Mit Rücksicht den Fortschritt fördern
Der Schweizer Heimatschutz hat Langenthal mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet. Dies weil das Zentrum des Oberaargaus sein Erbe pflegt und dennoch den Fortschritt für die Zukunft anstrebt.
Plötzlich herrschte in Langenthal emsiges Treiben. Ständig wurden einzelne Orte mit Fernsehkameras gefilmt, Fotografen lichteten die beliebtesten Plätze ab und sogar ein Medienrundgang durch die Stadt wurde abgehalten. Bei Reto Müller stapelten sich derweil die Interviewanfragen, bis in den Nachmittag hinein musste der Stadtpräsident Red und Antwort stehen. «Ich habe heute schon mehrmals gesagt, dass wir uns sehr freuen. Und das ist immer noch so – wir freuen uns riesig», sagte der SP-Politiker mit einem Lachen. Grund zur Freude hatte Müller durchaus. Gestern wurde bekannt, dass das Oberaargauer Zentrum mit dem Wakkerpreis 2019 ausgezeichnet wird. Der Schweizer Heimatschutz wollte die Stadt für ihr Modell für eine zukunftsfähige Raumplanung auszeichnen und hervorheben, dass Langenthal nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch um die Jahrtausendwende mitsamt dem Konkurs der Porzellanfabrik die Talsohle erfolgreich durchschritten und neuen Schwung gefunden hat. «Die Stadt Langenthal überwand diese Krise nicht zuletzt dank einer Rückbesinnung auf die Qualitäten vor Ort und mit Mut zur Innovation», begründet der Heimatschutz in seiner Medienmitteilung. Dies zeige der Umgang mit dem Erbe der Industriegeschichte. «Fabrikareale, Alterssiedlungen, öffentliche Gebäude und Villenanlagen wurden systematisch inventarisiert und als zentrale Ankerpunkte für die künftige Entwicklung in die Planung aufgenommen», heisst es weiter. Als positives Beispiel wird das Areal der «Porzi» aufgeführt, auf dem eine vielfältige Nutzung bald möglich sein soll.
Am 29. Juni wird Langenthal gefeiert
Gelobt wurde die Stadt zudem für den Umgang mit Bauvorhaben. Weil schon vor der Eingabe des Baugesuches der Kontakt mit dem Inhaber gesucht und ein Workshop mit allen Beteiligten – Stadt, allenfalls Denkmalpflege und Eigner – absolviert wird, können viele Hindernisse vor dem Baugesuch aus dem Weg geräumt werden. Ausserdem wird damit eine mehrheitlich anerkannte Lösung angestrebt. Bei grösseren Projekten dient eine Testplanungsphase dem gleichen Zweck. «Das ist ein freiwilliges Verfahren, die Resultate sprechen aber für sich», sagt Müller. Wenn der Versuch besteht, auf alle Wünsche einzugehen, wird eine grundsätzliche «Verhinderungshaltung» umgangen. Kann sich jeder Betroffene einbringen, ist die Hemmschwelle grösser, sich quer zu stellen.
Für Reto Müller kam die Auszeichnung dennoch überraschend. «Sie haben uns vor zwei Jahren erstmals gebeten, ihnen die Stadt zu zeigen. Im letzten Jahr wollten sie das Stadttheater sehen. Wir kamen aber nie auf den Gedanken, dass sie uns für eine Auszeichnung in Betracht ziehen», erklärte der Stadtpräsident. Dies sei seines Wissens der erste nationale Preis, der die Stadt erhält, am 29. Juni ist deshalb eine entsprechende Feier geplant. Das Programm wird nun erarbeitet.
Ein Lob, welches verpflichtet
Reto Müller ist sich bewusst, dass der Wakkerpreis nicht nur ein grosses Lob und eine erfreuliche Auszeichnung darstellt, sondern auch für die nächsten Jahre verpflichtet. «Wir stehen vor weiteren Herausforderungen. Im öffentlichen Raum werden bald am Bahnhof oder in der «Porzi» Investitionen in die Zukunft nötig sein, auch das Mühleareal muss weiterentwickelt werden», sagt Müller. Dabei wolle man die bewährte Methode des Dialogs anwenden, um weiterhin mit dem Erbe der Industriegeschichte sorgfältig umzugehen, aber trotzdem eine Modernisierung möglich zu machen.
Nicht zuletzt auch mit dem Wakkerpreis weiss Müller, dass Langenthal auf dem richtigen Weg ist. «Ich denke, dass wir auch für unsere Beharrlichkeit ausgezeichnet wurden, diese Dialoge zu führen.» Damit sei der Wakkerpreis auch Lohn für die geleistete Arbeit. «Das sind tolle Neuigkeiten für uns und Langenthal», lässt sich der Stadtpräsident in fast allen Medien der Schweiz zitieren. Ihm tun es viele Langenthalerinnen und Langenthaler online gleich. Politiker, Bewohner und gar Sportler teilten die online veröfffentlichten Beiträge mit Gratulationswünschen, und nicht wenige zeigten sich schon voller Vorfreude auf das bevorstehende, verdiente Fest für den Gewinn des Wakkerpreises.
Von Leroy Ryser