Mit Rooney auf Krähenjagd
Seit 14 Jahren befasst sich Daniel Peier aus Oensingen mit der Falknerei. Er hat die Erlaubnis für die Krähenjagd im Kanton Bern, ist zeitweise auch im Oberaargau unterwegs. Dies vor allem in flachen Gebieten mit offenen Feldern wie etwa Melchnau, Gondiswil und Auswil. Seine kleine Gruppe ist stets zu Dritt unterwegs: Ein zuverlässiger Chauffeur, er selbst und der Hauptakteur, der Habicht Rooney.
Oberaargau · Ein starker Wind fegt über die Seeländer Felder; es regnet, ist kalt. Dem Habicht Rooney scheint dies nichts auszumachen. Ruhig und entspannt sitzt er im Auto auf der Hand von Daniel Peier, blickt aufmerksam herum. Am Steuer sitzt Robert Beck, der übrigens seine Wurzeln und damit auch Verwandte in Wasen hat. Seine Familie ist allerdings schon vor 70 Jahren ins Seeland «ausgewandert».
Der Falkner ist auf einen guten, zuverlässigen Chauffeur angewiesen. Zuweilen fährt sein Bruder Markus Peier, manchmal Robert Beck. Daniel Peier selbst muss sich darauf konzentrieren, Rooney im richtigen Moment fliegen zu lassen, muss nebst den Krähen auch die Umgebung und den Wind beobachten. Denn immerhin fährt das Auto mit rund 50 km/Std. Starker Gegenwind könnte für Rooney tödlich sein, würde er gegen das Auto geschleudert. Ebenso gefährlich für ihn wäre ein Zusammenprall mit Zaunstecken, Netzen oder Drähten.
Hervorragender Appell
Von weitem entdeckt der Falkner eine Krähe unmittelbar am Strassenrand. Er dreht die Scheibe herunter, hebt Rooney mit einer schnellen Bewegung hinaus. Fehlgriff, die Krähe hat sich instinktiv geduckt und der Habicht ist knapp über sein Ziel hinweggeschossen. Er hebt auf und weg ist er. In der Nähe reklamiert ein aufgescheuchter Krähenschwarm. Daniel Peier nimmt die Antenne und einen Lockvogel (Federspiel), ortet seinen Habicht, läuft los. Fünf Minuten später steigen die beiden wieder ins Auto. «Rooney hat einen ungewöhnlich guten Appell, kommt meistens umgehend wieder. Dies erspart mir viel Zeit», freut er sich.
Wieder nähert sich das Auto einem Krähenschwarm, reduziert auf 50 km/Std. Rooney schiesst erneut hinaus, erwischt eine Krähe, fliegt aber entgegen seiner Gewohnheit mit der Beute noch rund 50 m weiter, bevor er zu Boden geht. Die beiden Männer lachen. Was soll das Neues? Draussen merken sie es: Der Habicht hatte sich weitgehend vom Wind tragen lassen, der kräftig blies. «Macht nichts», sagt Daniel Peier und stellt sofort fest: «Die Krähe ist zum Glück schon tot.»
Kein «leiden lassen»
Denn normalerweise übernimmt er umgehend das Töten. «Ich will sie nicht leiden lassen. Beim Habicht würde dies viel länger dauern.» Robert Beck hält den Schwanz des Habichts, damit dieser nicht schmutzig wird oder die Federn ausfransen. Rooney darf ein bisschen an seiner Beute herumrupfen. Dann lenkt der Falkner ihn mit einem Fleischköder ab, während Robert Beck die Krähe ausser Sichtweite bringt. Langsam fährt das Trio weiter. Plötzlich reckt und streckt sich Rooney, plustert sich auf, schüttelt sich. Daniel Peier ist zufrieden: «Jetzt ist er wieder bereit.»
