• Wie ein «L» legen sich die Landreserven der reformierten Kirche Langenthal um die Parzelle des Zwinglihauses (Mitte oben, vis-à-vis Coop Bäregg). Diese Reserven möchte die Kirche künftig gewinnbringend nutzen. · Bild: zvg

02.07.2024
Langenthal

Mittendrin statt nur dabei

Die reformierte Kirche Langenthal sieht sich mit abnehmenden Mitgliederzahlen und sinkenden Einnahmen aus Kirchensteuern konfrontiert. Ein nationaler Trend, der vielen zu denken gibt. In solch schwierigen Zeiten kommt ein städtischer Entwicklungsprozess wie jener im Gebiet Hard wie gerufen: Genau dort, wo die Stadt Langenthal einen planerischen Schwerpunkt gelegt hat, verfügt die Kirchgemeinde über unbebaute Landreserven und unterhält mit dem Zwinglihaus eine Kirche mit Begegnungszentrum.

 

Geht es nach der reformierten Kirchgemeinde Langenthal, spielt sie in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Mitgestaltung des neuen Quartierzentrums im Stadtteil Hard. Ein solcher Quartierknotenpunkt – ein Sub-Stadtzentrum gewissermassen – ist dort vorgesehen, wo heute das Coop Bäregg und das Zwinglihaus an die Bäregg-strasse grenzen. Hierhin, zur Kreuzung Bäreggstrasse/Aarwangenstrasse, soll künftig vom umgebauten Bahnhof her eine Direktverbindung führen, und zwar via den überdeckten Hochwasserentlastungskanal, der für den Langsamverkehr herzurichten ist. Doch nicht nur diese geplante Schräg-Verbindungsachse für Velofahrende und Fussgänger wird den Knoten Zwinglihaus/Coop Bäregg vermehrt ins Zentrum des Interesses rücken. Für einen Entwicklungsschub des «neuen Bäreggplatzes» dürften auch die zahlreichen Neubauten sorgen, die im Rahmen grösserer (Wohn-)Baupro-jekte – beispielsweise dank der Überbauung Hopferenfeld/Bäreggstrasse oder aufgrund von «Langenthal Mitte» – bereits am Entstehen sind oder noch entstehen werden. In ebendiesem Kontext hat die Stadt Langenthal erst kürzlich selbst in einer Mitteilung festgehalten: «Der Stadtteil Hard wird sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln und ein Bevölkerungswachstum erleben.» Die reformierte Kirche stimmt in diesen Kanon mit ein und kommuniziert: «Die Ausgangslage im Entwicklungsgebiet Hard ist eine grosse Chance für die Stadt allgemein und für die Kirche im Besonderen.» Im Besonderen für die Kirche deshalb, weil sie mit einem durchdachten und proaktiven Vorgehen womöglich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann.

Daseinsberechtigung und Finanzen

Es mag vielleicht krass tönen, aber im Grunde geht es bei dieser Quartierentwicklung und in Anbetracht der übergeordneten gesellschaftlichen Umstände um nichts weniger als um die Daseinsberechtigung der reformierten Kirche im nördlichen Langenthal einerseits und um die künftige Finanzgrundlage der hiesigen Kirche andererseits. Warum? Zuerst zu den Finanzen der Kirche: Schweizweit sinkende Mitgliederzahlen durch Kirchenaustritte wirken sich negativ auf die Finanzerträge aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kirchensteuern der juristischen Personen derzeit im Fokus politischer Diskussionen stehen. Wie viele Kirchgemeinden hierzulande sieht sich also auch die reformierte Kirche Langenthal im finanziellen Bereich zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert. Abhilfe schaffen können in einer solch misslichen Lage Immobilien, denn diese «gewinnen als potenzielle Einnahmequellen an Bedeutung – auch für die Kirche Langenthal!», hält der Kirchgemeinderat ganz klar fest.

Mehrere Fussballfelder als Reserve

Nun ist es so, dass die reformierte Kirche beim Zwinglihaus im Hard-Quartier über unbebaute Landreserven in der Grösse von schätzungsweise zweieinhalb Fussballfelder verfügt (siehe Luftaufnahme). Diese Landreserven legen sich wie ein «L» um die bebaute Parzelle des Zwinglihauses, das ebenfalls der reformierten Kirchgemeinde gehört. Laut Kirchgemeinderat Markus Zahnd (Ressortverantwortlicher «Immobilien» und ehemaliger Stadtentwickler von Langenthal) liesse sich auf dieser «L»-förmigen Fläche eine grosse Anzahl Wohnungen realisieren. Seinen Äusserungen kann entnommen werden: Die reformierte Kirche möchte im Planungsprozess erreichen, dass auf ihren Landreserven im Hard Mehrfamilienhäuser gebaut werden können – als Renditeobjekte, zum Wohle ihrer künftigen Finanzen und um die schwindenden Kirchensteuer-Einnahmen auszugleichen.

