• «Zum Geburtstag viel Glück». Die Musikgesellschaft Rütschelen stösst mit dem Publikum auf den 125. Geburtstag an. · Bild: Hans Mathys

11.07.2018
Oberaargau

Musikgesellschaft jubiliert und imponiert

Das Jubiläumsfest «125 Jahre Musikgesellschaft Rütschelen» ist geprägt von schönem Wetter, toller Stimmung und einem gelungenen Festakt. Dieser bleibt unvergesslich – auch dank des Mitwirkens ehemaliger Korps-Mitglieder.

Rütschelen · Wetterglück für die jubilierende Musikgesellschaft Rütschelen (MGR). Das Publikum kommt im Festzelt beim Gemeindehaus voll auf die Rechnung. Am Samstagabend erweist sich das 4-Gang-Sommernachtsmenü als Hit. Die Musikgruppe Radiokings trifft den Geschmack des Publikums. Aus der Bühne wird bald eine Tanzbühne. «Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.» Dieser Devise wird fleissig nachgeeifert. Nach dem letzten Stück der Band trifft man sich an der Bar. Hier werden «Müsterli» aus der Vereinsgeschichte herumgeboten und mit herzhaftem Lachen quittiert. Kurz vor 4 Uhr findet gar der eiserne Kern, dass es Zeit ist, sich noch etwas Schlaf zu gönnen. Man will doch am sonntäglichen Festakt fit und munter sein.
Vor dem Festakt unterhält die befreundete Musikgesellschaft Bleienbach das Publikum, das sich im Festzelt Bratwurst, Grill-Schnägg oder Schweinssteak genehmigt – dazu Bier, Wein, Mineralwasser sowie zum Dessert Glace, Kaffee und Kuchen. Sportliche Leute beteiligen sich am Gummistiefel-Weitwurf, während sich Kinder für einen Fünfliber das Gesicht schminken lassen. Tattoos sind für 50 Rappen zu haben.

Frauen im Verein unerwünscht
«Es ist sagenhaft, vor so viel Publikum auftreten zu können», sagt Vereinspräsident Christoph Lüthi bei der Begrüs-sung zum Festakt sichtlich erfreut mit Blick ins sehr gut besetzte Festzelt und übergibt das Mikrofon Simon Born, dem OK-Präsidenten «125 Jahre MGR». Dieser blickt aufs Jahr 1893 zurück, als fünf Männer die MGR gründeten. «Viele grosse und kleine Ereignisse haben die MGR geprägt», so Born, der Vreni Hasler erwähnt, die ab 1962 bei der MGR mitmachte und wünschte, an der Hauptversammlung 1963 in den Verein aufgenommen zu werden. Daraus wurde nichts, weil Votanten Stimmung gegen die Aufnahme von Frauen in den Verein machten. Der Beitritt Vreni Haslers wurde «usegschtüdelet», ehe dieser 1966 erneut zum Thema wurde. Mit dem Hinweis auf Theres Leuenberger, die in der Musikgesellschaft Melchnau Mitglied war und dort seit Jahren Lyra spielte, fand Vreni Hasler dann doch noch offiziell Aufnahme in der MGR, der sie zum Dank einen Marsch schenkte. «Heute sind Frauen in unserem Verein nicht mehr wegzudenken», so der OK-Präsident. Seine Aussage löst spontanen Beifall aus.

Toleranz, Einsatz und Freude
Rütschelens Gemeindepräsident Stefan Herrmann gratuliert der MGR im Namen des Gemeinderats. «Welch ein Potenzial ist hier vorhanden», zeigt er sich von der Jubilarin beeindruckt und spricht von einem «wunderbaren Bild für eine funktionierende Gesellschaft». Das Wort Gesellschaft setze sich aus Geselligkeit und Gemeinschaft zusammen. Gefragt seien Toleranz, Einsatzbereitschaft und Freude. Sympathisch gratuliert nun Lina Kurth, Präsidentin des Burgerrates Rütschelen, der 125-jährigen MGR.
Drei weitere Redner gratulieren. Zuerst tut dies der Langenthaler Beat Ammann als Vertreter des Landesteils Oberaargau im Bernischen Kantonal-Musikverband (BKMV). Ammann ruft dazu auf, Sorge zur Blasmusik zu tragen: «Sie ist ein altes Kulturgut, das lebt.» Namens des Oberaargauischen Musikverbandes (OAMV) wünscht Co-Präsident Ruedi Schenk aus Halten der jubilierenden MGR ein schönes Fest und für die nächsten 125 Jahre alles Gute. Er rechnet vor, dass sich in Rütschelen 6 Prozent der 570-köpfigen Dorfbevölkerung in der MGR engagiert, nämlich deren 34. Das sei «hervorragend». Umgerechnet müsste eine Stadt mit 10 000 Einwohnern auf 600 im Verein tätige aktive Musikerinnen und Musiker zählen können. Stark applaudiert wird auch der letzte Redner, Patrick Müller, Präsident der Stadtmusik Langenthal, mit der die MGR seit jeher freundschaftlich verbunden ist. Die Stadtmusik beziehungsweise die Vorgängerin, die damalige Musikgesellschaft Harmonie, war 1922 Patensektion, als sich die MGR erstmals eine Fahne leistete und diese jetzt im Festzelt zu aller Freude am Rednerpult befestigt hat. Patrick Müller gratuliert der MGR namens aller Oberaargauer Musikvereine.

