• Gian Kämpf (Geschäftsleitungsmitglied, von links), Franziska Fust (Bauleiterin), Tom Rickli (Geschäftsleitungsmitglied) und Nick Fankhauser (Projektentwickler) am Ort der neuen Büroräumlichkeiten von Ducksch und Anliker. Diese wollen sie mit ihren rund 50 Mitarbeitern im Herbst beziehen. · Bilder: Leroy Ryser

  • Interessenten an den freien Gewerbeflächen sind bereits zahlreich vorhanden. · Bild: zvg

  • Aktuell dominiert auf dem mittlerweile aufgeräumten Areal vielerorts eine Leere.

  • Die «Porzi» von oben: Trotz diverser Anbauten ist das «H» mit den beiden langgezogenen Produktionshallen gut zu erkennen. · Archivbild: Thomas Peter

  • Die schützenswerte Ofenhalle (rechts) ist insbesondere von Aussen markant.

20.05.2021
Langenthal

Mit Pioniergeist, Innovation und einer Portion Respekt vor der Geschichte

Schritt für Schritt soll im Porzi-Areal wieder Leben einkehren. Bereits jetzt wird deshalb fleissig renoviert und saniert, damit mit der Ducksch Anliker Gruppe schon im Herbst ein erster neuer Grossmieter seinen neuen Firmensitz vor Ort beziehen kann. In den nächsten Jahren wird dann in mehreren Teilschritten ein neues Sub-Zentrum in Langenthal entstehen, welches als eigenes Ökosystem funktionieren soll. Auf der rund 29 000 Quadratmeter grossen Grundfläche dürfte dereinst alles möglich sein: Arbeiten, Einkaufen, Wohnen – und Geniessen.

Im Jahr 1906 wurde in Langenthal die Porzellanfabrik erbaut. Damals hatte man im Oberaargau noch keine Kompetenzen was das Fertigen von Porzellan angeht, weshalb zahlreiche Böhmer herreisten und vor Ort für einen Know-How-Transfer sorgten. Bald schon war Langenthal weitum bekannt. Wegen der Anbindung ans Bahnnetz siedelten sich grosse Firmen an, welche den Namen des Oberaargauer Städtchens weit hinaustrugen. Neben der Porzellanfabrik gehören da beispielsweise auch die Ammann Schweiz AG oder die Lantal dazu, nicht zuletzt auch dank guten Schulen wuchs das Zentrum des Oberaargaus besonders rasch. Im heute «Langenthal Süd» genannten Gebiet entstanden parallel zu diesem städtischen Wachstum über die Jahre hinweg grosse Bauten mit langgezogenen Indus­trie- und Lagerhallen, die in den besten Jahren rund 1200 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz boten. Dominant ist architektonisch gesehen noch heute das «H», welches das Grundelement der Fabrikationshalle auf mehreren Stockwerken darstellt. Mittlerweile sind zahlreiche Bauten, beispielsweise die Direktorenvilla am Eingang oder ein Verwaltungsgebäude, drumherum entstanden.
Von der damaligen Blütezeit ist heute nicht mehr viel zu sehen. Um die Jahrtausendwende hat es die Porzellanfabrik verpasst, die entscheidenden Schritte einzuleiten, um auch in der heutigen Zeit erfolgreich zu sein.
Entsprechend zerscherbelte das Langenthaler Porzellan wirtschaftlich gesehen schrittweise. Die Produktion und die Immobilien wurden getrennt und an verschiedene Orte verkauft. Die Produktion des Porzellans wird noch heute in Tschechien betrieben, einzelne wenige Aufgaben wie Distribution und Lagerung finden noch in Langenthal statt. Die Immobilie wurde derweil an einen spanischen Investor verkauft, der das Areal lange Zeit mehr oder weniger unbeachtet liess. Weil er dieses aber im Jahr 2017 nach Langenthal zurückverkaufte, soll nun bald schon ein frischer Wind auf dem Areal wehen.