Zwinglihaus muss saniert werden

Dann noch zum zweiten Punkt, zur künftigen Daseinsberechtigung der reformierten Kirche im nördlichen Langenthal, denn auch damit hat das aktive Mittun des Kirchgemeinderats im Entwicklungsprozess «Hard» relativ viel zu tun. Schon heute dient das Zwinglihaus an der Bäreggstrasse nicht bloss als Kirche, sondern auch als Begegnungs- und Erlebnisort – und ist in diesem Sinne bereits ein kleines Quartierzentrum. Letztere Funktion möchte der Kirchgemeinderat mit Blick auf die anstehende Sanierung des Zwinglihauses aber sogar noch ausbauen. Denn: Wenn das Kirchenzentrum 45 Jahre nach seinem Bau schon umfangreich saniert werden soll, dann gleich so, dass die Gebäudeteile und Räume an heutige und zukünftige Bedürfnisse angepasst werden können. Gemäss den Vorstellungen des Kirchgemeinderats kann mit der substanziellen baulichen Sanierung des Zwinglihauses ein weiterer Schritt in Richtung «offene Kirche» vollzogen werden. Eine Kirche, die mit ihren Angeboten auch für Menschen attraktiv ist, die selbst nicht (mehr) Mitglieder der Kirche sind. Denkbar ist vor diesem Hintergrund beispielsweise ein Zwinglihaus mit noch mehr flexibel nutzbaren Event- und Gemeinschaftsräumen als Teil eines übergeordneten Quartierzentrums «Hard». «Wir sind überzeugt davon, dass die Kirche auch in Zukunft eine wichtige Bedeutung haben wird. Aber die Kirche muss sich verändern. Wir müssen dabei vermehrt bei den Bedürfnissen der Menschen nach Gemeinschaft und Spiritualität ansetzen – und zwar unabhängig davon, ob diese Menschen Kirchenmitglieder sind oder nicht. Ich denke, generell möchten die Einwohnerinnen und Einwohner von Langenthal einfach eine Kirche sehen, die sich vor allem für den Zusammenhalt in der Stadt einsetzt», ordnet Kirchgemeinderatspräsident Reto Steiner die Lage ein und beschreibt damit aus seiner Sicht eine künftige Existenzberechtigung der Kirche, die weit über den Glauben hinausgehen kann.

Stimmberechtigte miteinbezogen

So sehen es auch viele Personen, die an der Informationsveranstaltung der reformierten Kirche im Anschluss an die Juni-Kirchgemeindeversammlung teilgenommen haben (75 Personen, davon 48 Stimmberechtigte). Die Möglichkeit der Mitwirkung wurde begrüsst und die Versammlungsteilnehmenden sprachen sich für eine anhaltende und offene Kommunikation aus. Es hiess, die Partizipation solle über die Kirchgemeinde hinausgehen und auch kirchenfernere Personen sollten angesprochen werden. Im Partizipationsprozess müsse die Kirche auf die Menschen zugehen. In einer Konsultativabstimmung pflichteten die Versammlungsteilnehmenden den Plänen des Kirchgemeinderats einstimmig bei und brachten damit zum Ausdruck, dass die Kirche im Hard-Quartier eine wichtige Rolle innehabe und dass sie die Weiterentwicklung des Quartiers aktiv mitgestalten solle. Der Vorschlag, das kirchliche Zentrum Zwinglihaus weiterzuentwickeln und zu öffnen, stiess auf grosse Zustimmung. Die reformierte Kirche solle unbedingt auch weiterhin beidseits der Bahngeleise präsent sein. Eine Konzentration der kirchlichen Angebote auf den Geissberg (Forum, Kirche, Verwaltungsgebäude) wurde abgelehnt. In diesem Sinne wird der Kirchgemeinderat seine Planung nun vorantreiben und in Zusammenarbeit mit der Stadt Langenthal und den weiteren Partnern in unmittelbarer Umgebung (Coop, Stiftung Vivola Alterswohnungen, potenzielle Drittinvestoren) an die Entwicklung des neuen Quartierzentrums herangehen. «Dabei werden die Aspekte zur Realisierung eines kirchlichen, sozialen und gesellschaftlichen Hardzentrums konkret zu entwickeln sein», so der Kirchgemeinderat.

Von Patrick Jordi