oder werden verbrannt. Diese Tatsache und die Tatsache, dass die Bauindustrie zu viel CO2 ausstösst, wollten die beiden Studienfreunde schliesslich in ihrem Projekt verbinden. Die Thematik Nachhaltigkeit stand nun also im Vordergrund.
Die Umsetzung war jedoch alles andere als einfach. Noch nie zuvor hatte jemand eine solche Idee verwirklicht. Erfahrungswerte waren keine vorhanden. Zwar hatten Pascal Minder und Roland Brunschweiler Berechnungen vorgenommen, doch liess sich die Theorie auch in der Praxis umsetzen? Viele Fragen blieben offen. Wie verhält sich der Beton, wenn man anstelle des Stahls zur Widerstandsfähigkeit Stoff einsetzt und kann man den Stoff genügend stark vorspannen? Wird sich der Beton mit dem Stoff gut verbinden und – überhaupt – wie trägt man den Beton auf den Stoff auf, sodass er hält und welche Mischung ist dazu ideal? Fragen über Fragen, welche auf ihre Funktionalität hin getestet werden mussten. Nur wenig mehr als zwei Monate blieben den beiden Studenten für die Planung, danach musste mit dem Bau des Kanus begonnen werden, wenn sie rechtzeitig zur 18. Beton-kanu-Regatta in Brandenburg (D) fertig werden wollten.

80 Prozent CO2 eingespart
Im Sinne eines nachhaltigen Materialkreislaufes wurde für das Kanu auch nachhaltig produzierter Beton verwendet und mit Pflanzenkohle vermischt. Dies bewirkte, dass das darin enthaltende CO2 nicht mehr entweichen konnte. Mit diesem technischen Konzept ist es den jungen Ingenieuren gelungen, rund 80 Prozent CO2 gegenüber einem herkömmlichen Betonkanu einzusparen. Während des Baus wurde anstelle einer Schalung ein Rahmen gefertigt, der nach der Fertigstellung des Kanus zum Beispiel als Wikinger Schach (ein Outdoor-Spiel) weiterverwertet werden kann. Auch über die Weiterverwendung des Betonkanus nach der Regatta machten sich die beiden Studienkollegen bereits Gedanken. «Die erste Idee, das Boot als Blumentopf zu nutzen, war uns zu langweilig. Wir möchten viel lieber, dass es als Bienenhotel oder zumindest als Überdachung eines Bienenhotels genutzt wird», so Pascal Minder. Doch noch wurde für das vier Meter lange, 70 Zentimeter breite und 107 Kilogramm schwere Kanu kein geeigneter Platz gefunden.

Das Kanu entsteht
Das Besondere am Betonkanu von Pascal Minder und Roland Brunschweiler ist das Grundgerüst aus Altkleidern. «Wir haben zuerst Stoffstreifen aus Jeans miteinander verwoben und so straff wie möglich in den Holzrahmen eingespannt», erklärt Pascal Minder. Danach wurden aussen mit einem Pinsel drei Lagen Beton aufgetragen und im Innern Löcher geflickt, welche durch die Dehnung des Stoffes entstanden sind. Anschliessend wurden in Beton getauchte T-Shirts an das Boot geklebt und zuletzt das Beton-Pflanzenkohle-Gemisch im Inneren des Bootes verteilt, um eine genügend dicke Schicht zu erhalten, welche das Boot zusammenhält.
Eine Woche vor der Regatta stand die Feuertaufe an. Auf einem Weiher der ETH wurde das Kanu zu Wasser gelassen. Die Nervosität war gross. Schwimmt das Kanu überhaupt und wird es die beiden Männer darin auch aushalten oder würde es in der Mitte auseinanderbrechen? «Wir mussten feststellen, dass es noch ziemlich undicht war», erzählt Pascal Minder lachend. Also wieder zurück in die Werkstatt und nochmals eine in Beton getränkte Schicht T-Shirts über die Aussenseite legen und wieder trocknen lassen. Die Zeit für einen weiteren Testversuch reichte nicht mehr aus. Das Betonkanu aus Altkleidern wurde verladen und nach Brandenburg gebracht. Die Anspannung war gross. Hält das Kanu oder lässt es noch immer Wasser durch? «Wir hatten Glück und das Betonkanu hat gehalten», verkündet Pascal Minder stolz.

Erster Preis für Nachhaltigkeit
Erstmals wurde an der 18. Betonkanu-Regatta in Brandenburg, bei der auch die ETH Zürich traditionsgemäss seit Jahren teilnimmt, einen Preis für eine besonders nachhaltige Bootskonstruktion vergeben. Pascal Minder und Roland Brunschweiler überzeugten die Jury mit ihrem Kanu «TruchETH» (truchet ist rätoromanisch und bedeutet Bienenhaus), mit den vorgespannten Alttextilien als Bewehrung und einer CO2-optimierten Betonzusammensetzung sowie der geplanten Nachnutzung als Bienenhotel und erhielten den ersten Preis. Neben diesem ehrenvollen Preis gab es sieben weitere Bewertungskategorien: «Schnellstes Team», «Konstruktion», «Gestaltung», «Offene Klasse», «Leichtestes Kanu» und «Schwerstes Kanu». Zusätzlich geehrt wurde die Mannschaft mit der besten Social-Media-Präsenz sowie das Team, welches während der Regatta am meisten Pech hatte. Es bekam einen Trostpreis. An der Betonkanu-Regatta treten jeweils Studierende aus ganz Europa gegeneinander an. Dieses Jahr waren es 80 Teams aus 30 Institutionen.

Von Marion Heiniger