Mit Kleiderempfehlungen einen Shitstorm ausgelöst
In den letzten Tagen war das Langenthaler Gymnasium in den Medien omnipräsent. Eine Aufforderung an die Mädchen der Schule, sie sollen sich angemessen kleiden, warf grosse Wellen. Das grösste Problem: Kunz hat sich lediglich an das weibliche Geschlecht gewandt. Die eigentliche Botschaft ist längst in den Hintergrund gerückt.
Mit einem E-Mail hat Barbara Kunz, Rektorin vom Gymnasium Oberaargau, in den letzten Tagen ein gewaltiges Medienecho entfacht. Darin empfahl die Gondiswilerin ihren Schülerinnen, sich auch im Sommer angemessen zu kleiden. «Es ist uns aufgefallen, dass jetzt in der wärmeren Jahreszeit Einblicke gewährt werden, die wir lieber vermeiden möchten», steht in dieser elektronischen Nachricht geschrieben. Des weiteren werden sogenannte «No-Gos» aufgelistet, sprich Dinge, die kleidungstechnisch zu unterlassen seien. Beispielsweise durchsichtige, trägerlose oder bauchfreie Oberteile, die zu tiefe Einblicke gewähren, sexistische oder gewaltverherrlichende Aufdrucke auf Shirts oder knappe Kleider, die Hintern und Unterhosen permanent offenlegen. Schliesslich sei eine Schule keine Badeanstalt, wurde angefügt.
Weil diese Empfehlung nur an die Schülerinnen und nicht auch an die Schüler gerichtet war, nahm die Schweizer Gratiszeitung «20 Minuten» dies zum Anlass, eine Genderdebatte loszutreten, welche ein gewaltiges Echo auf der eigenen Internetseite und in der Schweizer Medienlandschaft entfachte.
Nach und nach folgten Artikel mit Stimmen von betroffenen Schülerinnen, Seiten mit herausgefilterten, angriffigen Leserkommentaren und zahlreiche Berichte auf Internetseiten, in Radios und gar auf Fernsehsendern, bis der Oberaargauer Gymer am Montagabend gezwungen war, eine Pressekonferenz einzuberufen.
Der allgemeine Tenor: Mädchen wurden diskriminiert, in ihrer Selbstbestimmung beraubt und unnötig unfair angegangen. Einerseits müssten Vorschriften oder Empfehlungen Gender-Neutral gelten und andererseits seien Männer, so beispielsweise Juso-Chefin Tamara Funicello gegenüber «20 Minuten», «keine hormongesteuerte Monster, die sich bei drei Zentimetern nackter Haut nicht mehr beherrschen können.» Das eigentliche Problem – unangebrachte Kleidung in Schulen – rückt aufgrund der unglücklichen Kommunikationsweise der Rektorin prompt in den Hintergrund.
Kein Problem in ländlichen Gebieten
Während an den Oberstufen in ländlicheren Gebieten des «Unter-Emmentalers» keine derartigen Probleme bestehen, kann sich Huttwils Gesamtschulleiter Pierre Zesiger an eine ähnliche Situation erinnern, die er als Rektor in Winterthur erlebte.
«Damals mussten wir im 10. Schuljahr Vorschriften erlassen, weil es Mädchen und Jungen konstant übertrieben haben», erklärt Zesiger. Während Männer die Hosen zu tief trugen, um ihre «Calvin-Klein-Unterhosen» zu präsentieren, liessen die Mädchen zu tief blicken. An der Huttwiler Schule sei man von solchen Problemen aber weit entfernt. «Wir haben nicht einmal Empfehlungen. Es ist aber auch kein Thema und deshalb besteht auch kein Handlungsbedarf.»
Gleiches gilt an der Oberstufe in Sumiswald, Gesamtschulleiter Martin Kästli bestätigt dies gegenüber dem «Unter-Emmentaler».
Lediglich in Kleindietwil entstehen hin und wieder Situationen, die zum Handeln zwingen. Am Oberstufenzentrum sind Lehrer befugt, Schülerinnen und Schüler bei unangemessener Bekleidung nach Hause zu schicken. «Gibt es Probleme, wenden wir uns direkt an jene Schüler», erklärt Bernhard Bühler, Schulleiter vom Oberstufenzentrum Kleindietwil. «Da es meistens aber nicht einen grossen Teil betrifft, waren allgemeine Vorschriften oder Empfehlungen bisher noch nicht nötig.»
In einzelnen Klassenzimmern hängen dennoch ähnliche Empfehlungen, wie sie vom Gymnasium Oberaargau nun herausgegeben wurden.
