• Der Huttwiler Marcel Sommer mit «seinem» ganz speziellen Sturmgewehr 57 und der umgehängten SM-Goldmedaille vor seinem Kranzkasten daheim an der Hofmattstrasse. · Bild: Stefan Leuenberger

20.09.2022
Sport

Mit Einzel-SM-Gold am Gipfel angelangt

Nach einem hochdramatischen, weil extrem spannenden Wettkampf, holt sich der Huttwiler Marcel Sommer den Schweizer Meistertitel mit dem Sturmgewehr 57. Es ist der bislang grösste Erfolg des 37-jährigen Mitglieds der Feldschützen Häbernbad.

Schiessen · Noch nie in der 122-jährigen Geschichte der äusserst erfolgreichen Feldschützen Häbernbad konnte der Verein einen Schweizer Meister in den Einzeldisziplinen feiern. Und nun passierte dies an der SM 2022 in Thun ausgerechnet in der prestigeträchtigsten 300 m-Kategorie. Beim Sturmgewehr 57 ist die Dichte an absoluten Schweizer Spitzenschützen am grössten.

Der grösste Erfolg
«Es ist mein grösster Erfolg, keine Frage. Es ist in den nichtolympischen Disziplinen der höchstmögliche Titel, denn man in der Schweiz gewinnen kann», sagt der 37-Jährige, der seit 21 Jahren den Schiesssport ausübt. Es ist die zweite Einzelmedaille an Schweizer Meisterschaften für Marcel Sommer. 2015 hatte er bereits Bronze gewonnen, damals mit dem Sturmgewehr 90. Seit vielen Jahren gehört der Blumenstädter zu den erfolgreichsten Schützen der Region. Zu seinen grössten Erfolgen gehören die zwei Medaillen in der Schweizer Gruppenmeisterschaft 300 m. 2006 konnte Sommer mit dem Quintett der Feldschützen Häbernbad im Feld D (alle Ordonnanzwaffen) in Zürich sogar den Schweizer Meistertitel gewinnen. 2021 kam in Emmen im Feld E (Sturmgewehr 90 und Karabiner) eine Silbermedaille hinzu. «Zu den grössten Erfolgen in der Gruppe zähle ich auch die Bronzemedaille mit dem Berner Team am Ständematch 2021 des Eidgenössischen Schützenfests in Luzern, wo wir mit dem Ordonnanz-Gewehr 300 m liegend die Bronzemedaille gewannen», berichtet Marcel Sommer. Neben dem Schützenkönigsausstich ist der Eidgenössische Ständematch jeweils der zweite grosse Höhepunkt am nur alle fünf Jahre stattfindenden Eidgenössischen Schützenfest. «Für mich war es nach den knallharten Selektionen schon ein Erfolg, es überhaupt ins Berner Team geschafft zu haben. Und dann war ich beim Bronzegewinn sogar der Teambeste.» Und da ist da noch Sommers Grosserfolg vom Jahr 2010. Am Eidgenössischen Schützenfest in Aarau konnte sich der dreifache Familienvater gegen 3024 Konkurrenten durchsetzen und das prestigeträchtige Eröffnungsschiessen gewinnen.

Eigentlich ein Wunder
Der Einzel-SM-Titel 2022 überstrahlt aber alles. Und er ist alles andere als selbstverständlich. Im Fall von Marcel Sommer eigentlich sogar ein kleines Wunder. «Ich bin so dankbar, dies erleben zu dürfen», bestätigt Sommer. Im vergangenen November erlitt der Huttwiler Gemeinderat einen Hirnschlag. «Die rechte Seite meines Körpers war gelähmt und ich konnte nicht mehr sprechen», erinnert sich Sommer. «Nur mit ganz viel Glück und der sofortigen Hilfe meiner Frau habe ich diesen Zwischenfall so glimpflich überstanden.» Nicht einmal ein Jahr später den grössten Erfolg seiner Karriere feiern zu dürfen, sei ein unglaubliches Geschenk. «Mir geht es wieder ausgezeichnet.» Schwächen hätte Marcel Sommer am SM-Wettkampf, bei welchem er vom Vereinskollegen Andreas Mathys betreut wurde, aber auch keine zeigen dürfen. «Es war der spannendste und nervenaufreibendste Wettkampf, den ich je erlebt habe», bestätigt der langjährige Unihockeyspieler beim UHC Black Creek Schwarzenbach. Doch gerade die Nervenstärke ist einer der grossen Trümpfe des Huttwilers.