125-Zentimeter-Cremeschnitte
Fest-OK-Präsident Simon Born erzählt, dass die MGR früher den 80-jährigen Dorfbewohnern ein Ständli gab. Diese hätten sich dafür mit Schweinswürstli erkenntlich gezeigt. Einmal aber seien nicht Würste, sondern Cremeschnitten offeriert worden, von denen einige Musikanten gleich deren zehn «verdrückt» hätten. In Anlehnung daran tragen nun Leonie Erdin und Sina Affentranger von der Jungmusig Rütschelen eine 125 Zentimeter lange Cremeschnitte, zu verteilen an die Anwesenden, ins Festzelt. 125 Jahre MGR bedeute einen Cremeschnitten-Zentimeter pro Jahr, erklärt Born. Das Musikkorps prostet mit vollen Sektgläsern dem Publikum zu und dieses singt «Zum Geburtstag, liebi Musig, zum Geburtstag viel Glück.» Der OK-Präsident dankt nach allen Seiten – speziell Aktiv- und OK-Mitglied Matthias Schmid, der die «einzigartige Vereinsgeschichte» aufgearbeitet habe und hauptverantwortlich für die informative Jubiläums-Broschüre sei. Diese ist in einer Auflage von 300 Exemplaren erschienen. Sie ist im Festzelt gratis zu haben.

MGR mit 30 Ehemaligen verstärkt
Die MGR, neu unter der Leitung des jungen Aarwangers Kevin Kläntschi, entzückt das Publikum zuerst mit dem Marsch «Gruss an Bern» – gefolgt von der «Suite from the New World» (Arrangement zur Symphonie «Aus der neuen Welt» von Antonín Dvorák, uraufgeführt 1893), dem Swing Marsch «Greenville», dem «March Chagu-Chagu», «Celebrate» und «MacArthur Park». Ein Genuss.
Stark applaudiert gesellen sich jetzt 30 Ehemalige und Aushilfen zum 34-köpfigen Korps auf der Bühne – zur Grossformation «MGR Plus». Zusammen mit diesen Ehemaligen habe die MGR im Vorfeld dreimal geprobt. Einige hätten alle Proben besucht, andere zwei, einige nur eine, wenige gar keine. Spassfaktor und Unterhaltungswert sind riesig. Drei Stücke sind angesagt: Die Polka «Ein halbes Jahrhundert», «Funkytown» und der «Rumisberger Marsch» von Walter Joseph. Das Publikum klatscht intensiv, bis es die gewünschte Zugabe bekommt – das Startstück der «MGR Plus», die Polka.

Positives Fazit und Überraschung
Während jetzt die Musikgesellschaft Bleienbach auf die Bühne tritt und den Festakt ausklingen lässt, ziehen die drei Hauptverantwortlichen fürs gute Gelingen des 125-Jahr-Jubiläums ein positives Fazit. «Welch ein Feeling. Einfach schön, diese Ambiance und diesen Rückhalt in der Dorf-Bevölkerung zu spüren», schildert MGR-Präsident Christoph Lüthi seine Gefühlslage – und OK-Präsident Simon Born doppelt gleich nach: «Ich konnte es kaum erwarten, am Rednerpult vor diesem Meer von Leuten zu stehen, die dann sehr aufmerksam und still zugehört haben.» OK-Mitglied Matthias Schmid: «Unser Verein ist erfolgreich unterwegs. Dieser Festakt ist nur ein Teil unserer Aktivitäten im Jubiläumsjahr 2018.» Schmid verweist dabei aufs Jahreskonzert, die Teilnahmen am Oberaargauischen Musiktag in Herzogenbuchsee und an der Marschmusikparade in Langenthal sowie – vorausblickend – auf die Kirchenkonzerte im November in Lotzwil. Lüthi, Born und Schmid zeigen sich «sehr überrascht», dass von 90 angeschriebenen Ehemaligen 30 das Jubiläumsfest bereichern halfen. «Gerechnet haben wir nur mit etwa sechs.»

Von Hans Mathys