Verfehlungen kommen vor
Dass es ab und zu nötig ist einzugreifen, bestätigt auch Thomas Zaugg. Er ist Rektor der Langenthaler Berufsfachschulen, welche direkt gegenüber dem Gymnasium beheimatet sind. «Es kommt vor, dass sich Schülerinnen und Schüler nicht an Vorgaben halten. Und dann braucht es manchmal eine grundsätzliche Reaktion, wie dies beim Gymnasium der Fall war.»
An der Berufsfachschule sind Lehrer angewiesen, ebenfalls entsprechend zu handeln. «Wir informieren unsere Lehrer über unsere Empfehlungen in Sachen Bekleidung. Bei einem deutlichen Verstoss sind sie angehalten, direkt mit der fehlbaren Person zu sprechen.» Allgemein gilt an der Berufsfachschule laut Thomas Zaugg deshalb: «Wir verhüllen uns nicht – beispielsweise mit Kapuzen – wir präsentieren keine Gewalt auf Shirts und wir zeigen nicht zu viel Haut.» Eine strikte Vorschrift sei dies aber nicht, sondern ebenfalls eine Empfehlung.
Plakate, Interviews, Entrüstung
Beim Gymnasium Oberaargau hat sich der Medienansturm lange hingezogen. Zuerst hängten Schülerinnen auf Toiletten Plakate mit einer Protestschrift auf. «Anstatt Mädchen wegen ihres Körpers anzuprangern, solltet ihr den Jungs beibringen, dass Mädchen keine Sexobjekte sind», steht unter anderem geschrieben. Mädchen, die sich in ihrem Körper wohlfühlen, sollen sich kleiden dürfen, wie sie wollen, fordern die anonymen Protestanten. Danach machte 20 Minuten Video-Interviews mit Schülerinnen, die sich diskriminiert fühlten und sich gehörig aufregten, und zuletzt hängte auch noch die Juso Oberaargau A4-Blätter auf dem Areal auf, in denen sie den Schülerinnen ihre Unterstützung zusagten. Die Aufforderung der Schulleitung sei ein Eingriff in die Selbstbestimmung von Frauen. «Besonders stossend ist», schreibt die Juso, «dass die Kleiderempfehlung von einem deutschen Gymnasium kopiert wurde. Im Gegensatz zu diesem aber die Kleiderempfehlung für männliche Schüler (...) komplett weggelassen wurde.»
Zuletzt fordert die Juso zum aktiven Mitmachen in der eigenen Partei auf, um sich gegen «kleinkariertes Denken» zu wehren.
Griff in ein Wespennest
Deshalb überrascht es nicht, dass Barbara Kunz im Nachhinein wohl anders kommunizieren würde. Ein solches Medienecho sei nie das Ziel gewesen, so die Rektorin. Weil es entsprechende Übertretungen in den letzten Jahren gab, war es aber nicht die Idee, die Augen zu verschliessen und wegzuschauen. «Mädchen persönlich anzusprechen ist aber für männliche Lehrpersonen heikel. Man bestätigt damit, dass man hingeschaut hat, und auch das könnte gewaltige Reaktionen auslösen. Auf diese anonyme, allgemeine Art habe ich auch versucht, unsere Lehrer zu schützen», begründet Barbara Kunz. Ob die Form der Kommunikation richtig gewesen sei, lässt sie derweil offen. Diese Empfehlungen über die Lehrpersonen zu kommunizieren hätte länger gedauert, ausserdem wären wohl auch im Kollegium die Meinungen auseinandergegangen. «Die richtige Lösung habe ich im Moment nicht. Aber wer in ein Wespennest sticht, muss sowieso mit Reaktionen rechnen.»
Dass diese derart übertrieben ausfielen, war dennoch nicht zu erwarten, weil eigentlich «kaum Fleisch am Knochen vorhanden war» und das Thema vor allem aufgeputscht wurde.
Auch wenn die Resultate dieser Aktion und das weitere Vorgehen erst nächste Woche diskutiert werden, dürfte die präventive Empfehlung durch die wuchtigen Reaktionen ihre Wirkung verfehlt haben. Immerhin gab es neben dem mächtigen Medien-Shitstorm mit unzähligen Hass-Kommentaren auf Online-Medien auch positive Reaktionen.
Unter anderem lobten Eltern die Handlungsweise, schriftlich wie auch telefonisch. «Jene, die über das eigentliche Thema diskutiert haben, haben uns auch in Online-Medien unterstützt. Jene aber, die über Gleichberechtigung diskutierten, übten eher Kritik», fasst Barbara Kunz ihre Erkenntnisse zusammen. Mittlerweile legt sich das Medienecho langsam aber sicher, sodass das Gymnasium die letzte Prüfungswoche mitsamt Abschlussfeiern am Freitag wohl doch noch in Ruhe beenden kann. Wahrlich dürfte die diesjährige Prüfungszeit dennoch nicht so schnell in Vergessenheit geraten.
Von Leroy Ryser