Was für ein Wellenbad der Gefühle
Beim Liegendmatch mit dem Sturmgewehr 57 mussten in 75 Minuten 60 Schuss (sechs Serien à zehn Schuss) abgegeben werden. Im Gegensatz zu den meisten Spitzenschützen, welche das Programm am Stück durchziehen, ist das Häbernbad-Aushängeschild mental so stark, dass ein Unterbruch im Programm kein Problem darstellt. «Ich bin einer, der gerne schaut, was die Konkurrenz macht – und dann ein bisschen rechnet.» Dies war an der SM problemlos möglich, weil auf zahlreichen Bildschirmen die Resultate aller Finalisten fortlaufend gezeigt und das Total aufgerechnet wurde. Nach einem glänzenden Start vergab Sommer in den Schüssen 27 bis 30 gleich fünf Punkte. Er stand auf und machte eine elfminütige Pause. «Doch es kam nicht besser.» In den drei ersten Schüssen der vierten Passe liess der Huttwiler wieder vier Punkte liegen. «Ich dachte, dass es dies war mit den Medaillenträumen, weil ich ja genau über die Resultate der Konkurrenz, die zu diesem Zeitpunkt grösstenteils schon fertig geschossen hatte, Bescheid wusste.» Marcel Sommer war auf den 10. Zwischenrang zurückgefallen. Niemand nahm mehr Notiz vom Huttwiler. Dieser lief aber nun zur Hochform auf. In den verbleibenden 27 Schüssen leuchte 20 Mal die Maximalpunktzahl 10 auf.

Mit dem letzten Schuss zu Gold
Doch die geschossenen Acht und Neun mit dem viert- und zweitletzten Schuss erzeugten dann einen unglaublichen Druck. Marcel Sommer wusste, dass im allerletzten Schuss eine 10 nötig ist, um das Podest erreichen zu können. «Als die 10 aufleuchtete, fiel mir ein grosser Stein vom Herzen», lacht Sommer. «Obwohl mir klar war, dass ich nun einen Punkt vor dem Kronfavoriten Norbert Caviezel lag, wusste ich noch nicht, dass es ganz nach oben gereicht hatte», sagt Sommer. Weil die nach fünf Passen meilenweit in Führung liegende Bruggerin Silvia Plaz in der letzten Zehnerserie grob patzte, lag Sommer am Ende einen Punkt vor ihr. Der elf Jahr jüngere Mauro Ardüser aus dem Graubünden hatte wie der Huttwiler am Ende der 60 Schüsse 573 Punkte auf dem Konto. Die Anzahl Mouchen – Innenzehner benannt – musste entscheiden. Marcel Sommer schoss mit dem allerletzten Schuss nicht nur eine 10, nein, eben auch noch seine 15. Mouche in diesem Wettkampf. Und diese sollte das Zünglein an der Waage spielen. Mauro Ardüser schaffte 14 Innenzehner, Sommer – dank seinem finalen Schuss – deren 15 Stück. Wahnsinn: Ein Innenzehner entschied über den Schweizer Meistertitel. «Ich fragte nach meinem letzten Schuss gebannt, ob es zu einer Medaille gereicht hat. Ich konnte es nicht fassen, als mir mitgeteilt wurde, dass es ganz nach vorne gereicht hat.» Der Huttwiler bewies in diesem Hitchcock-Final einmal mehr eiserne Nerven. «Es gehört auch eine grosse Portion Glück dazu», meint Sommer bescheiden. Nach seinem Husarenstreich ging die Post ab. «Vor allem auf den sozialen Medien wurde ich mit Glückwünschen bombardiert, was mich sehr gefreut hat.» Und der Erfolg sprengt sogar Barrieren. Nicht nur die Feldschützen Häbernbad erfreuen sich am Schützenmeister aus dem Huttu-Städtli. «Auch von den Sportschützen Huttwil und umliegenden Schützenvereinen erhielt ich viele schöne Nachrichten», sagt Marcel Sommer. «Speziell gefreut hat mich das Banner von meiner Familie am Haus daheim.»

SM-Titel wird Max Büchler und Jürg Röthlisberger gewidmet
Marcel Sommer widmet seinen Grosserfolg zwei Personen. Der eigentliche Sturmgewehr 90-Schütze entschloss sich erst vor zwei Jahren, auf das Sturmgewehr 57 umzusteigen. Alles war mit diesem Sportgerät neu für Sommer. «Mein Schützenkollege Max Büchler hat mir in bloss eineinhalb Jahren alles gezeigt. Er war mein grosser 57-er-Mentor. Leider ist er kurz vor meinem Triumph wegen einer Krankheit verstorben.» Berührend ist auch die Tatsache, dass Marcel Sommer den grössten Erfolg der Feldschützen Häbernbad mit dem Sturmgewehr des auf tragische Weise verstorbenen Jürg Röthlisberger erzielte. «Jürgs Frau Christa hat mir das Gewehr anvertraut. Es macht mich unglaublich stolz, mit seinem perfekt umgerüsteten 57-er-Sturmgewehr Gold geholt zu haben», erzählt Sommer. Zusammen mit Jürg Röthlisberger hatte Marcel Sommer 2006 den SM-Titel am GM-Final geholt.

