Mit Sack und Pack und auf zwei Rädern nach China
Am 18. November, kurz nach Ende seines «Durchdieners», ist Pascal Minder aus Huttwil mit seinem Fahrrad und mit rund 30 kg Gepäck von zuhause losgefahren. Sein Ziel liegt zwischen 10 000 und 15 000 km weit weg: China, das «Reich der Mitte» oder «der aufgehenden Sonne». Im Moment ist der Huttwiler in der Südtürkei steckengeblieben. Seine Kreditkarte wurde gehackt. Der Schaden ist glücklicherweise klein und die Wartezeit, bis die neue eingetroffen ist, eine willkommene Erholungspause.
«Ich möchte die Seidenstrasse sehen, möchte die antike Handelsroute zwischen Ost und West abfahren», sagt Pascal Minder im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Dieses findet per WhatsApp Call statt. Kein Problem im Moment, denn Pascal Minder muss in der kleinen Stadt Bodrum, zwischen Izmir und Antalya, die Zustellung der neuen Kreditkarte abwarten. Er nimmt es gelassen, erachtet den freiwilligen Stopp als Ruhepause.
Gut 3000 Kilometer ist er seit dem 18. November gefahren, als er mit rund 30 kg Gepäck und mit dem Geld auf dem Konto, das er während dem «Durchdiener» verdient hatte, das Städtli Richtung Süden verlassen hat. Nicht etwa mit einem E-Bike, sondern mit seinem ganz gewöhnlichen Velo, das er vor der Abfahrt noch einem Service unterziehen liess. Völlig untrainiert – er sei etwa mal mit seinen Kollegen nach Langenthal gefahren, sonst habe er das Fahrrad nur wenig benützt.
Nach drei Tagen brauchte er allerdings eine Pause. Sein Muskelkater zwang ihn zu einem Unterbruch: «Ich hinkte wie ein alter Mann.» Von Aufgeben aber keine Rede: «Bisher nie!».
Über Pässe, durch Täler, über Hügel und Felder fuhr er Richtung Süden. Nach kilometerlangen Steigungen waren Aussicht und Weitblick in die Ferne immer wieder der Lohn. «Das ist wirklich cool», meint er. «Und das Hinunterfahren machte anschliessend umso mehr Spass.»
85 bis 100 Kilometer legt er pro Tag zurück. Er durchquerte die Schweiz und Norditalien, fuhr nach Venedig, folgte der hügeligen Mittelmeerküste nach Kroatien, Monte-Negro, Albanien … In Tirana besuchten ihn über den Jahreswechsel seine Eltern. Sie konnten den Sohn getrost zurücklassen. Es geht ihm blendend. Seine Beine haben sich längstens ans Radfahren gewöhnt, ebenso an das beachtliche Gewicht des Gepäcks: «Inzwischen fahre ich sogar lieber mit dem Gepäck. Das gibt Halt und hilft Stürze zu vermeiden.»
Kälte und Schnee
In Mazedonien erwartete ihn die bisher schlimmste Etappe. Mit Schnee und bei minus 5 Grad bereitete das Radfahren alles andere als Freude: «Ich war halb erfroren, wenn ich jeweils abends das Hostel erreichte.» Ursprünglich hatte Pascal Minder die Route um das Schwarze Meer herum vorgesehen. Aber die Aussicht auf mehr Schnee liess ihn eine Richtungsänderung vornehmen. Er zog den Weg entlang der Mittelmeerküste vor
Ohne «Platten», ohne Sturz oder grössere Zwischenfälle hat er seine weite Reise bisher zurückgelegt. Mutterseelenalleine, und eben doch nicht: Immer wieder traf und trifft er unterwegs Leute. Der schwerbepackte Velofahrer mitten im Winter fällt auf. Pascal Minder wird angesprochen, sowohl von einheimischem Volk als auch von «Seinesgleichen», die ebenfalls eine solche Veloreise planen oder schon gemacht haben. «Ich hatte viele und wirklich coole Begegnungen. Die Leute sprechen von sich, wie sie leben, über die Politik. Sie sind sehr offen, auch in der Türkei.» Die meisten würden von sich aus erzählen, manchmal frage er ein bisschen nach.
Viel Gelegenheit zum zusammen Plaudern (oft mit Gestik, wenn möglich in Englisch) würden auch die Hostels bieten. «Das ist immer sehr gemütlich.»
Es sei jedoch unmöglich, auch nur brockenweise Landessprachen zu erlernen. Zwei, drei Wörter höchstens. «Ich bin einfach zuwenig lange dort.» Für den Notfall habe ihm seine Schwester ein Büchlein mit Bildern geschenkt. Damit könnte er zeigen was er wolle. Er musste es aber noch nie hervorziehen. Nun, sobald er den weiten Weg wieder unter die Räder nimmt, wird er vermehrt campieren. «Wir haben hier angenehme 15 Grad, perfekt fürs Weiterreisen.»
Schon bald fährt Pascal Minder weiter nach Antalya, lässt die Südtürkei hinter sich. Schon nächsten Monat möchte er im Iran sein und die alten, antiken persischen Städte besuchen. Dann folgt die lange Route durch Aserbeidschan, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und dann, endlich, durch China.
Hat er noch nie Angst gehabt, angegriffen zu werden? Nein, meint er. In Albanien hätten ihn zwei Hunde packen wollen, «aber zum Glück haben sie nur ins Gepäck gebissen.»
Acht bis zehn Monate gibt er sich für die ganze lange, lange Reise Zeit. Je nach Route werden es schlussendlich zwischen 10 000 und 15 000 Kilometer sein. Im September beginnt das Studium an der ETH in Zürich. «Bis dahin spielt die Zeit keine Rolle, aber dann muss ich zurück sein.»
Von Liselotte Jost-Zürcher