Molières Schlitzohr «Scapin» treibt es bunt
Das 2015 in Potsdam gegründete Neue Globe Theater sorgt im Stadttheater mit Molières Komödie «Die Streiche des Scapin» für köstliche Unterhaltung – gewürzt mit witziger Kritik an der damaligen Gesellschaft – und Lacher im 177-köpfigen Publikum.
Vor zehn Monaten gastierte das Neue Globe Theater mit Friedrich Schillers «Die Räuber» in Langenthal, diesmal mit einem Spätwerk von Molière, der eigentlich Jean Baptiste Poquelin hiess, 1622 in Paris zur Welt kam und am 17. Februar 1673 in Paris 51-jährig verstarb. Dies völlig aussergewöhnlich während einer Aufführung seines letzten Werkes «Der eingebildete Kranke». Thomas Multerer, Vizepräsident der Theaterkommission, schildert diesen Tod des französischen Theaterdirektors, Dramatikers und Schauspielers bei der Einführung zu Molières «Die Streiche des Scapin» so: «Molière spielte diesen eingebildeten Kranken, der seine Tochter zwingen möchte, einen Arzt zu heiraten, damit er permanent medizinisch versorgt würde. Molière war todkrank. Er spielte den Kranken so echt, dass das Publikum brüllte vor Lachen, während Molière auf der Bühne starb. Trotz der Tragik dieses Geschehens: Molière starb hier seinen eigenen Tod – jenen Tod, der zu seinem Leben gehört hat. Ein anderer Tod hätte nicht zu ihm gepasst.» Für das Publikum ist es immer wieder hochinteressant, von Thomas Multerer – zuweilen auch von anderen Theater-Experten – solch brisante Dinge über die Autoren der in Langenthal gezeigten Stücke zu erfahren.
Verliebte Söhne, staunende Väter
Zum Stück: Wir befinden uns in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Neapel. Argante (Andreas Erfurth) und Géronte (Kai Frederic Schrickel), zwei ältere, reiche und geizige Kaufleute, haben sich auf Geschäftsreise begeben. Argantes Sohn Octave (Laurenz Wiegand) und Gérontes Sohn Léandre (Dierk Prawdzik) sind während der Geschäftsreise ihrer Väter in der Obhut ihrer Diener. Sylvestre (Alexander Jaschik) soll Octave beaufsichtigen, Scapin (Saro Emirze) den Léandre. Diese Beaufsichtigung gelingt nur sehr bedingt, denn beide Söhne verlieben sich in Abwesenheit ihrer Väter Hals über Kopf – aber gleichsam unstandesgemäss. Octave verliebt sich in Giacinta (Rike Joeing), ein armes Mädchen unbekannter Herkunft, und heiratet dieses sogleich. Léandre seinerseits verliebt und verbindet sich mit Zerbinetta (Petra Wolf), einem Mädchen ebenfalls unbekannter Herkunft, das von Zigeunern geraubt worden und unter dem fahrenden Volk aufgewachsen ist. Dabei war doch zwischen den Vätern vereinbart, dass der Sohn des einen die Tochter des anderen ehelichen soll. Dies ist die «Auslegeordnung» des Stücks, das recht schematisch konstruiert ist – mit zwei Liebespaaren, zwei Alten und einem mit allen Wassern gewaschenen, gerissenen und schlagfertigen Diener, der allen überlegen und stets einen Schritt voraus ist. Dieser Scapin ist eine Paraderolle für einen Komödianten – wobei die Handlung so unwahrscheinlich wie simpel und entfernt von jeder Realität ist.
Chaotisches «Theater im Theater»
Was das Neue Globe Theater auf der Stadttheater-Bühne Langenthal präsentiert, ist ein «Theater im Theater». Am Tag der Premiere ist noch nicht mal der Titel bekannt. Der Marquis de la Thorillière (Dierk Prawdzik) erkundigt sich bei dem mit seinem Ensemble probenden Molière (Saro Emirze) vergeblich nach dem noch namenlosen Stück. «Die Zeit läuft uns davon» und «Bei diesem Abenteuer werden wir alle unseren guten Ruf verlieren», ist man sich einig. «Heute spielen wir den Scapin», verkündet Molière, obschon man dieses Stück schon seit Jahren nicht mehr gespielt hat und das Bühnenbild im Vorjahr verheizt wurde. Immerhin ist dieses Stück «Die Streiche des Scapin» nicht völlig unbekannt.