Noch einige Ziele im Kopf
Mit dem Einzel-SM-Titel ist Marcel Sommer – genau 20 Jahre nach seinem ersten Kranzgewinn am Luzerner Kantonalschützenfest in Willisau – im hobbymässigen Schiesssport am Gipfel angelangt. Zeit zum aufhören? «Auf keinen Fall. Ich möchte mein Niveau halten und weitere Ziele anstreben», blickt Sommer voraus. Einmal am Feldschiessen das Maximum zu erzielen – bisher schaffte er 71 Punkte – sei ein reizvolles Ziel. «Ich habe aber auch den Schützenkönig – egal mit welchem Sturmgewehr – im Kopf.» Bisher ist der 10. Rang am «Eidgenössischen» in Luzern – Sommer verpasste den Königsausstich der Top-8 hauchdünn – das Höchste der Gefühle. Am wichtigsten ist dem Huttwiler aktuell aber die Häbernbad-Gruppe. Dort ist es zu einem Generationenwechsel gekommen. Die 89-jährige Huttwiler Schiesslegende Rudolf Steffen hat seinen Teamplatz dem 17-jährigen Lukas Köchli übertragen. «Mit diesem ungeschliffenen Diamanten möchten wir in Zukunft einige Erfolge feiern», gibt Sommer unmissverständlich bekannt. Die Häbernbad-Gruppe im Feld E (Sturmgewehr 90/Karabiner nicht mehr erlaubt) besteht neu aus Marcel und Stefan Sommer, Philipp Fiechter, Bruno Güdel und eben der Nachwuchshoffnung Lukas Köchli. «Es motiviert mich, diesem Talent etwas von meinem Wissen mitgeben zu können», schliesst Marcel Sommer.
Auszug aus der Rangliste: Sturmgewehr 57, Liegendmatch Elite/Senioren (57 Klassierte): 1. Marcel Sommer, Huttwil, 573 Punkte (15 Innenzehner); 2. Mauro Ardüser, Tumegl/Tomils, 573 (14); 3. Silvia Plaz, Brugg, 572 (16); 4. Norbert Caviezel, Chur, 572 (11); 5. Tarcisi Cadruvi, Ruschein, 569. – Sturmgewehr 90, 2-Stellung (58): 1. Norbert Caviezel, Chur, 553; 8. Martin Schär, Untersteckholz, 541. – Sturmgewehr 578 60PRV Individual (56): 1. Peter Steiger, Dörflingen, 584; 47. Ezio Cescato, Lotzwil, 543; 53. Walter Roth, Melchnau, 530. – Sturmgewehr 90, Liegendmatch Individual (57): 1. Hanspeter Schöpfer, Schüpfheim, 571; 18. Marcel Sommer, Huttwil, 558; 29. Enzo Vasco Filippone, Ramsei, 552; 46. Urs Horisberger, Grünenmatt, 545. – 50 m Gewehr, Liegendmatch Veteranen (40): 1. Hans Hübscher, Brüttelen, 618,9; 16. Peter Stalder, Sportschützen Lotzwil-Langenthal, 603,6. – 50 m Pistole, Männer/Frauen Individual (38): 1. Jason Solari, Malvaglia, 557; 22. Daniel Lüscher, Langenthal, 501. – 25 m Sportpistole, Männer Individual (38): 1. Adrian Schaub, Zunzgen, 579; 8. Christof Gerber, Gondiswil, 570. – 25 m Ordonnanzpistole, Individual (34): 1. Mathis Gerber, Stadtschützen Langenthal, 563; 2. Thomas Huber, Oberhasli, 556; 3. Patrick Huber, Otelfingen, 549. – 25 m Schnellfeuerpistole, Männer/Junioren U19 bis U21 (13): 1. Joel Kym, Diegten, 569; 8. Janis Wisler, Sumiswald, 506. – 25 m Sportpistole, Juniorinnen U19 bis U21 (19): 1. Alice Ambrosini, Grolley, 562; 15. Nathalie Krieg, Ochlenberg, 504. – 25 m Sportpistole, Junioren U19 bis U21 Individual (20): 1. Lukas Durrer, Kägiswil, 564; 6. Janis Wisler, Sumiswald, 546. Feldstich-Final, Möhlin (4.9.)
Auszug aus der Rangliste: G300 Elite (241 Klassierte): 1. Alessandro Rota, Bregaglia, 143; 25. Martin Müller, SG Melchnau, 69; 63. Martin Held, SG Melchnau, 68; 133. Matthias Wittwer, SV Ursenbach, 66; 155. Martin Schär, SG Melchnau, 65. – P25 Elite (34):1. Janick Hüppi, Pfäffikon, 358; 2. Beat Schmitt, Langendorf, 357; 3. Mathis Gerber, Stadtschützen Langenthal, 356; 12. Hans-Rudolf Schneider, Hasle-Rüegsau, 177; 26. Patrick Arnoud Frederik Roos, Stadtschützen Langenthal, 174.

Von Stefan Leuenberger