Vieles war unbekannt
Vorerst fehlt dieser frische Wind noch. Er deutet sich eher langsam an, weil in einzelnen Räumen gebohrt, gefräst, gestrichen und somit erneuert wird. Allgemein dominiert aber vielerorts noch eine Leere – und in (mittlerweile wenigen) einzelnen Fällen noch eine Unordnung. Das habe sich massiv gebessert, weiss Gian Kämpf, Geschäftsleitungsmitglied der Ducksch Anliker Gruppe, ihres Zeichens Inhaberin vom grössten Teil des Porzi-Areals. «Vieles war hier sehr verstrickt. Mieter hatten Untermieter und diese manchmal sogar auch noch wieder Untermieter. Auf diversen Flächen wussten wir nicht einmal, wer eingemietet ist und wer die Räume tatsächlich braucht.» Entsprechend wurden die Flächen vielerorts auch als «Lager- und Grümpelfläche» genutzt, weshalb sich über die lange Zeit hinweg einiges an Material angestaut hatte. Wochen, ja gar Monate habe man gebraucht, um Aufräumarbeiten zu leisten und die Flächen frei zu kriegen. «Allgemein wussten wir zu Beginn sehr wenig über das ganze Areal und mussten beispielsweise erst einmal überprüfen, wo die einzelnen Stromanschlüsse sind», erinnert sich Tom Rickli, ebenfalls Geschäftsleitungsmitglied der Ducksch Anliker Gruppe.
Schon etwas vorher startete derweil auch der politische Prozess. Weil dieses Sub-Zentrum für die Stadt wichtig ist, musste eine Testplanung aus­gearbeitet werden, welche die Möglichkeiten im Porzi-Areal skizzierte, auf mehreren Dokumenten musste die Ducksch Anliker Gruppe zudem ihre Absichten für und mit dem Areal erklären. Entstanden ist eine Vision, die dereinst verwirklicht sein soll. «Auf dem heutigen Fabrikgelände soll ein ortsspezifischer Nutzungsmix aus Arbeiten, Einkaufen und Wohnen entstehen, welcher auf der gewachsenen historischen Bausubstanz aufbaut», steht im offiziellen Dokument der Testplanung geschrieben, weiter soll das Porzi-Areal von seiner Diversität und Geschichte leben. Oder in anderen Worten: Mit der Entwicklung sollen Erneuerungen vorangetrieben werden, welche mit der Tradition und der Geschichte dieses Areals Hand in Hand gehen.

Noch ein weiter Weg
Für die Inhaberin des grössten Teils dieses Gebietes, die Ducksch Anliker Gruppe, ist dies eine grosse Herausforderung. Entsprechend ständig ist sie im Austausch mit der Denkmalpflege. Beispielsweise die von aussen einfach erkennbare Ofenhalle (siehe Bild unten rechts), in welcher früher Porzellan gebrannt wurde, ist stufenmässig ähnlich schützenswert wie das Schweizer Bundeshaus und darf entsprechend höchstens moderat erneuert werden. Auch wurde beispielsweise auf politischer Ebene Kritik geäussert. Die in der Testplanung vor­gesehenen zwei Hochhäuser mit 45 Metern Höhe sind vielen ein Dorn im Auge, dazu gehört auch der Porzi-Verein, der sich für den Erhalt des Areals auf politischer Ebene engagieren will. Tom Rickli relativiert jedoch: «Das Resultat der Testplanungsphase zeigt auf, wie das Areal in 40 Jahren aussehen könnte. Ob es dann auch wirklich so aussehen wird, wissen wir heute nicht.» In dieser Zeit werde sich Langenthal weiterentwickeln, dementsprechend verändern sich Trends und Bedürfnisse. «In 20 Jahren wissen wir nicht, wie der Leerwohnungsbestand im Oberaargau aussehen wird. Entsprechend können wir auch nicht sagen, ob dann noch Hochhäuser gefragt sind oder nicht», sagt der 38-jährige Kämpf. Wie das Gebiet aber grundsätzlich aussehen soll, da hat die Langenthaler Firma heute schon eindeutige Vorstellungen, so Rickli. «Wir streben ein in sich geschlossenes Ökosystem an. Hier soll alles möglich sein: Arbeiten, Einkaufen, Wohnen.» Dafür sei das Gebiet ideal, hat es doch einen Bahnanschluss, zudem sind beispielsweise die Badeanstalt oder das Naherholungsgebiet «Wässermatten» in wenigen Minuten Gehdistanz erreichbar.
Der bald schon am besten sichtbare Kern der Veränderung soll die Durchlässigkeit des Areals sein. Heute ist es wegen der zahlreichen Bauten nicht mehr möglich, durch die Fläche durchzulaufen, so muss das Areal umlaufen werden. Das bereits heute zuerst ersichtliche Gebäude, welches heute als Fabrik-Verkaufsladen dient, soll auf seinen Längsseiten geöffnet werden und quasi als überdachte Allee für die Durchquerung des Areals dienen. Auf der einen Seite soll es dann einen offenen Zugang zur Ofenhalle geben, welche dereinst sogar als Eventlokal für Veranstaltungen jeglicher Art dienen könnte. Auch dafür laufen vorerst aber noch weitere Abklärungen. Wie genau die derzeit erst noch lose vorhandenen Pläne umgesetzt werden, hängt vorerst noch von unterschiedlichen Faktoren ab. Zeitgleich will auch die BLS den Bahnhof Süd umbauen, dabei dürfte er vermehrt ins Areal-Zentrum rücken.