Sechs weitere Krähen jagt Rooney an diesem Vormittag, trotz der Kälte und dem «Hudelwetter». Zweimal wird ihm die Beute quasi vor den Fängen weggeblasen. Das nimmt er jeweils als Gelegenheit für einen willkommenen kurzen Ausflug. Kein Problem – kaum bemerkt er seinen Meister in der Nähe, kehrt er zu ihm zurück. «Rooney ist aussergewöhnlich», bemerkt Daniel Peier. Ein bildschönes Tier mit herrlichen bernsteinfarbenen Augen und einem ruhigen Blick (normalerweise sind die Augen bei Habichten senfgelb mit einem eher stechenden Blick), völlig entspannt, aber dennoch aufmerksam und trotz seiner Zahmheit mit hervorragenden Jagdqualitäten.
Die letzte Krähe gehört ihm; sie ist seine Belohnung. Bevor Daniel Peier sie verfüttert, nimmt er die Innereien heraus. Er will verhindern, dass der Habicht Parasiten erwischt. Die restlichen Krähen werden eingefroren und dienen später als Futter für die Habichte oder als Hilfsmittel für die Schweisshundeausbildung.
Rooneys wohlverdiente «Mahlzeit» ist der Abschluss des erfolgreichen Jagdvormittags.
Seit Kindheit fasziniert
Seit 14 Jahren befasst sich Daniel Peier mit der Falknerei. «Schon als Kind hatte ich grosses Interesse an Greifvögeln, an Vögeln allgemein», sagt er gegenüber dem «Unter-Emmentaler». «Als Bub träumte ich zuweilen davon, dass ein Greifvogel, irgendeiner, zu mir kam, aber dann auch wieder in die Freiheit flog.» Lange Zeit wusste der Primarlehrer nichts von der Falknerei in der Schweiz, bis er im Nachbardorf einen Vortrag besuchte und von der Schweizerischen Falkner-Vereinigung erfuhr. Nun wollte er seinen Traum wahr machen. Die Voraussetzung für die Zulassung zur Schweizerischen Falknerprüfung ist ein Jagdfähigkeitsnachweis, also die Jägerprüfung, welche Daniel Peier zuerst erwerben musste. Anschliessend legte er auch die Falknerprüfung ab. Er hat sich später nie einer Jagdvereinigung angeschlossen, geht aber zuweilen mit Kollegen auf die Jagd, vor allem auf eine Revierjagd, wie dies im Kanton Solothurn üblich ist (der Kanton Bern kennt keine Revierjagd; Jäger, die das hier vorgeschriebene Jagdpatent gelöst haben, dürfen im ganzen Kanton jagen gehen). Eine Bewilligung für die Greifvogelhaltung wird in der ganzen Schweiz erst nach dem Besuch der fachspezifischen, berufsunabhängigen Ausbildung (FBA) oder einem durch das kantonale Veterinäramt anerkannten Fachkenntnisnachweis erteilt. Mit dem Bestehen der Falknerprüfung können Greifvögel auch falknerisch gehalten werden.
Für die Krähenjagd werden fast ausschliesslich Habichte oder Wanderfalken eingesetzt. Die beiden Arten haben unterschiedliche Jagdtechniken. Während der Wanderfalke seine Beute im Sturzflug angreift, schiesst der Habicht horizontal aus der Deckung auf sie zu. Daniel Peier erwarb seine Habichte in England. Es sind jeweils junge adulte Vögel, die von ihren Eltern aufgezogen worden sind, nicht von den Züchtern. «Das ist wichtig», sagt Daniel Peier. Denn so würden die Raubvögel die Menschen nicht als ihresgleichen erachten, sondern als «andere» Wesen: «Damit besteht kaum Gefahr, dass sie sich Menschen gegenüber auf ‹Revierkämpfe› einlassen oder diese sogar angreifen.»
