• Der allerletzte Emmentaler aus der Käserei Rätschen wurde am 30. Dezember 2021 produziert. Der Käse trägt zudem noch das Produktionsdatum von der ersten Herstellung am 15. August 1851. · Bild: Yanick Kurth

  • Georg Steffen im noch vollen Käsekeller. Doch in drei Monaten werden die Lager leer sein. · Bild: Yanick Kurth

10.01.2022

Nach 170 Jahren ist Schluss mit dem Käsen

Eine lange und traditionsreiche Ära geht zu Ende: 170 Jahre lang wurde in der Käserei Rätschen in Huttwil Emmentaler AOP hergestellt. Ende Dezember 2021 hat Georg Steffen nun die allerletzten Laibe produziert. Die Käserei wird in Zukunft als Milchsammelstelle betrieben.

Huttwil · Die Käserei Rätschen ist in der hintersten Ecke der Gemeinde Huttwil zu finden. Sie ist, neben der Käserei Tschäp­pel, noch die einzige in der Gemeinde, welche Käse produziert. Vor fünf Jahrzehnten waren es noch sechs Käsereien. Mehr und mehr verschwanden die kleinen Betriebe aber. In der Käserei Rätschen wurde der Käse noch traditionell, das heisst ohne Silomilch, hergestellt. Drei Käselaibe wurden so jeden zweiten Tag produziert – jedenfalls in den letzten Jahren. Früher noch deutlich mehr. Doch nun ist auch in der Käserei Rätschen Schluss mit der Herstellung von Käse. Käser Georg Steffen hat am 30. Dezember 2021 die drei letzten Emmentaler AOP produziert. Auch auf dem letzten Käse hat er seine Käsereimarke 3274 eingraviert. Dank ihr erkennt man, aus welcher Käserei der Emmentaler stammt.

Schwieriger Käsetransport wegen Moorland
Der erste Emmentaler wurde in der Käserei Rätschen am 15. August 1851 produziert. Zu Beginn war der Käsetransport von der Käserei Rätschen nach Huttwil äussert schwierig, die Gegend zwischen Stierenwald und Waldmatt war nämlich Moorland. So wurde damals beschlossen, den Käse mit «Bännen» (Schubkarren) auf die Nyffenegg zu führen, auf Leiterwagen zu verladen und über Nacht eine Wache aufzustellen. Anderntags wurden sie dann mit Ross und Wagen nach Sumiswald transportiert. Trotz der Wache ist es vorgekommen, dass ein Emmentaler verschwand. Das gab grosse Unmut unter den Genossenschaftern. Der Täter wurde nie erwischt. Kurze Zeit später wurde das Nyffelmoos entwässert und ein Strässchen gebaut, was den Transport vereinfachte. Im Jahr 1875 gab es eine grosse Ratten- und Mäuseplage. 35 Käse waren zum Teil schwer angefressen. Im Jahr 1919 erfolgte der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in mehreren Bauernbetrieben in der Gemeinde Huttwil. Die Genossenschafter wurden ersucht, zu Hause zu bleiben. Im Jahr 1938 geschah dies erneut.

Bereits sein Vater war Käser
«Ich wurde nach den 25 Jahren als Käser in der Käserei Rätschen zunehmend müde», muss sich der 63-jährige Georg Steffen eingestehen. Mehr und mehr haben ihm die körperlichen Arbeiten zugesetzt. Deshalb hat er per Ende Jahr als Käser gekündigt. Trotzdem hat er das Käsen immer gerne gemacht. 170 Jahre lang wurde in dieser Käserei Emmentaler AOP produziert. 14 Käser haben in dieser Zeit dort gearbeitet. Bereits der Vater von Georg Steffen war Käser und hat die Käserei in Ettiswil geführt. Auch das Herz von Georg Steffen war vom Handwerk schnell begeistert. Als 15-Jähriger begann er seine Lehre als Käser. Damals wog er noch 49 Kilogramm und hatte keine Chance, die schweren Laibe selbstständig zu wenden. Nun führte und betrieb der 63-Jährige die Käserei Rätschen seit einem Vierteljahrhundert als Einmannbetrieb.