Ducksch Anliker Gruppe als Pionierin
So oder so wird künftig im Porzi-Areal schrittweise renoviert und saniert, denn bereits im September will die Ducksch Anliker Gruppe vor Ort als erste Firma ihre Büros beziehen. Dafür verabschiedet sie sich sogar vom Langenthaler Zentrum, aktuell ist sie noch an der Jurastrasse beheimatet. «Ein bisschen Pioniergeist ist auch dabei», sagt Gian Kämpf begeistert, sie selbst wollen mit diesem Schritt auch als Zugpferd fungieren und weitere potenzielle Mieter anlocken. «Wenn erst einmal Leben einkehrt und die Menschen sehen, dass hier etwas Gutes entsteht, wird auch die Attraktivität und das Interesse steigen.» Dieses ist indes bereits jetzt vorhanden, Kämpf führt seit längerem Gespräche mit über 50 potenziellen Mietern. Platz hat es genügend, aktuell wird die vermietbare Fläche auf 28 000 Quadratmeter geschätzt, würde das Resultat der Testplanung exakt umgesetzt, wären sogar Geschoss­flächen von 45 000 Quadratmeter
vorhanden. «Angedacht ist es, je 40 Prozent als Wohn- und Gewerbeflächen zu vermieten, 20 Prozent sollen für Verkaufsangebote, beispielsweise auch für den Einzelhandel oder Lebensmittelgeschäfte, genutzt werden. Ebenfalls geplant ist ein Gastronomieangebot, für welches noch entsprechende Bewilligungen ausstehen», informiert Tom Rickli. Gelingen wird dies aber nur, wenn letztlich auch auf politischer Ebene die Zustimmung zum Projekt vorhanden ist. So wird in den nächsten Jahren eine städtische Zonenplanänderung nötig sein, weil gemäss heutigem Stand «nur» Arbeitsflächen in der «Porzi» vorgesehen sind.

Vom Gelingen überzeugt
Nachdem auf dem 1906 bebauten Gelände lange Zeit nicht viel passierte, ist seit vergangenem März durch die ersten Renovationsarbeiten Aufbruchstimmung vorhanden. Das gilt auch bei Gian Kämpf, der die Entwicklung mit Spannung verfolgt. «Ich gehe immer wieder gerne ins Porzi-Areal und schaue mir die Veränderungen an. Es ist ein ungemein spannender Prozess, vor allem auch wegen der Grösse des Areals.» Gerade für die «DA Gruppe» mit ihren 50 Mitarbeitern werde es aber auch eine grosse Umstellung sein, nachdem sie rund zwei Jahrzehnte im Stadtzentrum zu Hause war. Man freue sich sehr, einen Teil von der neuen «Porzi» zu sein. Auch sei es spannend, nicht zu wissen, wie das Gebiet in zwei oder vier Jahren tatsächlich aussehe, das mache den Umzug zusätzlich besonders. «Es ist ein Aufbruch ins Neue. Und darauf freuen wir uns sehr.»
Dass bald schon eine neue Blütezeit für das Areal der ehemaligen Porzellanfabrik entsteht, ist die Geschäftsleitung der Ducksch Anliker Gruppe überzeugt. «Wir hoffen, dass wir das Areal behalten können. Wenn die Entwicklung nach unseren Wünschen gelingt und wenn sich genügend Mieter für das «Porzi-Projekt» interessieren, kann das Areal auch künftig in Langenthaler Hand bleiben», versprechen die beiden Geschäftsleitungsmitglieder der Ducksch Anliker Gruppe. Für Langenthals Zukunft wäre dies ohne Zweifel eine gute Ausgangslage.

Von Leroy Ryser