Aufwändige Ausbildung
Die jungen Tiere sind sehr scheu, wenn sie zum Falkner kommen. Da-niel Peier lehrt sie zuerst das Sitzen auf seiner Hand, in einem zweiten Schritt das Futter von seiner Hand zu holen, wobei sie hüpfen müssen. Der Abstand wird vergrössert, bis sie an die Flugdrahtanlage kommen und nun schon mehrere Dutzend Meter bis zu ihrem Futter fliegen. Sie lernen so, dass sie auf der Faust des Falkners sicher sind, dass es hier ein «Leckerli» gibt, wenn sie gut gearbeitet haben.
Zum «gut Arbeiten» gehört auch der Appell, das heisst, der Rückruf, auf den die Vögel reagieren sollten. Im Freien beginnt in einem weiteren Schritt die Jagd auf eine schwarze Attrappe, die einer Krähe gleicht.
Daniel Peier unternimmt während der Ausbildung seiner Habichte viel, damit sich seine Tiere an verschiedenste Umfelder gewöhnen, geht mit ihnen unter Menschen, steht am Strassenrand … gleichzeitig erfolgt auch das Angewöhnen an Autofahrten – für den Greifvogel ein aufregendes Erlebnis, da die Landschaft nun an ihm vorbeizieht, ohne dass er etwas dazutut.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Vogel stets angebunden, trägt dazu um die Fänge starke Lederriemchen. Irgendwann einmal kommt der Moment, wo er seine erste Krähe jagen darf. Die Krähenjagd erfolgt aus dem Auto heraus. Im Auto wird die Deckung simuliert, welche die freien Habichte im Wald haben.
Nach nur drei Monaten – sehr intensiver – Ausbildung packte der kluge, schöne Rooney schon seine erste Krähe. Einerseits dank seinem aussergewöhnlichen Charakter, anderseits auch dank der Intensität, mit welcher sich Daniel Peier seiner Ausbildung widmete. Seit Jahren darf er sich über den wunderschönen, zahmen Greifvogel freuen, den Menschen problemlos streicheln dürfen, der aber trotzdem ein Habicht geblieben ist und in diesem Winter gerademal gegen 150 Krähen gejagt hat.
Daniel Peier verfügt über viel Erfahrung mit der Ausbildung von Habichten, hatte aber auch schon mehrmals Pech mit seinen Vögeln. Einen musste er einschläfern lassen, weil er erkrankte – besonders gefährlich sind Parasiten – und weil dieser einen Unfall erlitten hatte.
Schonzeit für die Krähen – und für Rooney
Letzte Woche ist im Kanton Bern die Krähenjagd zu Ende gegangen; die Krähen befinden sich nun bis Ende August in der Schonzeit. Auch für Daniel Peiers Habicht Rooney beginnt damit die «Schonzeit». Wildtierbiologisch gesehen passt dies wunderbar. Denn im März/April balzen die Habichte. Bald beginnt dann auch die «Mauser», während welcher die Habichte faul werden, in den Volieren herumsitzen, an Gewicht zulegen.
Bei den Greifvögeln dauert die Mauser mehrere Monate. Die Federn werden nur nach und nach abgestossen und erneuert, damit der Vogel stets flugfähig ist, um (in Freiheit) überleben zu können. In der Voliere ist dies anders – Habichte in der Mauser sitzen zufrieden, warten auf ihr Futter, leben in den Tag hinein. In dieser Zeit bilden sie ein wunderschönes neues Federkleid mit gesunden Federn. Deshalb fährt Daniel Peier mit der Futtermenge erst herunter, wenn Rooney seine Mauser abgeschlossen hat. Meistens sei dies Mitte/Ende Oktober. Ist der Vogel «abgespeckt», beginnt für die beiden die neue «Jagdsaison».
Mehrmals wöchentlich sind sie dann wieder gemeinsam mit den Chauffeuren Markus Peier oder Robert Beck unterwegs und tragen auf natürliche Weise dazu bei, den Krähenbestand zu reduzieren. Schweizweit gehen nur etwa 15 Falkner auf Krähenjagd.
Infos: www.falknerei.ch
Von Liselotte Jost-Zürcher