Mit schlechtem Wettkampf in die Top-10
Die Siebenkämpferin Géraldine Ruckstuhl (STV Altbüron) erreichte an der WM in Doha Platz 9. Obwohl der 21-Jährigen der zweitägige Wettkampf misslang, resultierte diese Topklassierung.
Leichtathletik · Géraldine «Géri» Ruckstuhl aus Altbüron gilt als eines der grössten Schweizer Leichtathletik-Talente aller Zeiten. Wie stark die 21-Jährige ist, zeigte sie im Siebenkampf an der WM in Katar. Obwohl ihr der zweitägige Wettkampf alles andere als optimal gelang, landete sie in den Top-10 der Weltspitze.
Grosser Dämpfer im Hochsprung
«Der Auftakt in den Wettkampf über die Hürden gelang mir technisch und auch von der Zeit her sehr gut. Dann folgte im Hochsprung bereits der erste Dämpfer.» Die Altbürerin hatte im Hinblick auf die Olympischen Spiele im kommenden Jahr den Hochsprung-Anlauf im Juli von zwölf auf sieben Schritte reduziert. «Der Wechsel musste jetzt passieren und nicht erst im Olympiajahr», sagt Ruckstuhl. In Doha klappte er noch nicht wunschgemäss. Die Unsicherheit war da. Die Einstiegshöhe von 1,65 m meisterte die 21-Jährige erst im dritten Versuch. «Noch nie war ich so nervös.» Die Altbürerin blieb cool und übersprang schliesslich auch 1,71 m – bei einer persönlichen Besthöhe von 1,83 m. «Ich habe mir natürlich mehr erhofft. Jetzt gilt es, den Anlauf zu verfeinern, damit es in Tokio klappt.» Im Kugel-
stossen schaffte die Athletin des STV Altbüron mit dem 4 kg schweren Objekt 14,28 m und damit die drittbeste Weite aller Siebenkämpferinnen. «Damit hätte ich nie gerechnet. Dies war ein richtiger Aufsteller.» Im 200-m-Lauf, der vierten und letzten Disziplin am ersten Wettkampftag, lief Ruckstuhl 25,21 Sekunden und damit die zweitlangsamste Zeit im Teilnehmerfeld. «Es fühlte sich schneller an. Damit kann ich nicht zufrieden sein.»
Ernüchterung im Weitsprung
An 17. Stelle liegend, startete die Luzerner Hinterländerin in den zweiten Tag. «Die kurze Erholungszeit konnte ich nutzen. Ich genoss eine Massage, verpflegte mich und konnte anschliessend gut schlafen.» Beim Einwärmen für die erste Disziplin am zweiten Tag war alles ideal. «Ich fühlte mich sehr gut. Im Wettkampf fehlte mir dann aber die nötige Aggressivität, was sehr enttäuschend war.» Statt der angestrebten persönlichen Bestweite und damit einem Satz deutlich über 6 m resultierten Weiten auf 5,51 m, 5,73 m und 5,54 m. «Es wäre viel mehr möglich gewesen.» Die symphatische Athletin zeigte nach dem herben Dämpfer grossen Charakter in ihrer absoluten Paradedisziplin Speerwerfen.
Die Beste im Speerwerfen
Nach 52,50 m und 53,20 m warf sie im dritten und letzten Versuch das 600 Gramm schwere Wurfgerät auf 55,35 m. Damit übertraf sie die in Führung liegende Holländerin Anouk Vetter (54,17 m). Ruckstuhl warf den Speer satte zwölf Meter weiter als die neue Siebenkampf-Weltmeisterin Katarina Johnson-Thompson. «Die Speerwurf-Disziplin an der WM zu gewinnen, ist eine coole Sache. Ich war mit meinen Versuchen sehr zufrieden.» Dank dem Effort machte «Géri» in der Gesamtwertung einen gewaltigen Satz nach vorne (von Rang 18 auf Rang 11).
Wegen der grossen Hitze in Doha wurde der abschliessende 800-m-Lauf erst um Mitternacht Ortszeit ausgetragen. «Meine Taktik ging nicht auf. Ich wollte mich der Belgierin Hanne Maudens anhängen. Sie lief dann aber vier Sekunden schneller.» Die erste der beiden Bahnrunden ging Ruckstuhl zu verhalten an, lief nicht ihre mögliche Pace. Ein «Aufholen» auf den zweiten 400 m war dann nicht mehr möglich. 2:16 Minuten zeigte die Resultattafel. «Auch in dieser Disziplin blieb ich hinter meinen Erwartungen», sagt Ruckstuhl. Gleichwohl erfolgte mit der letzten Disziplin eine weitere Verbesserung nach vorne. Mit dem neunten Schlussrang konnte Géraldine Ruckstuhl ihre rangmässige Zielsetzung – Top-10-Klassierung – trotz einem nicht optimalen Wettkampf erreichen. Vor zwei Jahren in London hatte sie bei ihrem WM-Debüt Platz 11 belegt. Die 6159 Punkte von Doha bedeuteten die siebtbeste Leistung ihrer Karriere. Beim Gewinn des U23-EM-Titels in Gävle im Juli hatte die Altbürerin 6274 Punkte erreicht. Ihr eigener Schweizerrekord, den sie gerne verbessert hätte, liegt bei 6391 Punkten.
Wertvolle Erkenntnis
«Die Punktzahl ist nicht gut. Es gibt mir aber unglaublichen Auftrieb, wenn ich sehe, dass ich mit zwei nicht optimalen Wettkampftagen trotzdem so weit vorne klassiert bin. Nicht auszumalen, zu welcher Rangierung es mit einem guten Siebenkampf gereicht hätte.» Damit hat das grosse Leichtathletik-Talent die Gewissheit, dass bei optimalem Wettkampfverlauf der Auftritt an den Olympischen Spielen im kommenden Jahr eine erfreuliche Sache wird. «Es war mein erster Siebenkampf, der misslang. Und trotzdem stehe ich auf dem 9. Rang der Weltspitze. Diese wertvolle Erfahrung bringt mich auf meinem Weg weiter.»
Favoritin wird nicht Weltmeisterin
Siebenkampf-Gold sicherte sich die Britin Katarina Johnson-Thompson mit der Jahresweltbestleistung von 6981 Punkten vor der belgischen Olympiasiegerin und Favoritin Nafissatou Thiam (6677 Punkte), die als Titelverteidigerin angetreten war. Bronze holte die Österreicherin Verena Preiner (6560 Punkte).
Auszug aus der Rangliste: Siebenkampf Damen (16 Klassierte): 1. Katarina Johnson-Thompson, 6981 Punkte; 2. Nafissatou Thiam, Belgien, 6677; 3. Verena Preiner, Österreich, 6550; 4. Erica Bougard, USA, 6470; 5. Kendell Williams, USA; 6415; 6. Nadine Broersen, Holland, 6392; 7. Emma Oosterwegel, Holland, 6250; 8. Odile Ahouanwandou, Benin, 6210; 9. Géraldine Ruckstuhl, Schweiz/STV Altbüron, 6159; 10. Ekaterina Voronina, Uzbekistan, 6099.
Von Stefan Leuenberger