Trotzdem läuft manches schief. Die Darsteller kommen von der falschen Seite auf die Bühne, zu früh oder zu spät – aber mit viel Schwung. Das Publikum in Langenthal quittiert solches zuweilen mit herzhaftem Lachen.
Schlitzohr Scapin mit List zum Ziel
Streiche von Schlitzohr Scapin – übersetzt der «Nicht-zu-Fassende» – sind gefragt, um die verworrenen Situationen zu einem glücklichen Ende zu führen. Dazu braucht es viel Geld von den beiden reichen, aber geizigen Vätern. Scapin muss versuchen, Papa Argante um 200 Louis d’Or zu erleichtern und Papa Géronte gar um 500 Louis d’Or. «Das Leben ist gespickt mit Unglücksfällen», sagt Scapin und schwindelt Géronte vor, sein Sohn Léandre habe sich auf eine türkische Galeere einladen lassen, wo er nun als Geisel gehalten werde, für ein Lösegeld von 500 Louis d’Or aber freikomme. Scapin schüchtert Géronte mit der Lüge ein, die Türken seien bereits auf dem Weg zu ihm, um das Geld notfalls zu holen. Um sich vor den Türken zu verstecken, schlägt Scapin vor, Géronte solle sich in einem Jutesack verstecken, was dieser prompt tut. Köstlich, wie Scapin nun mit verstellter Stimme den ersten und zweiten Banditen imitiert. Scapin schildert jetzt dem im Sack versteckten, vor Angst zitternden Géronte, dass ein «ganzer Haufen» anmarschiere: «Erste Kompanie – Halt». Da guckt Géronte aus dem Sack, erkennt den Schwindel und droht Scapin: «Das wirst du mir büssen.»
Jetzt kommt es zur unerwarteten Lösung: Es stellt sich heraus, dass Oktaves Frau Giacinta die Tochter von Géronte ist und Léandres Geliebte Zerbinetta die Tochter von Argante. Die beiden Väter werden nun also Verwandte. Sie werden beide Schwiegerväter – gleichsam voneinander. Wie aber kann der nun entlarvte Scapin seinen Kopf aus der Schlinge ziehen? Er taucht blutverschmiert und stark hinkend auf und gibt vor, «tödlich verletzt» zu sein. «Ich vergebe dir» und «ich verzeihe dir», begnadigen Argante und Géronte, die «Geizhälse der schlimmsten Sorte», den voraussichtlich sein Leben aushauchenden Schelm Scapin, der ihnen raffiniert insgesamt 700 Louis d’Or abgeknöpft hat. Kaum haben sie dem offenbar im Sterben liegenden Scapin vergeben, steht dieser auf und präsentiert sich pudelmunter. Von «tödlich verletzt» keine Spur mehr. «Ich verzeihe dir aber nur unter der Bedingung, dass du stirbst», sagt der eine der betrogenen Kaufleute, lässt diese Bedingung aber zähneknirschend wieder fallen, wonach das mit viel Humor unterhaltene Publikum gleichzeitig die starken Leistungen des Ensembles und das Happy End beklatschen kann – kräftig und lange anhaltend.
Schüler aus Kleindietwil dabei
Zwar sind nur 177 der 400 Plätze im Stadttheater besetzt (44 Prozent), doch die Präsenz je einer Klasse des Oberstufenzentrums Kleindietwil sowie der Realschule Bützberg (Neuntklässler) lässt die Verantwortlichen um Theaterleiter Reto Lang hoffen, dass auch künftig wieder ganze Schulklassen ins Stadttheater «pilgern» werden. Das war früher bei Klassikern jeweils regelmässig der Fall.
Von Hans Mathys