Milch wird in der Dorfkäserei Dürrenroth weiterverarbeitet
Doch Georg Steffen bleibt der Rätschen weiterhin treu. In der Käserei wird die Milch weiterhin von ihm angenommen, gewogen, gekühlt und gesammelt. Als sogenannte Milchsammelstelle. Man habe in der Käsereigenossenschaft diverse Möglichkeiten zur Nachfolgelösung diskutiert. Nachfolger für Georg Steffen hätte es gegeben, doch die Genossenschafter haben anders entschieden, da eben auch die Milch für eine optimale Käseherstellung fehlt. Weiter wurden mehrere Offerten zum Milchverkauf eingeholt. Schliesslich entschied sich die Käsereigenossenschaft Rätschen, die Milch an die Dorfkäserei Dürrenroth zu verkaufen. Die Käsereimilch wird nun täglich vom Lastwagen abgeholt und nach Dürrenroth gebracht und dort weiterverarbeitet. Urs Kämpfer, Inhaber der Dorfkäserei, kauft die Milch der Käsereigenossenschaft Rätschen per 1. Januar 2022. «Da wir genügend Verarbeitungskapazitäten haben, interessierte uns die Milch von der Käserei Rätschen. Zudem ist es uns ein Anliegen, dass die silofreie Milch in der Region verarbeitet wird», sagt Urs Kämpfer.

Jetzige Einrichtung aus dem Jahr 1984
Im Jahr 1954 bemängelte der Käsereiinspektor sowie das Lebensmittelamt die 100-jährige Käserei in allen Teilen und schlugen einen Abbruch und Neubau vor. Ein Jahr später wurde die Käserei Rätschen für 270 000 Franken komplett neu gebaut. Im Jahr 1977 wurde die Milchkontingentierung Tatsache. Jeder Lieferant musste die Landfläche angeben. 1984 stimmte die Hüttengemeinde in geheimer Abstimmung den Umbau auf Käsefertiger für drei Käse mit grossem Mehr zu. Im Jahr 1995 schrieb die Käsereigenossenschaft die Käser-Stelle aus, da der damalige Käser Hans Minder demissionierte. Von den zwei Bewerbern wurde schliesslich mit grosser Mehrheit Georg Steffen aus Ettiswil gewählt. Im Jahr 2001 wurden die 110 Käselaibe in der Käserei Rätschen mit der Höchstnote von 20 Punkten taxiert.

Zahl der Milchlieferanten in den letzten 25 Jahren halbiert
Als Georg Steffen im Jahr 1996 anfing, waren es noch 21 Milchlieferanten, die ihre Milch in die Käserei Rätschen brachten. Heute hat sich deren Bestand mit elf beinahe halbiert. «Es war zunehmend ein Problem, für das Käsen immer genügend Milch zu haben», betont Georg Steffen. Viele Käsereien können laut dem Fachmann gar nicht mehr richtig ausgeschöpft werden, da nach wie vor viele Landwirtschaftsbetriebe verschwinden. Der Milch-Zukauf aus anderen Käsereien, in denen kein Käse mehr produziert wird und die nur noch als Milchsammelstelle betrieben werden, sei eine gute Lösung, um mehr Milch zu erhalten.
«In den letzten Jahrzehnten wurde in der Land- und Milchwirtschaft ein gewaltiger Schritt gemacht. Bei den Landwirten vom Handmelken bis zum Melkroboter, bei mir vom Zündholz und der Kohleschubkarre am Anfang nun hin zum Computer», erinnert sich Georg Steffen. Die Geräte und Apparate, die nun in der Käserei Rätschen nicht mehr gebraucht werden, gelangen in den Verkauf.

Einen Gang herunterschalten – Hund und Kochkurs
Georg Steffen freut sich auf die zusätzliche Freizeit, die ihm nun bleiben wird. «Ich werde mir vermutlich wieder einen Hund anschaffen und einige Spaziergänge machen. Aber auch ein Kochkurs reizt mich», schmunzelt Georg Steffen. Denn Kochen gehörte bislang nicht zu seinen Stärken. Das möchte er etwas aufbessern. Wie gewohnt wird er in der Käserei Rätschen weiterhin Käse verkaufen. «So lange wie möglich werde ich noch Emmentaler von der eigenen Käserei anbieten, bevor ich diesen dann selbst kaufen muss», betont Steffen. Der Käseverkauf findet jeweils täglich von 6.30 bis 8.30 Uhr und von 18 bis 19 Uhr statt. Am Mittwochvormittag jeweils bis 11.30 Uhr. Neben einer eigenen Fondue-Mischung steht auch Raclette-Käse zur Auswahl. Der Keller ist noch gut gefüllt mit den Emmentaler-Laiben. Bis die drei letzten Emmentaler von der Käserei Rätschen gefahren werden, dürfte es dann anfangs April sein.

Von Yanick Kurth